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Leben

Mit Aerial Yoga die Schwerkraft zu überwinden – das wirkt seltsamerweise beruhigend – ein Erfahrungsbericht.

Es tut immer wieder gut, Neues auszuprobieren. Man erlebt sich in neuen Situationen. Ich will raus aus meinem täglichen Trott. Seit geraumer Zeit fallen mir, immer mal wieder, Bilder von Aerial Yoga in die Hand. Übungen werden in einer Art Schaukel gemacht. Da hängen Frauen kopfüber in verschiedenen Positionen in den Seilen und machen allerhand Kunststücke. Ob ich das auch kann und wie sich das anfühlt, wollte ich ausprobieren. Also meldete ich mich für einen Einsteigerworkshop an.

Aerial Yoga ist eine Verbindung aus Yoga und Luftakrobatik und vor etwa zwanzig Jahren in den USA entstanden. Pionierinnen des Aerial Yogas waren Michelle Dortignac und Rebekah Leach. Beide kamen aus dem Bereich Tanz sowie Performance und übten Luftakrobatik auf Seidentüchern aus. Der Grundgedanke dabei war, eine neue Bewegungsform zu schaffen, die von jeder Person praktiziert werden kann. Die beiden holten sich Anleihen des berühmten Yogalehrers BKS Iyengar, der mit an der Decke befestigten Seilen Umkehrhaltungen, wie Kopfstand oder Brücke, mit seinen Schülern und Schülerinnen übte. Im Gegensatz zu allen anderen Yogaformen wird beim Aerial Yoga jedoch der Schwerkraft in viel höherem Maße ein Schnippchen geschlagen.

Im Wiener Yoga-Studio Fusion hat sich die Anfängergruppe bereits eingefunden. Alle betreten neugierig den großen Raum, an dem jeweils im Abstand von
mehreren Metern dünne Stoffbahnen von der Decke baumeln. Das sieht ein bisschen aus wie zu kurz geratene Vorhänge oder leere Hängematten. „Bitte sucht Euch alle einen Platz und rollt eure Matten aus.“, fordert uns die Yogalehrerin Jule auf. Sie hat braune Haare und ein freundliches Gesicht. Aerial Yoga unterrichtet sie schon seit einigen Jahren. Wir sind eine reine Frauengruppe, die Jüngste ist zwanzig, die Älteste um die sechzig Jahre. Alle stellen sich auf ihre Matten und begutachten das Tuch, das vor ihnen von der Decke baumelt. Es ist aus einem sehr leichten, glatten Stoff. Fallschirmseide, sagt Jule, und beim Auffalten finden wir heraus, dass es trapezförmig
ist. Die Enden werden von Karabinern an einem Riemen mit Schlaufen zusammengehalten, der an der Decke befestigt ist.

Erst einmal geht es Jule darum, die Höhe der Tücher einzustellen. „Es soll genau vor den Hüften sein, wenn die Hände es links und rechts auf Körperbreite spannen“,
erklärt sie. Mit einer Leiter geht sie von Person zu Person. Sie passt die Höhe an, indem sie die Karabiner, die knapp oberhalb der Decke hängen, verstellt. Dann kommt die erste Anweisung: „Das Tuch ausschütteln, damit es nicht mehr verknüllt ist, dann greift es und fasst es etwa fünfmal zusammen.“

Wie im Kokon
Auf diese Weise entsteht eine Art Schaukel, in die wir uns erst hineinsetzen und im weiteren Verlauf ausgestreckt hineinlegen sollen. Das klappt auch bei allen, sämtliche Hände und Füße verschwinden wie in einem Kokon. Das ist toll, fühlt sich sicher und geborgen an. „Tief einatmen und durch den Mund wieder ausatmen“, sagt Jule. Die Yogastunde beginnt eigentlich nicht anders als eine ‚normale‘ Yogaeinheit, nur dass man in der Luft liegt und vom Stoff gehalten wird.

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Nach der Anfangsentspannung werden Übungen durchgeführt. Manchmal wird das Tuch um den Fuß, manchmal um die Hand gewickelt, und jedes Mal wird auf eine andere Art und Weise Körpergewicht abgegeben. Viele Übungen kenne ich aus anderen Yogastunden, zum Beispiel den „herabschauenden Hund“, der im Aerial Yoga so gemacht wird, dass das Tuch auf Höhe der Hüften den Rücken auf eine neue Weise in die Länge streckt. Aufregend wird es bei einer Umkehrhaltung. Obwohl gut gesichert, kostet es mich Überwindung, verkehrt herum in der Luft zu hängen, nur von meinen Beinen gehalten. Bei Aerial Yoga geht es aber genau um dieses Loslassen und das Vertrauen, aber auch das Überwinden mancher Ängste.

Gleichgewicht
Anfangs verkrampfen sich meine Hände manchmal noch ängstlich, doch nach dem zweiten Mal schaffe ich die Umkehrhaltung und hänge kopfüber in der Luft. Ich erlebe meinen Körper ganz neu, lasse ihn sich strecken oder in die Länge ziehen. Mitunter können die Übungen anstrengend für die Arme sein, ab und zu tun mir die Hände vom Festhalten kurz weh. „Aerial Yoga ist auch Faszientraining“, sagt die Yogalehrerin, denn die Muskeln werden durch die Kompression zusammengedrückt. Zudem würde das Gleichgewicht geschult. Balance? „Ach ja, darum ging es mir ja auch nach den anstrengenden Corona-Monaten. Für diese Balance ist auch das sanfte Schaukeln wichtig“, sagt Jule. Es wirkt nicht nur auf die Muskeln, sondern auf das gesamte Nervensystem. Schaukeln beruhigt, merke ich.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 114: „Balance finden"

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Die Stunde ist schnell vorbei. Die Endentspannung findet wieder im Kokon statt. „Wenn es zu sehr schwingt, gebt mir ein Zeichen“, sagt Jule, und genau das ist bei mir der Fall. Als das Tuch nur noch langsam zur sanften, angenehmen Musik schwingt, kann ich wunderbar entspannen. Die Zeit ist tatsächlich im Flug vergangen. Aerial Yoga hat mir ein ganz neues Körpergefühl vermittelt, und genau das wollte ich.

Der Workshop wurde besucht bei Yoga Fusion Wien: www.aerialyoga.at

Ester Platzer, lebt in Wien und ist Mitglied der Chefredaktion bei Ursache\Wirkung. Davor lebte und arbeitete sie viele Jahre in Ostafrika. Ester absolvierte ihr Magisterstudium in internationaler Entwicklung an der Universität Wien.

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Bild im Beitrag © www.aerialyoga.at

Ester Platzer

Ester Platzer

Ester Platzer, 1979, lebt in Wien und ist Mitglied der Chefredaktion bei Ursache\Wirkung. Davor lebte und arbeitete sie viele Jahre in Ostafrika. Ester absolvierte ihr Magisterstudium in internationaler Entwicklung an der Universität Wien.
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