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Leben

Hassreden, Spekulationen und Fake News. In einer auseinanderdriftenden Gesellschaft wächst das Bedürfnis, wieder mehr miteinander zu reden. Der Buddhismus bietet Wege, wie überhitzte Diskussionen entschärft werden können.

„Man kann nicht nicht kommunizieren“, hat der Philosoph Paul Watzlawick gesagt. Reden, sprechen, miteinander kommunizieren ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Mehr noch: eine Notwendigkeit. Kommunikation ist keine Entscheidung. Ob verbal oder nonverbal – wir kommunizieren immer. Wenn wir uns einig sind, ist es leicht, zu kommunizieren, und wir genießen es: wie schön das Bergpanorama vor uns liegt oder wie daneben die Politik der Regierung ist.

Doch was, wenn wir nicht gleicher Meinung sind? Was passiert, wenn unsere Weltanschauungen so weit auseinandergehen, dass jegliche Sympathie und jegliches Verständnis für den Standpunkt des anderen abhandengekommen sind? Wie reden wir dann miteinander?

In digitalen Zeiten potenzieren sich Dynamiken von Konfrontation, Erregung und Beleidung. Ohne dem Gegenüber direkt in die Augen schauen zu müssen, lässt sich leicht eine Schimpftirade ins Netz stellen – oft im Schutz der Anonymität. Die Algorithmen von Facebook und Co. helfen dabei, Gleiches mit Gleichem zu vernetzen. Eigene Standpunkte werden nicht infrage gestellt, sondern verfestigt. Man bewegt sich nur noch in der Meinungsblase von Gleichgesinnten. Wenn man dann doch auf Andersdenkende trifft, eskalieren die Diskussionen schnell. „Klima“, „Migration“, „Corona“ – alles Themen, bei denen plötzlich Welten zwischen Menschen liegen, die vielleicht noch vor wenigen Jahren nah beieinandergestanden haben.

Miteinander

Wieder in Dialog miteinander zu treten, kann zur Mammutaufgabe werden. Am Ende lohnt es sich aber, diese Herausforderung anzunehmen. Und der Buddhismus zeigt auf, dass vielleicht genau jene Themen, die die Gesellschaft so spalten, zu Vehikeln werden können, um wieder näher zusammenzurücken.

Ob verbal oder nonverbal – wir kommunizieren immer.

Im Buddhismus nimmt die „Rechte Rede eine Schlüsselposition auf dem Weg ein, sowohl als eine der fünf, acht oder zehn ethischen Grundregeln als auch als Teil des achtgliedrigen Pfad. Kurz gefasst bedeutet das: Ohne Rechte Rede gibt es keinen Erlösungsweg, gibt es keine Erleuchtung.

Dabei geht es nicht nur darum, wie man mit anderen richtig kommuniziert, sondern auch, dass man die eigenen Gefühlswelten kennt. Für eine gute Kommunikation ist es wichtig, sich seiner eigenen Bedürfnisse bewusst zu sein und diese richtig zu deuten.

Auf genau jenen Aspekt weisen die Achtsamkeitstrainerinnen Margret de Backere und Steffi Höltje hin: „Öffnen die Worte Fenster oder errichten sie Mauern?“ Allzu schnell würden aus unachtsamen Worten Verurteilungen, Vorwürfe und Schuldzuweisungen werden – „manchmal in sehr subtilen Formen“. Die beiden betonen, wie wichtig es sei, sich zunächst selbst im Klaren zu sein, was man will. Die meiste Zeit, so die Trainerinnen, verwenden Menschen darauf, sich zu überlegen, wie das Gegenüber wohl fühlt und es reagieren wird. Das wäre aber der zweite Schritt vor dem ersten. Mehr Klarheit entstehe, meint Backere, wenn man mehr Energie auf die Frage richte: Was möchte ich zum Ausdruck bringen? „Das heißt, was sind meine Gefühle und Bedürfnisse? Was ist meine Botschaft?“

Dabei spielt die grundlegende Achtsamkeitspraxis eine wichtige Rolle. „Bewusstes Atmen, Gehen, Sitzen, die Fähigkeit zum Innehalten und Stoppen kultivieren, um überhaupt erst einmal in der Lage zu sein, wahrzunehmen, was gerade in mir und um mich herum geschieht“, zählt Höltje auf. Am Ende gehe es darum, Liebe und Mitgefühl zu entwickeln. „Unsere Beziehungen mit der dazugehörigen Kommunikation bieten sich dafür als Entwicklungs-Schnellkochtopf an.“

 Das Ampelsystem in der Achtsamen Kommunikation

Um besser einschätzen zu können, wo man emotional gerade in einer Konversation steht, hat die Familientherapeutin Susan Gillis Chapman ein Ampelmodell entwickelt. Die grüne Ampel zeigt an, dass man selbst gerade offen ist und bereit, andere Meinungen zu hören. Man ist in der Lage, all seine Ressourcen auszuschöpfen. Die rote Ampel zeigt, dass man zugemacht hat und es keinen sinnvollen Kommunikationskanal mehr gibt. Das Ego kommt nun zuerst. Man fühlt sich allein und im Stich gelassen. Die gelbe Ampel zeigt an, dass man im Grenzgebiet zwischen offen und zu ist. Verteidigungsmechanismen flackern auf, Gefühle drohen, einen zu überrennen. Es sei die Phase, in der wir am meisten wachsen und durch Mitgefühl und Einsicht das „Wunder des Wiederaufmachens“ beobachten können, meint Chapman.

Als zentraler Teil der Achtsamen Kommunikation dient das bahnbrechende Modell der Gewaltfreien Kommunikation von Marshall Rosenberg. Auch sein Modell richtet den Fokus darauf, sich bewusst zu machen, was eigentlich in und um uns gerade geschieht. Rosenbergs Modell besteht aus vier Schritten, die es den Gesprächspartnern ermöglichen, zwischen dem, was passiert ist, und dem, wie es interpretiert wird, zu unterscheiden und so Verständnis und Empathie für den anderen aufbringen zu können, ohne dabei in Schuldzuweisungen und Vorwürfe abzugleiten.

Gewaltfreie Kommunikation

Das Konzept der Gewaltfreien Kommunikation geht auf den Psychologen Marshall Rosenberg zurück und basiert auf vier einfachen Schritten:

  1. Beobachtung – Was passiert gerade? Wer hat was gesagt?
  2. Gefühl – Welche Gefühle löst das in mir aus?
  3. Bedürfnis – Welches Bedürfnis spricht das an?
  4. Bitte – Welche Bitte, die im Hier und Jetzt erfüllt werden kann, formuliere ich daher?

Zusammengefasst lautet das Modell gegenüber dem Gesprächspartner also: „Wenn ich A sehe, dann fühle ich B, weil ich C brauche. Deshalb möchte ich jetzt gerne D.“ Ziel ist es, Vertrauen und Empathie in der Kommunikation zu etablieren, indem Beobachtungen von Bewertungen getrennt werden.

So muss klar zwischen a) Beobachtungen und Bewertungen, b) Gefühlen und Gedanken, c) Bedürfnissen und Strategien zur Erfüllung eines Bedürfnisses und d) Bitten und Forderungen unterschieden werden. Dabei sind Bewertungen per se nichts Schlechtes. Es ist aber wichtig, diese nicht mit Beobachtungen zu vermengen und eigene Gefühle als objektive Wahrheiten darzustellen.  

      

Doch wie sollen Verständnis und Empathie erzeugt werden, wenn die Meinungen gerade konträr sind? Ständig liegen Gegenargumente auf der Zunge, andauernd will man einhaken. In solchen Momenten kann „Echtes Zuhören“ helfen. Denn Verstehen bedeutet nicht unbedingt, einverstanden sein.

„Ein schlechter Zuhörer fragt anstatt hinzuhören, immer automatisch: Wie wirkt sich das auf mich aus?“, meint der Health Coach Carsten Warga vom Blog „Auszeit Leben!“. Ein guter Zuhörer nimmt sich im Gegenteil Zeit und Raum, das, was gesagt wird, vollständig aufzunehmen. Wichtig ist dabei auch nicht nur, auf das zu hören, was oberflächlich gesagt wird, sondern immer auch ein Ohr für die Zwischentöne zu entwickeln. Warga rät, auf den Gesichtsausdruck, Gesten, Lautstärke und Ton zu achten. Dabei könne es besonders hilfreich sein, das eben Gesagte zu wiederholen oder in eigenen Worten noch einmal zu paraphrasieren.

Aktives Zuhören

Der Psychologe Carl Rogers hat die Methode des Aktiven Zuhörens entwickelt. Grundlage dafür ist, dass es in einem Zwiegespräch keinen Gewinner geben muss. Ein Streitgespräch kann ein Aufeinanderzugehen sein, und man kann einen Kompromiss finden. Diese Art der Kommunikation sieht vor, dass jede Gesprächsseite die Position des anderen so oft wiederholt, bis der andere sich richtig verstanden fühlt.

Beim Aktivem Zuhören sind wichtig: empathische Grundhaltung, authentisches Auftreten und bedingungslose Akzeptanz der anderen Person. Neben dem Paraphrasieren des Gesagten gehören auch andere Aspekte dazu, wie zum Beispiel: Aussprechen lassen, Augenkontakt halten, nicken, Geduld, nachfragen, wenn etwas unklar ist. 

 

Buddhistische Methoden haben mittlerweile auch in der Psychotherapie Einzug gehalten. Matthias Ennenbach, der die Buddhistische Psychotherapie entwickelt hat, sieht in beiden große Schnittmengen: Sowohl buddhistische Lehre als auch Psychotherapie wollen menschliches Leiden lindern.

Es gehe dabei darum, die „inneren Stimmen“, die zum Psychoterror werden können, zu lockern. Was der Psychologe damit meint: Gerade bei psychischen Leiden spielen negative Gedanken eine große Rolle. Man sieht sich in den eigenen Gedankenspiralen gefangen, den „Egostimmen“, wie er es nennt. „Ich denke, ich mag, ich meine, ich will ...“ und so weiter rotiere es ständig im Kopf. In der buddhistischen Psychotherapie gehe es daher vor allem darum, zu vermitteln, wie man sich von dem „inneren Diktator“ lösen könne, indem man ein Verständnis dafür entwickelte, wie der innere Begleitkommentar funktioniere, wie er sagt. Spiritualität bedeute für Ennenbach, die Egostimmen zu transzendieren. Anstatt sie zu ignorieren, könne man von ihnen lernen und sie zu einem Werkzeug werden lassen, um das Leid zu überwinden.

 Die Buddhistische Psychotherapie

In ihrem Streben, das menschliche Leiden zu lindern, haben buddhistische Lehre und westliche Psychotherapie viel gemeinsam. Der Psychologe Matthias Ennenbach versucht, beide Wege miteinander zu verschränken. Dabei legt er den Fokus nicht auf Störungen, also der Frage: Was oder wer ist krank? Stattdessen probiert er, positive Gefühle wie Mitgefühl und Zufriedenheit zu fördern.

Dabei nehmen Körperarbeit und Atemübungen eine wichtige Rolle ein. „Der Kopf bringt uns oft weg von uns selbst, denn der Geist schweift oft ab, in die Zukunft und die Vergangenheit“, erklärt Ennenbach. „Der Körper kann aber immer nur in der Gegenwart sein.“ Durch viele Wiederholungen, die auch zu Hause weitertrainiert werden, sollen bessere Verhaltensmuster kultiviert, und so Lösungen von Problemsituation verinnerlicht werden.

 

Der Punkt ist, dass uns diese „inneren Stimmen“ meist gar nicht bewusst sind und wir sie nicht hören. „Wenn du da allein auf deinem Meditationskissen sitzt und es eigentlich vollkommen still um dich herum ist – da kann es verdammt laut in dir selbst werden“, berichtet eine Teilnehmerin eines Schweigeseminars in einem Blogpost. Längere Schweige-Retreats dienen dazu, sich den inneren Stimmen, die in uns wirken, bewusst zu werden. Wenn diese Stimmen schon im Ruhezustand so laut sind, warum sollten sie dann in Momenten des Stresses, der Anspannung, der Konfrontation Ruhe geben?


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 115: „Rede mit mir!"

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Es muss ja nicht unbedingt die Extremvariante des Schweige-Retreats sein. Beim nächsten Mal, wenn es in einer bunten Runde um „Klima“, „Migration“ oder „Corona“ geht, kann man ja einmal gewaltfreie Kommunikation üben oder echtes Zuhören oder achtsames Reden. Denn der Schlüssel für eine bessere Kommunikation nach außen liegt tief in uns drin. Und gerade jene schwierigen Gespräche können dabei helfen, nicht nur unser Gegenüber besser kennenzulernen, sondern auch uns selbst.

Dr. Anna Sawerthal ist Tibetologin und Journalistin. Sie studierte in Wien, Nepal, Lhasa und Heidelberg. Sie lebt in Wien.

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Dr. Anna Sawerthal

Dr. Anna Sawerthal

Dr. Anna Sawerthal ist Tibetologin und Journalistin. Sie studierte in Wien, Nepal, Lasha und Heidelberg. Sie lebt in Wien.
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