nayphimsex

Leben

Soziale Medien wie Facebook oder Instagram sind nur vermeintlich sozial. Sie können Narzissmus fördern und langfristig einsam und unglücklich machen.

Erst neulich an der Bushaltestelle: Auf der gegenüberliegenden Straßenseite steht ein Mädchen, so um die 16 Jahre vielleicht. Sie schießt im Schein einer Leuchtreklame ein Selfie, dann noch eines und nach kurzem Blick auf das Display ihres Handys noch drei oder vier weitere. Dieser Ablauf wiederholt sich noch ein paar Mal. Und dabei ist sie so vertieft, dass sie um ein Haar den Bus verpasst hätte.

Die Suche nach dem perfekten Bild von sich selbst mag für manche vielleicht befremdlich wirken, für Jüngere ist es nicht ungewöhnlich. Denn schließlich geht es darum, sich auf irgendeiner der zahlreichen sozialen Online-Plattform bestmöglich zu präsentieren. Rund dreieinhalb Stunden täglich verbringen Jugendliche zwischen 16 und 24 Jahren in Social-Media-Netzwerken, das hat eine Umfrage des Datenerhebungsspezialisten Statista ergeben. Aber auch Ältere sind ständig online. So attestiert Statista, dass der Online-Tageskonsum in der Altersgruppe der 55- bis 64-Jährigen beinahe zwei Stunden beträgt.

Instagram und Facebook erfreuen sich also astronomischer Nutzerzahlen – und prägen Generationen. Die Frage ist: Woher kommt diese Anziehungskraft? Es gibt unterschiedliche Erklärungsversuche. „Das Verlangen nach Gemeinsamkeit ist etwas sehr Archaisches“, sagt die Psychologin Liraz Margalit, die für den Web-Analysten Clickrate das globale Online-Verhalten erforscht. „Social Media sind äußerst effektive Kommunikationsmedien, die den zwischenmenschlichen Umgang dabei aber auf ein absolutes Minimum reduzieren“, sagt Margalit. Sämtliche Komplikationen, die zwischen Menschen auftreten können, seien dabei nämlich ausgeklammert – und man muss sich nicht einmal die Mühe machen, andere persönlich zu treffen. Zudem entscheiden sich die meisten ausschließlich für die Kommunikation mit Gleichgesinnten. Insofern gaukeln die sozialen Netzwerke eine Wirklichkeit vor, wie es sie in der realen Welt in dieser konzentrierten Form gar nicht gibt. Egal, welches Interessensgebiet, es ist stets nur einen Klick entfernt.

Aber es geht nicht nur um thematische Fachgebiete und Informationskonsum. Wer kommunizieren will, muss sich auch präsentieren und deshalb spielt die Selbstdarstellung eine enorm große Rolle. Das Gute: Wie man sich präsentiert und wie man rüberkommen will, obliegt zur Gänze der Kontrolle des Nutzers. „Wir leben in einer Inszenierungsgesellschaft“, konstatiert Beate Großegger, Leiterin des Instituts für Jugendkulturforschung, die den gesellschaftlichen Wandel durch moderne Kommunikationsmittel seit vielen Jahren untersucht. Selbstdarstellung ist dabei der Dreh- und Angelpunkt. Das Prinzip sei einfach. Regel Nummer eins: „Was du hast, musst du auch herzeigen, sonst zählt es nicht, sonst kannst du damit weder Aufmerksamkeit noch Anerkennung finden“, sagt sie. Und Regel Nummer zwei sei: „Erfolg hat, wer sich gut präsentieren kann. Dieses Prinzip gilt heute in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens. Und es findet eben auch im Alltag der Jugend seinen Platz. Mit den Selfies bricht die Generation Facebook die Leitwerte einer erfolgsorientierten Inszenierungsgesellschaft auf die populäre Jugendkultur herunter.“

Soziale Medien


Ständige Selbstdarstellung

Äußerlichkeiten und Selbstinszenierung sind deshalb zentrale Eigenschaften und Fernsehen, Film und Online-Medien die Inspirationsquellen dafür. „Jugendliche, die Selfies online stellen, sind Selbstdarsteller und zugleich Zuschauer der eigenen Selbstdarstellung, aber auch scharfe Beobachter des mit der eigenen Selbstdarstellung erzielten Feedbacks“, so Großegger. „Wer sich zeigt und dabei von anderen nicht nur gesehen, sondern auch positiv bewertet wird, verschafft sich ein befriedigendes Gefühl und empfindet so etwas wie Selbstgenuss.“
Der Selbstgenuss wiederum hängt allerdings zu einem Großteil vom direkten Feedback in Form von ‚Likes‘ und positiven ‚Kommentaren‘ ab. Und hier laufen die User Gefahr, in eine Art Narzissmus zu verfallen, im extremsten Fall eine krankhafte Form der Egozentriertheit. Man schart möglichst viele Follower um sein virtuelles Alter Ego, badet quasi in ‚Likes‘. Und immer ist es eine Zahl, die die Beliebtheit auf einen Nenner zu bringen scheint.

Für ‚Likes‘ leben
Wie die Meta-Studie ‚Narcissism and Social Networking Behavior‘ zeigt, besteht eine Korrelation zwischen dem Gebrauch sozialer Medien und dem Aufkommen ungesunder Selbstverherrlichung. Vor allem Plattformen wie Facebook und Instagram begünstigen solche Entwicklungen, denn sie basieren auf dem ständigen Vergleich. Wer bekommt mehr Likes, ist zum Beispiel ein Messfaktor für Erfolg. Viele ‚Likes‘ verursachen im Kopf eine Art Euphorie. Noch eine Falle in den sozialen Medien: Der ständige Vergleich mit den anderen. In dieser Grundstimmung können Gefühle wie Neid und Missgunst entstehen.

Bleiben gute Beurteilungen auf Instagram oder Facebook hingegen aus, kann es mitunter auch passieren, dass Selbstzweifel aufkommen, die im Extremfall und auf lange Sicht betrachtet sogar zu depressiven Zuständen führen können. Es kommt ganz auf die Sensibilität eines Online-Users oder einer Online-Userin an.

Jedenfalls haben soziale Online-Medien das Potenzial, emotionale Schwankungen zu verursachen. Sie zeigen sich, das haben zahlreiche Experimente sehr eindrücklich bewiesen, als Hormonschwankungen. Selbst die Ekstase, die bei einem User etwa ein gut bewertetes Bild mit sich bringen kann, ist ein zweischneidiges Schwert. Die anfängliche Freude ist meist nur von kurzer Dauer. Ist diese erst einmal abgeklungen, kommt das Verlangen nach Bestätigung zurück. Dann postet man wieder, ein Teufelskreis tut sich auf. Mitunter geraten Menschen dadurch in eine Art Suchtverhalten, in eine nicht-substanzgebundene Sucht, wie es Experten nennen.

In der 2017 durchgeführten Studie mit dem Titel ‚A Comparative Study on Social Media Usage and Health Status among Students Studying in Pre-University Colleges of Urban Bengaluru‘ zeigten sich bei einem Drittel der 1.870 Probanden klare Zeichen von Abhängigkeit, oftmals begleitet von Schlafstörungen und emotionaler Unausgeglichenheit. Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangte die Untersuchung ‚Individual Differences and the Development of Internet Addiction: A Nationally Representative Study‘ aus dem Jahr 2018. Social Media-Sucht, so die Autoren, sei ein ernstzunehmendes und oftmals unterschätztes Problem und zeigt Gemeinsamkeiten mit Glücksspiel- oder Drogenabhängigkeit. In der Zwischenzeit erobert das Smartphone als Zutrittstool in die Online-Welt jedoch Schritt um Schritt immer mehr Lebensbereiche im Alltag und bemächtigt sich mit seinen Mechanismen zum Zeitmanagement, zum Aufwecken am Morgen, zum Fotografieren oder sogar zum Meditieren des Alltags der Menschen – und das rund um den Globus.

Nicht jeder Social-Media-User ist prädestiniert für obsessives Verhalten oder die Entstehung narzisstischer Wesenszüge, doch gerade für jene, die auf der Suche nach einer besseren Version ihrer eigenen Person sind, werden die sozialen Medien wahrscheinlich kaum eine Lösung bieten. Echten zwischenmenschlichen Kontakt wie in der Realität wird man in den Chatrooms kaum finden. „Es geht um ein Nutzen in Maßen“, sagt Großegger. Das Mädchen an der Bushaltestelle jedenfalls war auf der Suche nach dem bestmöglichen Bild ihrer selbst. Vielleicht mochte sie sich nicht, so wie sie ist. An dieser Grundeinstellung werden jedoch auch Hunderte Selfies nichts ändern können.

Weitere Artikel zu diesem Thema finden Sie hier

Bild Header © dole777 Unsplash

Bild Teaser und klein © Unsplash / Amy Humphries

Kommentare  
# Wolf Ondruschka 2020-07-01 11:09
Der Mensch will halt geliebt werden, drum macht er dauernd Bilder von sich - mit und ohne Kamera...
Antworten | Antworten mit Zitat | Zitieren
# Nancy M Schreiber 2020-07-01 11:10
Es gibt Leute,die brauchen gar keine Form einer Bestätigung-sie lieben Selbstdarstellung und Inszenierung unabhängig vom Feedback.Klar,wenn es ans Eingemachte geht-jemand legt den Finger drauf-,bemerkt man dann schon eine gewisse Empörung : ) Trotzdem denke ich,dass "gesehen werden" (vielleicht im besten Wortsinne auch ein 'gelesen' - individuell wahrgenommen)eine archaisch verwurzelte Sache ist.Bevor man also auf Jugendliche im Reifeprozess zeigt...-Warum stellt sich der "Narzissmus" der spirituellen Szene eigentlich als blinder Fleck dar?-Darum kann man hier-in Ursache\Wirkung-so gut wie keinen Dharma finden!
Antworten | Antworten mit Zitat | Zitieren
Kommentar schreiben

Gemeinsam machen wir den Unterschied Unterstutze uns jetzt 1