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Leben

Sabine Schreiber ist Familientherapeutin in München – in Konflikten sind ihr Lösungsszenarien wichtiger als Vergangenheitsbewältigung.

Familie kann ein schönes, aber auch ein sehr schmerzliches Gefüge sein. Sie haben 25 Jahre Berufserfahrung. Gibt es Konflikte, die Sie als klassisch bezeichnen würden?

Die gibt es, klar. Konflikte in Familien haben meistens mit der biologischen Entwicklung der Menschen in einer Gruppe zu tun. Wenn Eltern ein Baby bekommen, dann bringt dieser neue Mensch ein eingespieltes Gefüge aus dem Lot, wenn die Kinder nach achtzehn Jahren das Elternhaus wieder verlassen, auch. Dazwischen kann alles Mögliche passieren. Scheidungen, Krankheit, Geldsorgen, Todesfälle, Probleme in der Schule, Erbstreitigkeiten.

Die Frage anders formuliert: Was ist eine intakte Familie?

In einer gut funktionierenden Familie werden auftretende Probleme gemeinschaftlich gelöst. Dabei geht es darum, einen Ausgleich für unterschiedliche Interessen zu finden. Denn was für ein einzelnes Familienmitglied lebenswert und förderlich erscheint, ist für ein anderes Familienmitglied nicht unbedingt gleich erstrebenswert.

Es geht also um Kompromisse?

Entscheidend ist, dass man zu einer für alle guten Lösung kommt, und noch viel wichtiger ist aber, dass jeder dann auch hinter einer Entscheidung stehen kann ...

... also motiviert ist?

Genau, das ist eine Grundvoraussetzung in der systemischen Therapie, die eine Familientherapie sein kann. Wer mit einem Problem zu uns kommt, muss an einer Lösung interessiert sein. Oft ist es ja so, dass Menschen die Lösung ihrer Probleme immer bei den anderen sehen.

Familientherapeutin

Oft haben Konflikte eine lange Geschichte von Kränkungen, Verletzungen oder Missverständnissen. Wie lässt sich das lösen?

Wir denken, dass die Menschen in einer Familie wechselseitig und auf multiple Art und Weise miteinander in Verbindung stehen. Am besten lässt sich das bildlich mit einem Mobile vergleichen. Bewegt sich ein Teil, so hat das auch Auswirkungen auf die anderen. Wenn jeder bereit ist, seine Standpunkte zu verändern, entsteht eine Dynamik. Das ist die Grundidee der von Virgina Satir begründeten Familientherapie (siehe Kasten).

Wo ist der Unterschied zu anderen psychotherapeutischen Richtungen?

Es geht in der Familientherapie weniger darum, die Ursachen für Konflikte zu klären, als vielmehr darum, vorhandene Ressourcen zu aktivieren, um eine positive Vision für die Zukunft zu entwickeln. Es ist also ein sehr lösungsorientierter Ansatz.

Würde das nicht jede psychotherapeutische Richtung von sich behaupten?

Natürlich, aber die Wege dorthin können unterschiedlich sein. Es gibt einen sehr anschaulichen Vergleich: Ein Fahrer lenkt sein Auto in einen Graben. Die Frage, warum das passiert ist, ist sicherlich relevant. Doch diese Art der Ursachenforschung interessiert die Familientherapie weniger. Nur weil man die Ursache kennt, löst sich das Ereignis ja nicht in Luft auf. Mit dem systemischen Ansatz klären wir deshalb die Fragen, wie das Auto aus dem Graben wieder rausgezogen werden kann und man dieses Ereignis zukünftig vermeidet.

Wie läuft so eine Familientherapie ab?

Es kommt immer auf die Problematik an. Die erste wichtige Frage ist: Wer kommt zu uns und warum? Und dann kann es sein, dass wir mehrere oder nicht direkt betroffene Familienmitglieder zu den Sitzungen einladen, um gemeinsam an einer Lösung zu arbeiten. Dabei geht es auch darum, dass unsere Klienten und Klientinnen wieder zurück zu ihrer Kraft finden. Die Wiederentdeckung des Selbstwerts spielt eine entscheidende Rolle.

Wie lange dauern Familientherapien?

Es sind tendenziell eher kurzzeitorientierte Therapien, denn die Selbstaktivierung eines Menschen sollte ja ziemlich schnell wirken. Wir fragen deshalb auch regelmäßig ab, ob die Dinge in Bewegung kommen und ob die Motivation noch da ist. Aber es gibt auch schwierigere Konstellationen.

Zum Beispiel?

Etwa jene, eingefahrene Verhaltensmuster zu durchschauen. Das spielt in Paarkonflikten oft eine Schlüsselrolle. Etwa ein Partner, der seine Partnerin unbewusst immer wieder mit der Mutter verwechselt. Eine Verhaltensänderung kann da schon dauern ...

... und wie herbeigeführt werden?

Im systemischen Ansatz hat die Schulung der Wahrnehmung einen großen Stellenwert. Achtsamkeit ist wichtig. Die entscheidende Frage wäre also: „Was ist es, was mich immer wieder wütend macht?“ Das Aufdecken der Grundkonstellationen ist ein integrativer Bestandteil der Therapie. Nur so lässt sich das Verhalten ja auch verändern.

Klingt erst mal logisch und gar nicht so schwer.

Es ist erfahrungsgemäß nicht einfach, die seelische Not des anderen zu würdigen. Ohne Selbstreflexion ist das nicht möglich. Vieles läuft in Konflikten unbewusst.

Weihnachten steht vor der Tür. Sind diese unbewussten Verbindungen der Grund dafür, dass das Fest für Familien oft die schwerste Zeit im Jahr ist?

Ja, denn gerade zu Weihnachten prallen die unterschiedlichen Anforderungen und Vorstellungen der einzelnen Familienmitglieder aufeinander.

Wie lässt sich das verhindern?

Indem man frühzeitig die Streitpunkte klärt. Zum Beispiel: Wer lädt ein? Wer ist Gast? Wo sind die Kinder in geschiedenen Familien? Gibt es Geschenke? Wer das im Vorfeld nicht klärt, riskiert Konflikte. Und das ist ja auch alle Jahre wieder der Fall.

Sie meinen, die Familienmitglieder sollten sich darüber austauschen?

Genau, und vor allem möglichst bald damit beginnen. Wie wünschen sich die Familienmitglieder Weihnachten? Welche Kompromisse lassen sich finden? Wenn man all das bespricht, hat jeder eine Chance, sich am Weihnachtsabend wohlzufühlen.

 


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 110: „Familienbande"

UW 110 cover


Zur Person: Sabine Schreiber (54) ist Psychologin und systemische Familientherapeutin in München. Sie ist auf Einzel-, Paar- und Familientherapien spezialisiert, gibt ihr Wissen aber auch als Lehrtherapeutin im Rahmen des Vereins zur Förderung der Familientherapie (www.vft-familientherapie.de) weiter. Diese Institution ist seit mehr als vierzig Jahren auch über die Grenzen Deutschlands hinaus aktiv.
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Karin Pollack

Karin Pollack

Karin Pollack, ist Redakteurin in der Tageszeitung ‚Der Standard‘ und macht seit 17 Jahren regelmäßig Yoga.
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