Weltverbesserung ist zum Tagesgeschäft geworden. Gelangweilt von der Zufriedenstellung der Grundbedürfnisse, dämmert es einem Teil der Menschheit, dass schnellere Autos, größere Häuser und das dritte Stück Kuchen nicht wirklich glücklicher machen.
Basierend auf dem bestehenden Wirtschaftssystem, verbessert der Mensch die Welt nun durch bewussten Einkauf und Optimierung des eigenen Selbst. Es wird unablässig am eigenen Glück geschmiedet und mit schlechtem Gewissen konsumiert, während sich die Wirtschaftswelt darauf eingestellt hat, mit grünen Produkten weiße Westen zu waschen, und Selbstinszenierungsplattformen zur Verfügung stellt, auf denen es glänzend läuft.
Ohnmächtig taumelt man zwischen Aktionismus und Lethargie. Wie soll es auch gelingen, der Weltverbesserung nachzugehen, während die Nachbarn den SUV ausfahren, die Kollegen die flugschamroten Wangen hinter Urlaubsbräune verstecken und Politiker auf Klimagipfeln erstarren, während Polkappen schmelzen? Man gibt sein Bestes, solange man sich nicht beschränken muss, teilt, solange man selbst nicht zu kurz kommt, und wird aktiv, solange man im Rahmen seiner Wohlfühlzone agiert.
Entspringt das Verlangen nach einer besseren Welt Gefühlen von Frustration, Ungeduld oder Groll, ist nachhaltige Weltverbesserung nur schwer möglich.
Damit überhaupt etwas passiert, diszipliniert man sich gegenseitig mit der Dringlichkeit veganer Ernährung, Gender-Korrektur und fairem Handel: schnelle Hilfen in Form von eifrigen Maßnahmen, zumeist geboren aus Überforderung, Ohnmacht oder Ungeduld. Symptome werden dadurch gebessert, aber nur selten die Ursachen. Entspringt das Verlangen nach einer besseren Welt Gefühlen von Frustration, Ungeduld oder Groll, ist nachhaltige Verbesserung nur schwer möglich.
Hört man auf, Oma zu verurteilen, weil Fleisch für sie Wohlstand bedeutet, begegnet den Ängsten der anderen mit einem offenen Ohr statt mit Schlachtruf und akzeptiert die Andersartigkeit von Gesellschaften, Kulturen und Geschlechtern, anstatt sie anzupassen oder abzutrennen, spürt man: Das Gute liegt tatsächlich nah. Man braucht nicht in die Welt ziehen, um zu kämpfen, sondern kann sich nach innen wenden und sich selbst verändern.
Anstatt den ökologischen Fußabdruck der neuen Socken zu recherchieren, kann man den Blick nach innen richten. Ganz nach dem Motto: weniger Aktivismus, mehr Ursachenforschung. Dadurch wird nach und nach deutlich, welches Unheil auch die besten Absichten anrichten können, wenn diese aus Gier, Hass oder Wahn entspringen. Die Erkenntnis ist vielleicht unangenehm, aber für langfristige und nachhaltige Veränderung besser.
Wer bereit ist, für das Wohl der gesamten Welt den Errungenschaften unserer Wohlstandsgesellschaft zu entsagen und auf persönlichen Vorteil zu verzichten, der reiche die erste Hand. Am Buffet zeigt sich tatsächliche Bereitschaft zur Besserung der Welt: Schnappt man sich das letzte Stück Kuchen, weil man gute Gründe dafür findet, lässt man es liegen, weil es dem Zeitgeist entspricht oder teilt man vielleicht? Erkennt man in sich selbst, dass sich Wasser leicht predigt, aber Wein besser mundet, ist viel erreicht.
Innerhalb des Bewusstwerdungsprozesses kann man Gefühle wie Gier, Geiz oder Neid kennenlernen. Nicht nur im unersättlichen Buffetgast, im maßlosen Konsumenten oder im korrupten Politiker, sondern in sich selbst. Kommt man dabei in Kontakt mit der Angst, zu wenig zu bekommen, entdeckt man den wirklichen Grund, warum Weltverbesserung ein langwieriger Prozess ist, der im Menschen selbst beginnen muss.
Gelingt es, das eigene und fremde So-Sein auszuhalten, kann man damit beginnen, Begehren ebenso wahrzunehmen wie Ärger, der sich einstellt, wenn das Dessert ausgeht. Frust, wenn sich daraufhin Wut zeigt, und Geiz, wenn es beim nächsten Mal vorsichtshalber etwas mehr sein darf. Ist man sich seiner eigenen Gefühle bewusst, bringt es Klarheit.
Bevor man im Namen der Weltverbesserung aktiv wird, ist es wertvoll, sich der Impulse dahinter klar zu werden. Sie entscheiden, ob das eigene Handeln heilsam oder unheilsam ist. Entspringt es Überforderung, Ohnmacht und Angst oder speist es sich aus Verständnis, Mitgefühl und Wohlwollen für sich selbst und andere? Ist man sich der Absichten des eigenen Handelns bewusst, kann man entscheiden, ob es besser wäre, eine Hand zu reichen oder eine Grenze zu ziehen.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 112: „Für eine bessere Welt"
Ganz gleich, auf welche Art man dazu beitragen möchte, die Welt zu einem besseren Ort zu machen: Um Gutes zu tun, sollte man einfach nur weniger Schaden anzurichten. Schadstoffarmes, sprich heilsames Handeln entsteht von innen heraus. Schadet man sich selbst weniger, indem man sich verurteilt, straft oder vernachlässigt, strahlt das aus, steckt an und zieht Kreise vom Kleinen zum Großen. Je weniger Streit mit den Nachbarn, desto weniger Krieg in der Welt. Je weniger Selbstsucht am Buffet, desto mehr Wohlstand für alle. Je mehr Vergebung in Freundschaften, desto weniger Konflikte zwischen Grenzstaaten.
Auf dem Weg zu einem ehrlichen Selbst darf man sich darin üben, verständnisvoller auf die eigenen Unvollkommenheiten zu reagieren. Je weniger man sich verurteilt, desto nachsichtiger ist man mit dem Fehlverhalten anderer Menschen. Aus diesem Verständnis erwächst Mitgefühl. Anstatt in eine Opfer- oder Täterposition zu versinken, entsteht geteilte Menschlichkeit. Dieser Prozess darf in Stille geschehen und strahlt ganz von allein nach außen, ohne dass man seine Umgebung mit einer Fülle von Erkenntnissen zu überfordern braucht. Auch geht es nicht darum, sofort ein besserer Mensch zu sein und damit in die Selbstoptimierungsfalle zu tappen, sondern immer wieder Bewusstsein und Mitgefühl aufzubringen und darauf zu vertrauen, dass tiefe Veränderung ein Prozess ist, den man zwar anstoßen, aber selten steuern kann.
In Anbetracht der natürlichen Perfektion des Lebens braucht es vielleicht keine bessere Welt, sondern ein heileres Selbst. Anstatt mehr tun – weniger schaden. Statt unfehlbarem Ziel, einen Weg, an dem man sich orientieren kann. Eine Richtung, in die man sich lehnt: nach innen. Auf diesem Pfad darf man stolpern, pausieren und gelegentlich auch kehrtmachen, um sich das letzte Stück Kuchen einzuverleiben. Lässt man es sein, die Welt zu verbessern, und stößt Veränderung im eigenen Innenraum an, kann man feststellen, dass sich das Leben verwandelt, während ganz nebenbei etwas Gutes entsteht.