Intuition ist eine menschliche Gabe zwischen Unbewusstem und Handlungsantrieb – Analyse eines komplexen Gefühls.
Bei mir ist es ein Ziehen im Bauch. Das ist mein Signal, dass etwas nicht stimmt. Es fühlt sich ein bisschen an wie Zahnweh, aber eben im Bauch. Und es tut auch nicht wirklich weh, aber es zieht. Wenn ich versuche, darüber hinwegzugehen, wird es stärker. Es wird zu einem Druck in der Magengrube, der sich nur noch schwer ignorieren lässt. Oft weiß ich nicht, was da nicht stimmt. Doch ich habe im Laufe meines Lebens gelernt, dieses Signal ernst zu nehmen. Immer wieder hat sich gezeigt, dass dieses Unwohlsein gute Gründe hatte. Dass da tatsächlich etwas nicht stimmte.
Es kann das scheinbar wahnsinnig attraktive und vor allem lukrative Angebot sein, das mir vor vielen Jahren unterbreitet wurde, bei einem Multi-Level-Marketing-Unternehmen einzusteigen. Oder die Anziehung eines unfassbar charismatischen, über alle Maßen erfolgreichen, selbstbewussten und offensichtlich hochintelligenten Lebenslehrers, der anscheinend genau weiß, wie mein Leben auch endlich so richtig toll wird. Es sind Beispiele, die eine typische Dynamik zeigen: Neben dem Signal im Bauch, dass etwas nicht stimmt, gibt es immer auch eine starke Anziehung. Diese Anziehung kann das Signal einfach übertünchen. Wir wollen es gar nicht wahrnehmen, wir wollen der Anziehung folgen. Wir wollen das Versprechen glauben, das Ziehen im Bauch einfach als Widerstand abtun oder als Angst vor Erfolg oder als niedriges Selbstwertgefühl. Was auch immer die Erklärung ist, die wir uns zurechtbasteln, oft unterstützen uns auch unsere Verführer.
Was zieht mich an?
Interessanter als das Signal im Bauch finde ich es zunächst, die Anziehung selbst zu hinterfragen. Meiner Erfahrung nach gibt es hier vor allem zwei Grunddynamiken, die eine sehr starke Anziehungskraft auslösen können: Gier und Angst. Sie sprechen uns auf einer basalen Instinktebene an, die wir leicht mit echter Resonanz verwechseln können. Echte Resonanz ist, paradoxerweise, nicht begründbar. Das zeigt auch die wissenschaftliche Intuitionsforschung. Eines der Merkmale echter Intuition ist, dass sie nicht begründbar ist. Wenn ich mich also zu etwas hingezogen fühle, tue ich gut daran, zu fragen, was mich anzieht. Ist es die Hoffnung auf schnelles Geld, großes Glück, eine bessere Welt? Und steckt in dieser Hoffnung eine Angst vor Mangel, Unglück, Apokalypse?
Es ist nichts falsch an diesen Hoffnungen und Ängsten. Doch wenn sie gezielt angesprochen werden, können sie uns blind und taub machen für unser Gefühl von Stimmigkeit. Deshalb ist es gut, wach mit ihnen zu sein. Und die Anziehung, die durch Gier und Angst entsteht, ist nicht das, was ich mit echter Resonanz meine. Echte Resonanz liegt tiefer und kann eben nicht so leicht begründet werden. Sie ist unabhängig von unserer Gier und unserer Angst. Sie ist eher ein stilles, klares, tiefes Ja zu etwas, dem unser Verstand oft gar nicht folgen kann, das wir jedoch in jeder Zelle unseres Körpers spüren. Vielleicht obwohl der Kopf sagt, dass das Wahnsinn ist. Und vielleicht, obwohl wir viel Angst haben.
Was stößt mich ab?
Wenn ich eine Anziehung zu etwas genauer untersucht und dabei festgestellt habe, dass es tatsächlich eine echte Resonanz ist, wende ich mich meiner Ablehnung zu. Was ist es, das mich abstößt? Ich versuche, das nicht rational zu begründen. Ich weiß, dass unser Verstand ein sehr kreativer Geselle ist, der sich im Nullkommanichts die tollsten Gründe ausdenken kann. Egal, wie plausibel sie sich anhören, die Wahrscheinlichkeit, dass sie etwas mit der Ablehnung zu tun haben, ist sehr gering. Sie sind Fantasiegebilde.
Wenn ich der Ablehnung wirklich auf den Grund gehen will, gilt es, meinen Bauch zu befragen. Ich wende mich dem Ziehen selbst zu und leihe ihm meine Stimme. Auch hier gilt: Begründungen stehe ich skeptisch gegenüber. Wenn es heißt: „Das ist einfach zu schön, um wahr zu sein.“ Oder: „Die sind mir einfach zu aalglatt.“ Oder: „Das klappt sowieso nicht.“ – dann haben die Widerstände erfahrungsgemäß mehr mit mir zu tun als mit dem anderen. Es sind meine Unzulänglichkeiten, Neidthemen, Ängste, die sich als Widerstände äußern. Das ist zwar kein Grund, sie einfach zu übergehen, aber es ist sehr wertvoll, sich darüber im Klaren zu sein, mit was ich es zu tun habe.
Wenn es hingegen unbegründbar bleibt und alles, was sich zeigt, weiterhin ein „Da stimmt was nicht – lass die Finger davon“ ist, dann ist das für mich ein starker Hinweis, dass es sich um echte Intuition handelt. Und manchmal ist es eine Mischung von beidem: persönliche Widerstände und echte Intuition.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 107: „Guru, Meister und Verführer"
Der Umgang mit Widerständen
„Das sind nur deine Widerstände“ ist ein Satz, den man in der Szene spirituell bewusster oder an persönlicher Entwicklung interessierter Menschen öfters hört. Mich hat das Abwertende an diesem Satz immer gestört. Warum ‚nur‘? Dieses Wörtchen suggeriert, dass Widerstände nicht wichtig sind, legt nahe, dass diese übergangen werden können.
Zumindest auf meinem Weg hat sich das nicht bewahrheitet. Unsere Widerstände gehören zu uns – genau wie unsere Gier, unsere Angst, unsere Intuition und unser Verstand. Viel interessanter, als einzelne Teile abzuwerten, finde ich es, sie in ein gesundes Verhältnis zu bringen. Widerstände können wertvoll sein. Sie können uns davon abhalten, einen Weg einzuschlagen, der eigentlich für uns nicht stimmig ist. Oder sie können dafür sorgen, dass wir uns langsamer fortbewegen. Denn das ist es, was Widerstände machen: Sie halten uns zurück. Das kann wertvoll sein, vor allem für jene, die mit 180 Sachen durchs Leben heizen. Oder es kann zu Stagnation führen, wenn man eher der träge Typ ist.
Stillstand oder Überschall?
Anziehungen oder Impulse sind wichtige Motoren, um uns im Leben voranzubringen – selbst wenn sie aus Gier oder Angst gespeist sind. Wenn wir sehr begeisterungsfähig sind, springt unser Motor leicht an und wir sind schnell dabei – wo auch immer. Das kann eine sehr schöne Qualität sein, sie kann jedoch zur Folge haben, dass wir ab und zu mit Vollgas in eine Sackgasse rasen. Hier sind Widerstände wichtig, weil sie uns entschleunigen. Wir tun gut daran, auf sie zu hören, wenn eine Begeisterungswelle uns mitreißen will.
Es gibt aber auch Menschen, die eher zur Stagnation tendieren. Bei ihnen wird jedes Fünkchen Begeisterung im Keim von riesigen Widerständen, Befürchtungen, Bedenken erstickt. Dann kann es sehr guttun, gerade einer unbegründbaren Resonanz einfach mal zu folgen – auch wenn es Angst macht. Wenn man es in kleinen, harmlosen Situationen ausprobiert, kann man lernen, diesen Impulsen zu vertrauen.