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Leben

Wie Menschen mit Menschen sind: Wie wir Gewalt überwinden und was wir von unseren Artverwandten, den Affen, über Stärke und Schwäche lernen können.

Um sich Gedanken darüber zu machen, wie wir in menschlichen Gesellschaften Frieden schaffen, muss man sich zuerst mit den Formen und Wurzeln der Aggression auseinandersetzen. Gewalt gegen andere tritt in sehr vielfältigen Formen auf, am deutlichsten zeigt sie sich bei körperlichen Attacken. Aber bereits in so einem Fall kann ein Opfer, das sich wehrt und zurückschlägt, genauso gewalttätig sein. Vielleicht war der erste Angriff wiederum auch nur eine Reaktion auf eine vorangegangene verbale Attacke. Mobbing, also wiederkehrende, meist nicht körperliche Angriffe auf eine schwächere Person, ist eine Form der Aggression, die erst spät in den 1990er-Jahren ins öffentliche Bewusstsein gelangt ist. Zu diesem Verhaltensspektrum gehört auch das Zerstören oder Beschädigen des Eigentums anderer. Die meisten kennen in ihrem engeren Bekanntenkreis sicherlich zumindest einen Menschen, der sich gegen eine ‚Bedrohung‘ dadurch gewehrt hat, dass er wegen einer Lärmbelästigung die Polizei gerufen hat oder sich über Nachbarn bei der Hausverwaltung beschwert hat. In diesen Fällen soll Gewalt durch Dritte ausgeübt werden, zur Beilegung des zugrundeliegenden Konflikts tragen diese aggressiven Verhaltensweisen aber fast nie bei.

Heute spricht kein ernstzunehmender Forscher mehr von ‚Trieben‘, die das Verhalten von Menschen steuern.

Die Liste gewalttätiger Erscheinungsformen lässt sich um viel schwerwiegendere Beispiele fortsetzen: von Kindesmisshandlungen und häuslicher Gewalt über Hooliganismus, Jugendbanden bis zu ethnischen Pogromen und Krieg. Folgt man den Berichten in den Medien, dann entsteht leicht der Eindruck, dass aggressive Handlungen in unserer Gesellschaft zunehmen würden. Oft ist auch von einer Brutalisierung der modernen Welt zu lesen. Überraschenderweise gibt es dafür aber keine faktischen Belege. Kriminologische Studien zeigen beispielsweise, dass es seit 2007 einen erkennbaren Rückgang der Auseinandersetzungen mit Körperverletzung unter Jugendlichen gegeben hat.

Der US-amerikanische Experimentalpsychologe und Kognitionswissenschaftler Steven Pinker stellte bei der Analyse einer Fülle historischer Daten in seinem 2011 erschienenen Buch ‚Gewalt: Eine neue Geschichte der Menschheit‘ fest, dass Morde in Europa seit dem Mittelalter auf ein Zehntel, in manchen Ländern sogar auf ein Fünfzigstel zurückgegangen sind.

Seit dreihundert Jahren ist die Sklaverei offiziell abgeschafft und seit dem Zweiten Weltkrieg haben die großen Nationen keinen Krieg mehr gegeneinander geführt. Eine Wende zum Besseren und zu einer friedvolleren Welt? Zumindest im Großen betrachtet gibt es heute mehr Bewusstsein und Sensibilität für Formen der Aggression: Religiöse und ethnische Minderheiten genießen zunehmend offiziellen Schutz, Diskriminierung von Frauen und Menschen mit anderer sexueller Orientierung wird immer weniger toleriert und die veganistische Bewegung schafft sogar Bewusstsein für Gewalt gegen Tiere. Und gerade deswegen müssen wir uns verstärkt mit der Frage auseinandersetzen, auf welcher humanökologischen und psychologischen Basis menschliche Aggressionen entstehen.

Gewalt

Lange Zeit gab es nur drei Erklärungen für die Ursachen der Gewalt: ein angeborener Aggressionstrieb, eine Reaktion auf Frustrationen oder sozial erlerntes Verhalten waren die Begründungen seitens der Wissenschaft für die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Menschen. Der Verhaltensforscher Konrad Lorenz schrieb 1963 in seinem Buch ‚Das sogenannte Böse‘ über den Ursprung der Aggression, die er als ‚innerartlichen, auf den Artgenossen gerichteten Kampftrieb von Tier und Mensch‘ postulierte. Dafür wurde er zu Recht vielfach kritisiert, da er Gewaltausübung eben nur als ‚sogenanntes Böses‘ definierte und einen arterhaltenden Sinn im Überleben der Stärkeren erkannte. Heute spricht kein ernstzunehmender Forscher mehr von ‚Trieben‘, die das Verhalten von Menschen steuern. Und auch die These einer vererbten Neigung zur Aggression wird nicht einmal mehr bei der Diskussion über die sogenannten ‚Kampfhunde‘ angeführt.

In langjährigen Studien hat der Biologe Robert Sapolsky das Stressverhalten wilder Paviane untersucht. Auf den ersten Blick schien immer das stärkste und aggressivste Männchen in der Gruppe den meisten Erfolg – also Futter und Geschlechtspartnerinnen – zu haben. Doch aggressives Verhalten hat auch seinen Preis: Nicht nur äußere Verletzungen, sondern auch die gesundheitlichen Folgen eines stressreichen Lebens an der Spitze forderten meist ihren Tribut und verkürzten das Leben der Alphamännchen. Überraschenderweise hatten diese auch nicht die meisten Nachkommen, da sie viel Zeit in Rivalenkämpfe investieren mussten. Diese Abwesenheit nutzen meist die Nummer zwei und drei in der Affenhorde, um mit den Weibchen zu kopulieren. Das biologische Argument des evolutiven Erfolgs von Aggression scheint damit auch im Tierreich nicht zu funktionieren.

Sozialwissenschaftler wiederum versuchten auszumachen, ob man bei bestimmten Gruppen in der menschlichen Gesellschaft eine erhöhte Gewaltbereitschaft faktisch feststellen kann. Interessantes Detail der Auswertungen: Nicht Jugendliche, sondern Kinder ab dem dritten Lebensjahr setzen die meisten aggressiven Handlungen gegenüber anderen. Natürlich können junge Menschen durch ihre Körperkraft oder Waffen deutlich schwerwiegendere Aktionen als Kinder setzen. Gewalttätiges Verhalten bleibt aber bei dieser Altersgruppe auch nur auf eine kleine Minderheit beschränkt, die dann aber durch ihre regelmäßigen antisozialen Taten besonders häufig auffällig wird.

Affen stellen freundschaftliche Kontakte innerhalb von wenigen Minuten wieder her, während Menschen nach einem Streit oft Tage, Monate oder Jahre dafür brauchen.

Bei statistischer Auswertung der Daten zeigt sich, dass Männer zumindest in der Gesamtbilanz häufiger aggressives Verhalten ohne vorausgehende Provokation zeigen. Doch vor einer Pauschalierung sei gewarnt: Auch hier sind es nur einige Männer, die dafür aber eine lebensbegleitende Gewaltbilanz aufweisen. Für Psychologen und Humanmediziner ist so ein geschlechtstypischer Unterschied natürlich von großem Interesse. Die Hypothese, dass höhere männliche Aggressivität durch das Hormon Testosteron zu erklären wäre, dürfte nach neueren Befunden nicht mehr so linear als Erklärung funktionieren. Viel eher besteht ein Zusammenhang zwischen Lernen und Erfolg. Wer durch konstruktive Handlungen in einer Sache nicht zum Erfolg kommt, der probiert es dann schon einmal mit Gewalt. So etwas kann sich auch nur in Form des Geschreis eines Babys oder als Wutausbruch zeigen. Hat man damit Erfolg, dann leitet es zur Wiederholung an und verfestigt dieses Verhalten. Studien belegen, dass hochaggressive Menschen in ihrer Entwicklung kaum Erfahrungen gemacht haben, die ihnen die Grenzen ihres Handelns aufgezeigt hätten.

Was lernen wir aber aus all diesen Erkenntnissen für eine friedliche Gesellschaft? Frans de Waal, ein renommierter niederländischer Zoologe und Verhaltensforscher, schrieb dazu im Vorwort zu seinem lesenswerten Buch ‚Wilde Diplomaten‘: „Wissenschaftler, die sich mit Aggression befassen, haben dennoch ganz und gar die Mittel und Wege ignoriert, mit deren Hilfe die Flammen der Aggression gelöscht werden. Wir wissen eine ganze Menge über die Ursachen für feindseliges Verhalten bei Tieren als auch bei Menschen, bei den Hormonen und der Gehirnaktivität angefangen bis zu den kulturellen Einflüssen. Über die Möglichkeiten, Konflikte zu vermeiden oder wie – wenn sie doch auftreten – Beziehungen danach wiederhergestellt und normalisiert werden, wissen wir aber so gut wie nichts.“ De Waal forschte dazu bei Schimpansen, die ebenso wie wir untereinander Freunde und Rivalen sind, sich streiten, aber gleichzeitig auch ein starkes Verlangen nach Tröstung und freundlichem Körperkontakt haben. Auch Schimpansen wissen, dass sie manchmal eine Auseinandersetzung nicht gewinnen können, ohne dabei einen Freund zu verlieren.

Dafür gibt es nur zwei Lösungen: Entweder vermeiden sie diesen Wettkampf oder sie bemühen sich darum, die soziale Beziehung im Nachhinein wieder zu kitten. Die eine Strategie nennen wir Toleranz, die andere Versöhnung. Auch wir kennen diese Optionen, aber der Unterschied zwischen uns und unseren nächsten Verwandten besteht vor allem in der zeitlichen Dauer: Affen stellen freundschaftliche Kontakte innerhalb von wenigen Minuten wieder her, während Menschen nach einem Streit oft Tage, Monate oder Jahre dafür brauchen. Manchmal wird dieser soziale Bruch sogar über Generationen weitergegeben, was wir vor allem bei nationalstaatlichen und ethnischen Konflikten sehen.
Vielleicht können wir uns bei unseren Versöhnungsstrategien in diesem Fall an den Schimpansen orientieren. Frieden zu stiften sollte uns dann zumindest ebenso leichtfallen, wie Kriege zu führen.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 101: „So schaffen wir Frieden"

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Peter Iwaniewicz ist Biologe und Journalist. Er unterrichtet an der Universität Wien Wissen-schaftskommunikation und ist Autor zahlreicher Bücher.

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Dr. Peter Iwaniewicz

Dr. Peter Iwaniewicz

Peter Iwaniewicz ist Biologe, Journalist und Kulturökologe. Er unterrichtet an der Universität Wien Wissenschaftskommunikation und ist Autor zahlreicher Bücher.
Kommentare  
# Sandra 2019-04-09 14:15
Leider wissen einfach zu viele Menschen nicht mit ihren Gefühlen umzugehen.
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