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Leben

Queerness im Buddhismus: eine sehr kurze Geschichte. Ein Überblick von Buddha bis heute.

Gautama war mehr als vierzig Jahre lang das spirituelle Oberhaupt seiner Laien-, Mönchs- und Nonnen-Sangha. Er empfing Menschen aus allen Schichten der Gesellschaft, vom Königshaus bis zur Prostituierten. Während dieser langen Zeit wurde er auch um Rat zu einem sehr breiten Spektrum von Sexualpraktiken befragt. Das belegt, dass Buddha hinsichtlich der sexuellen Vorlieben von Menschen eindeutig nicht unwissend oder naiv war. Auch die sexuelle und geschlechtliche Vielfalt war ihm durchaus bewusst. Wenn dies für ihn ein Problem gewesen wäre, hätte er viele Gelegenheiten gehabt, sie zu verurteilen oder zu erklären, dass man nur mit einem heterosexuellen, cisgender oder gar zölibatären Lebenswandel das Dharma praktizieren könnte. Das tat er aber nicht.

Bei genauerer Betrachtung sieht man, dass sich Buddha tatsächlich niemals einer homonegativen Sprache bediente. Es gibt auch keine Hinweise darauf, dass Männer oder Frauen in gleichgeschlechtlichen Beziehungen oder geschlechtlich diverse Personen nicht der Laien-Sangha beitreten durften. Im Gegenteil, im „Vasettha Sutta“ (Majjhima Nikaya 98), lehnt Buddha ausdrücklich ab, Menschen zu stigmatisieren: „Bei Menschen gibt es keine Unterschiede durch die Geburt: weder in den Haaren noch im Kopf, in den Ohren oder in den Augen (…) noch in den Genitalien oder in der Art der Begattung (...) noch in der Farbe oder in der Stimme (...). Jede Unterscheidung unter Menschen ist eine rein sprachliche Bezeichnung.“

Die Laien-Sangha verpflichtet sich zu den „panca-sila“, zu den fünf ethischen Schulungen. Die dritte davon ist, es zu vermeiden, durch das eigene sexuelle Verhalten Leiden zu verursachen. Sexuelles Fehlverhalten „ist ausbeuterischer Sex, nicht einvernehmlicher Sex, oder Sex, der andere schädigt. Er ist sowohl im heterosexuellen als auch im homosexuellen Kontext unheilsam und destruktiv“, so beschreibt der US-amerikanische Friedensaktivist und Zen-Lehrer Robert Aitken den buddhistischen Standpunkt gegenüber der Hawaii-Kommission für sexuelle Orientierung und Recht aus dem Jahr 1995. In den klassischen Schriften ist das typische Beispiel hierfür außerehelicher sexueller Verkehr, weil er nicht nur andere schädige, sondern auch Gier widerspiegele.

Allerdings sind fast alle Ratschläge des Buddha zum Thema Sex Teil des „Vinaya“, der klösterlichen Vorschriften. Dort ist der Kontext immer der eines Mönchs oder einer Nonne, die bemüht sind, ihre Lust zu kontrollieren. Mit anderen Worten: Die Spannung im Vinaya besteht zwischen dem Zölibat und der Sexualität, nicht zwischen hetero- und homosexuellem Verhalten. Die negative Sprache, die manchmal in Bezug auf Sex verwendet wird, soll die klösterliche Disziplin fördern. Weder wird Sex an sich verurteilt, noch gibt es irgendwelche Hinweise auf homonegative Lehren oder Weltanschauungen.

Im Vinaya zeigt Buddha auch Offenheit gegenüber Transgender-Menschen. Er entschied pragmatisch, dass sich ein transweiblicher Mönch den Nonnen und eine transmännliche Nonne den Mönchen anschließen kann (Vinaya III.35). Diese Geschichte spricht von einem eher magischen und plötzlichen Wechsel des Geschlechts. Man muss aber bedenken, dass den Menschen vor 2.500 Jahren das heutige Vokabular fehlte. In einer Kultur, die nicht zwischen physischem, psychologischem und sozialem Geschlecht unterschied – Charakteristiken, die erst im 20. Jahrhundert entstanden –, ist es verständlich, das Coming-out einer Transperson als „plötzlichen Wechsel“ des Geschlechts zu beschreiben.

Queerness im Buddhismus

Der frühe Buddhismus

Der frühe Buddhismus war jedoch nicht vollkommen frei von Diskriminierung. Vor allem innerhalb der klösterlichen Sangha wurden bestimmte Menschen von der Ordination ausgeschlossen. Oft wurde dies getan, um Spannungen mit dem Gesetz zu vermeiden oder weil Klatsch in der Gesellschaft den Ruf des Zölibats schädigen könnte. Viele dieser Regeln scheinen in den ersten Jahrhunderten nach dem Ableben von Buddha entstanden zu sein, als das Überleben der jungen monastischen Sangha stark von der gesellschaftlichen Akzeptanz abhängig war.

Eine spezifische Geschichte handelt von einem Mönch mit unkontrollierbarer sexueller Begierde (Vinaya I.85–86). Heutzutage würde er als sexsüchtig bezeichnet werden. Für eine zölibatäre Gemeinschaft ist das verständlicherweise eine problematische Situation. Da er nicht in der Lage war, das Zölibatsgelübde einzuhalten – aber auch wegen des Geschwätzes im Dorf –, konnte er kein Mönch bleiben.

Unglücklicherweise war er auch noch ein „pandaka“. Die volle Bedeutung dieser Bezeichnung im frühen Buddhismus ist zwar noch unklar, aber man weiß, dass es eine von vier Kategorien war, um Geschlechterdiversität auf der Basis von genitalen Merkmalen zu beschreiben: Jemand wurde als Mann, als Frau, mit sowohl männlichen als auch weiblichen Genitalien, „ubhato-byanjanakas“, oder mit keinen – oder keinen voll ausgebildeten – männlichen oder weiblichen Genitalien, „pandaka“, geboren. Diese Geschichte wurde später als Rechtfertigung benutzt, alle pandakas aus der klösterlichen Sangha auszuschließen.

Irgendwann entwickelte sich das Vorurteil, das die intersexuellen Eigenschaften von ubhato-byanjanakas und pandakas mit der Unfähigkeit, sexuelle Lust zu kontrollieren, in Verbindung brachte. Die ältesten klassischen Texte behaupten in keinesfalls, dass alle pandakas sexsüchtig sind. Der Hauptgrund für das Verbot scheint die Angst vor Geschwätz gewesen zu sein. Doch bereits zur Zeit des Mahayana-Buddhismus (ab etwa dem 2. Jahrhundert, circa 700 Jahre nach Buddha) ist der Ton ein völlig anderer: Der Mulasarvastivada Vinaya beschreibt einen pandaka als einen sexbesessenen Schurken mit den Charakterzügen einer antisozialen Persönlichkeitsstörung.

Eine heutige Interpretation dieses Verbots sollte sich auf diese Vorurteile konzentrieren, nicht auf die falsche Verbindung mit intersexuellen Merkmalen. Der Grundgedanke ist, dass Menschen, die an bestimmten psychischen Erkrankungen leiden – wie Sexsucht oder Persönlichkeitsstörungen – behandelt werden müssen, bevor sie ordiniert werden können.

Viel später wurden pandakas manchmal mit homosexuellen Männern oder mit Menschen, die passiven Analsex haben, verwechselt. Da pandakas weder Penis noch Vagina besitzen – oder zumindest keine voll ausgebildeten Formen davon –, können sie offensichtlich nur Oralverkehr oder passiven Analsex mit einem Mann haben. Aber pandaka bezieht sich auf das Geschlecht, nicht auf das sexuelle Verhalten oder die sexuelle Orientierung. Außerdem gibt es im Vinaya eine andere Geschichte von zwei männlichen Novizen, die miteinander Sex hatten (Vinaya I.79). Sie wurden weder aus der klösterlichen Sangha ausgeschlossen, noch wurde einer von ihnen als pandaka identifiziert. Männer, die Sex mit Männern haben, wurden also eindeutig nicht mit pandakas gleichgesetzt.

Respektvolle Stille

Es sollte fast ein Jahrtausend dauern, bis jemand darauf hinwies, dass Sex zwischen Männern für Laienanhänger des Buddhismus nicht erlaubt war. Die früheste Quelle dafür ist der indische Text „Viniscayasamgrahani“, die „Sammlung von Schlussfolgerungen“. Dies ist eine der vier Ergänzungen zur „Yogacarabhumi“, die selbst eine große Abhandlung mit verschiedenen Autoren und historischen Schichten ist. Der Überlieferung nach wurde sie von Asanga (4. Jahrhundert, etwa 900 Jahre nach Buddha), dem Begründer der Yogachara-Philosophie, verfasst.

Es wird allgemein angenommen, dass die Autoren der Yogacarabhumi die dritte Vorschrift um spezifische kulturelle Gewohnheiten ihrer Zeit erweitert haben. Sie wollten beweisen, dass Buddhisten tugendhafter sind als ihre nichtbuddhistischen indischen Zeitgenossen. Diese Sichtweise wurde in Tibet erst im 12. Jahrhundert von dem Lehrer Gampopa übernommen. Er fügte auch hinzu, dass man bei Tageslicht keinen Sex haben sollte und auch nicht mehr als fünfmal hintereinander. Sonst, warnte Gampopa, werde man „an staubigen Orten“ wiedergeboren. Offensichtlich sind solche Vorschriften nicht allgemeingültig buddhistisch.

Shantideva (8. Jahrhundert) ist ein weiteres seltenes Beispiel für buddhistische Homonegativität: „Es gibt eine einzige und ziemlich bizarre Sutra-Beschreibung einer speziellen Hölle, in der Männer, die homosexuelle Aktivitäten ausüben, wiedergeboren werden: ... [das] Siksasamuccaya, eine Anthologie, die auch andere Merkwürdigkeiten enthält, wie die Vorhersage, dass jemand, der Rotz an einem heiligen Text abwischt, als Buch wiedergeboren wird, oder ein Mann, der gegen eine Klosterwand uriniert, als Wand wiedergeboren wird. Solche Aussagen sind kaum Mainstream-Dharma“, schreibt der britisch-amerikanische Buddhologe Roger Corless in „Queer Community in American Buddhism“.

Queerness im Buddhismus

Interessanterweise sind all diese detaillierten Listen von Situationen, die angeblich durch die dritte Vorschrift verboten sind, ausschließlich von männlichen Geistlichen verfasst. Sie konzentrieren sich lediglich auf männliches Verhalten oder auf sexuelles Verhalten verheirateter Frauen. Das sexuelle Verhalten von nicht verheirateten erwachsenen Frauen erhielt keine Aufmerksamkeit und wurde daher auch nicht kommentiert.

Insgesamt gibt es nur sehr wenige derartige Texte, was angesichts der enormen Menge an buddhistischer Literatur bemerkenswert ist. Das bedeutet nicht, dass alle buddhistischen Kulturen eine entsprechende Akzeptanz entwickelt haben. Aber selbst homonegative Mönche verspürten offensichtlich keinen Drang zur Verurteilung. Für sie war Sex zwischen Männern zwar eine ungeschickte Handlung auf dem Pfad zum Erwachen, aber niemals ein Übel oder ein Grund zur Diskriminierung.

Die große Mehrheit der Buddhisten kleidet sich in Schweigen, wie es auch der frühe Buddhismus seit vielen Jahrhunderten getan hat. Robert Aitken scheint also recht zu haben, wenn er sagt: „Mein Eindruck aus meiner eigenen klösterlichen Erfahrung ist, dass Homosexualität nicht als Anomalie angesehen und daher nicht kommentiert wurde.“

Queerness

Ferner Osten trifft fernen Westen

Die wichtigste Ausnahme von diesem Schweigen war das vormoderne Japan, wo männliche gleichgeschlechtliche Beziehungen ausdrücklich zelebriert wurden. Im japanischen Buddhismus ist es den Mönchen erlaubt, Sex zu haben und zu heiraten. Der Legende nach war es Kukai (774–835), vermutlich der Gründer der „Shingon-Schule“, eine japanische Vajrayana-Richtung des Buddhismus, der nach seiner Rückkehr vom Studium des Tantra in China homosexuellen Sex in Japan populär machte.

Diese Legende hat einen tieferen Grund: In vielen Perioden seiner 3.000 Jahre alten Kultur waren männliche und weibliche gleichgeschlechtliche Beziehungen fester Bestandteil in allen Schichten der vorkommunistischen chinesischen Gesellschaft, vom kaiserlichen Hof bis zum einfachen Arbeiter. Die Provinz Fujian war berühmt für männliche gleichgeschlechtliche Eheschließungen. Mitglieder der Schwesternschaften der Goldenen Orchidee in der Seidenindustrie der Provinz Guangdong hatten Zugang zu weiblichen gleichgeschlechtlichen Ehen. Sie hatten auch das Recht, verlassene oder verwaiste Mädchen als ihre rechtmäßigen Töchter und Erben zu adoptieren.

Offensichtlich waren gleichgeschlechtliche Beziehungen in Japan vor Kukai nicht unbekannt. Die Legende zeigt, wie eng der Buddhismus in beiden Ländern mit Akzeptanz und Integration verbunden war. Dies spiegelt sich auch in den „Chigo Monogatari“, den Novizengeschichten, wider. Es handelt sich um buddhistische Predigten aus dem 12. und 13. Jahrhundert, in denen die Liebe zwischen einem Mönch und einem Novizen als der ideale Weg zum Pfad des Erwachens beschrieben wird. Ähnlich idealisiert wurden gleichgeschlechtliche Beziehungen auch innerhalb der Samurai-Kriegergemeinschaften.

Eine weitere Ausnahme entstand, als Buddhisten sahen, wie LBSTQIA+ Personen mit den Stigmatisierungen, Hassreden und sozialen Ausgrenzungen durch christliche Kirchen im Westen konfrontiert wurden. Während des Goldrauschs im 19. Jahrhundert übersiedelten viele Buddhisten aus China und Japan nach Kalifornien. Für sie stand die Gleichberechtigung im Einklang mit der universellen buddhistischen Tugend des Mitgefühls gegenüber allen fühlenden Wesen und mit Buddha Amitabhas Urgelübde, alle Wesen ohne jegliche Diskriminierung zu retten.

Jahrhundertelang wurde zu LBSTQIA+ Personen im Westen gesagt, dass sie zwischen Erlösung und Vielfalt wählen sollen. Es war Gott oder schwul: „God or gay“. Mit anderen Worten: Man könne nicht gleichzeitig spirituell und queer sein. Stellen Sie sich ihre Überraschung vor, als sie einer Religion begegneten, die ihnen nicht feindlich gegenüberstand und sie so akzeptierte, wie sie waren. Innerhalb des Buddhismus führte dies zur Einsicht, dass Schweigen auch negative Folgen haben kann, wenn es den Status quo einer diskriminierenden Gesellschaft maskiert und aufrechterhält.

Spiritualität und Menschenrechte

Folglich engagierten sich Buddhisten in Kampagnen für soziale Gerechtigkeit und unternahmen Schritte, um inklusiver zu werden. In den frühen 1970er-Jahren führte die „Jodo-Shinshu-Schule“ des Buddhismus des Reinen Landes die ersten buddhistischen gleichgeschlechtlichen Eheschließungen im Westen durch. Das war Jahrzehnte vor der Legalisierung moderner säkularer gleichgeschlechtlicher Ehen im 21. Jahrhundert.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung Special №. 1: „Buddhismus unter dem Regenbogen"

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Gegenwärtig richten praktisch alle großen buddhistischen Traditionen in Europa und Amerika Meditationen und Retreats für LBSTQIA+ Praktizierende aus und bieten gleichgeschlechtliche Heiratszeremonien an. Fast alle von ihnen haben auch queere Lehrer*innen. Langsam, aber sicher setzen sich auch Buddhist*innen in asiatischen Ländern für weniger Schweigen innerhalb ihrer Traditionen und mehr Gleichberechtigung innerhalb ihrer Gesellschaften ein. Oft bekämpfen sie Diskriminierungen, die unter der Kolonialherrschaft oder während der Verwestlichungskampagnen im 19. Jahrhundert entstanden.

Die Europäische Buddhistische Union befürwortet die vollständige Umsetzung der Menschenrechte für alle. Im Jahr 2015 wurde die „Rainbow Sangha“ zu ihrem offiziellen Netzwerk für LSBTQIA+ Buddhist*innen, deren Freund*innen und Verbündete. Mitbegründer Dario Doshin Girolami ist der Überzeugung: „Es ist eine unverzichtbare spirituelle Arbeit und eine Arbeit für soziale Gerechtigkeit. Das ganze Universum ist wie eine Sinfonie, die wir mitgestalten. Wie wollen wir dazu beitragen?“

Übersetzung Dennis Johnson

Dr. Michael D. Vermeulen ist Vorsitzender und Mitbegründer der Rainbow Sangha und war von 2011 bis 2015 der Vertreter der Europäischen Buddhistischen Union bei der Europäischen Union. Seitdem sprach er auf mehreren Konferenzen der Vereinten Nationen zu den Themen Menschenrechte, Queer-Buddhismus und Öko-Buddhismus.

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Dr. Michael D. Vermeulen

Dr. Michael D. Vermeulen

Dr. Michael D. Vermeulen ist Vorsitzender und Mitbegründer der Rainbow Sangha und war von 2011 bis 2015 der Vertreter der Europäischen Buddhistischen Union bei der Europäischen Union. Seitdem sprach er auf mehreren Konferenzen der Vereinten Nationen zu den Themen Menschenrechte, Queer-Buddhismus ...
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