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Leben

Endlich Ruhe. Meditieren heißt leben. Hoffentlich schläft mir nicht wieder mein linker Fuß ein.

Unsere Nachbarin Martha (Name von der Redaktion geändert) ist ein Buddha. Zu unseren Hühnern sagen wir in letzter Zeit ‚Huhner‘, da wir zu unseren Hunden ‚Hünde‘ sagen. Diese Mehrzahl hat Hannah kreiert, mit etwa vier Jahren. Eigentlich logisch. Die Hühner haben auch Anspruch auf eine persönliche Kreation ihrer Mehrzahl. Beim Laufen tut mir in letzter Zeit mein linker Vorfuß weh. Bei den Yoga-Übungen mit Vorbeugen merke ich in letzter Zeit, wie ich zugenommen habe: Der Bauch ist vermehrt im Weg. Hoffentlich gehen sich alle Stücke auf der Bach-Hindemith-CD, die ich gerade aufnehme, aus. Von der Länge her, meine ich. 78 Minuten maximal für eine Audio-CD. Na ja, sonst muss ich die Stücke noch schneller spielen. Ich sollte wirklich wieder weniger am Abend essen, wegen dem Bauch und der Gesundheit und so. Oder einfach früher. Eigentlich steht eh alles in meinem Buch. Vielleicht sollte ich es selber einmal lesen ... Wieso muss ich immer etwas tun, damit es mir gut geht und ich glücklich bin? Kann ich nicht ‚einfach so‘ glücklich sein? Und überhaupt, wieso muss ich denn glücklich sein? Wie viele Minuten sind denn jetzt schon vergangen? Was ist mit mir heute nur los? ... Solche und ähnliche Gedanken gehen mir durch den Kopf, wenn ich meditiere; wenn ich meditiere und nicht in meiner Mitte bin. Nicht, dass mich diese Gedanken stören. Nur derzeit lenken sie mich ab. Und sie lösen Emotionen aus. Und diese wiederum bringen mich von meiner Mitte weg. All das sollte mich nicht stören. All das sollte ich ‚ziehen lassen können wie Wolken am Himmel‘, was ich aber gerade nicht kann. Es gibt Menschen, die müssen nicht viel tun und sind einfach in ihrer Mitte, sind in Harmonie mit ihrer Umgebung und ihrem Leben. Zu diesen Menschen gehöre ich gerade nicht. Aber Martha, unsere Nachbarin. Sie ist ein kleiner Buddha. Immer wenn wir sie treffen, erinnert sie uns an das, worum es wirklich geht. Urlaub macht sie immer daheim, weil es ‚bei uns sowieso am schönsten ist‘. Wenn wir mit ihr reden, entsteht oft eine für uns peinliche Stille, die wir immer füllen müssen. Doch Martha hält die Stille und lächelt. Sie ruht. Gestern war es spiegelglatt auf unserer Straße und sie hat uns das Paket über die Straße gebracht, damit WIR uns nicht verletzen. Heute waren wir beim Spar, dort arbeitet sie. Sie ist schon um 3 Uhr 30 aufgestanden. „Uje!“ Nein, gar nicht schlimm, sagt sie, sie sehe immer nur das Positive. Die negativen Gedanken lasse sie ganz weg. Unsere Nachbarin ist ein kleiner Buddha. Sie beschämt uns, wir mit unseren ‚großen Gedanken‘ sind oft so unglücklich. Aber wir lernen. Von ihr. Und darum geht es wohl im Leben: lernen, offen sein für alles und alle und Veränderung zulassen. Und damit alles ein bisschen leichter für uns ‚Normale‘ zu schaffen ist, gibt es ‚geführte Wanderungen‘ durch das Leben. Eine solche ist Yoga. Und das Ziel ist ‚die allumfassende Liebe‘. Zu abstrakt? Na gut, ich beginne am Anfang: Die Grundidee des Yoga ist es, eine Balance zwischen dem Körper, dem Atem und dem Geist herzustellen. Der Körper, im Gegensatz zur Zen-Praxis, hat eine zentrale Position. Der Körper soll trainiert sein, um zur Ruhe zu kommen. Ein gut gedehnter und gekräftigter Körper lenkt uns nicht ab. Ist der Körper gesund, nehmen wir ihn nicht wahr. Sind die Organe gesund, nehmen wir sie nicht wahr. Sobald ich ein Organ oder einen Teil des Körpers empfinde – „Ich spüre meinen Magen“ –, ist das schon die Vorstufe zur Krankheit. Das Ziel ist die Stille des Körpers und des Atems und des Geistes. Wo der Atem hingeht, reist der Geist mit. Wo der Geist hingeht, reist der Atem mit. Zum Beispiel wird man durch Schmerzen einen gepressten, ungleichmäßigen Atem bekommen und der Geist reist mit. Andererseits wird der Geist zur Ruhe kommen, wenn ich ruhig spazieren gehe, und der Atem reist mit, auch wenn ich Sorgen habe. Ich brauche die Stille des Atems, um in die Stille des Geistes zu gelangen, und ich brauche die Stille des Geistes, um in die Stille des Atems zu gelangen. Und das sind die drei Säulen des Yoga: Regelmäßiges Üben, um Stille in meinen Körper – „ich nehme ihn nicht wahr“ –, meinen Atem – „er wird ein ganz feiner Hauch“ – und meinen Geist – „er ist auf ein Objekt fokussiert“ – zu bekommen. Prana ist die Energie, die im Körper fließt; sie entspricht dem chinesischen ‚Qi‘. Diese ist eng gekoppelt an den Atem, der Prana von außen in den Körper hineinbringt. 

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Es gibt drei Möglichkeiten des Prana-Flusses im Körper:
1. Prana fließt schlecht, wie es bei Krankheiten oder psychischen Störungen der Fall ist. Eine Definition der Gesundheit im Ayurveda ist, dass Prana gut fließt. Im Chinesischen sagen wir, dass ALLES gut fließen muss, um gesund zu sein: Qi, Blut, Flüssigkeiten, Nahrung, Schleim, Hitze.
2. Prana fließt gut im Körper, wenn er in körperlicher Gesundheit ist oder in Entspannung.
3. Der Prana-Fluss ist zentriert. Er fließt wie um eine mittlere Achse, die Energie kann sich störungsfrei in alle Richtungen bewegen. Nur in diesem Zustand kann man sich ‚mit höheren Kräften verbinden‘.
Die Atmung wird ein feiner Hauch, der Geist nimmt eine ganz tiefe ‚vibrierende Stille‘ ein – ‚Nirodha‘ im Sanskrit. Dort wollen wir hin. Unser Ziel ist KAGS (so nenne ich es): Körper, Atem, Geist in Stille. KAGS mit jeder Einatmung, KAGS mit jeder Ausatmung, KAGS mit jedem Asana – körperliche Übung im Yoga –, KAGS in der Meditation, KAGS im Alltag beim Essen, beim Reden, bei der Arbeit und beim Schlafen. Doch in diese Stille komme ich nur mit einem Weg. Unser Geist ist wie ein Affe, daher der Begriff ‚Affengeist‘: Er will ständig beschäftigt sein. Doch das ist nicht sein Wesen, sondern nur seine Sozialisierung. Frisch auf der Welt ist der Geist rein und unverschmutzt, mit großen, staunenden Augen und unvoreingenommener Haltung. Im Laufe des Lebens legt sich ein Schleier auf die Essenz des Geistes. Durch diesen Schleier betrachten wir die Welt und glauben, dass diese so aussieht. Wir müssen lernen zu erkennen, dass wir durch den Schleier sehen und diesen ablegen, um in die Stille, in die Meditation, in KAGS zu kommen.
Ein Weg in die Stille ist Yoga. Yoga bietet uns eine Technik, um in die Stille zu gelangen. Sobald wir dort sind, können wir die Technik wieder fallen lassen. Es ist gut, den Weg zu nehmen. Es ist ein Weg in die Weglosigkeit. Irgendwann braucht man keinen Weg mehr. Im Yoga beginnen wir mit den Körperübungen, den Asanas, um die Körperunruhe zu reduzieren. Das Ziel ist es, ganz still in einer Position verweilen zu können. Die Asana-Praxis ist daher ein wichtiger Teil des Weges Richtung Meditation. Danach kommt Pranayama, die Atemkontrolle oder -führung. Mit dem Atem führe ich den Geist. Der Geist legt seinen Schleier ab. Wenn der Geist völlig offen und ‚unverschleiert‘ ist, muss ich diesen Zustand wahren. Und das geht nur über das regelmäßige Üben und mit Disziplin – Sanskrit ‚Niyama‘. Den Geist behandelt man wie ein kleines Kind: Man gibt ihm etwas zu spielen, zum Beispiel die Vorstellung des Herzpunktes, eines Raumes hinter dem Brustbein. Und in diesem Punkt kann man sich zum Beispiel auch ein Licht vorstellen. In der Aufmerksamkeit reduziert sich nun alles auf diesen einen Punkt, auf das Licht im Herzraum. Körper und Geist existieren nur in diesem einen Punkt. Ich verschließe meinen Geist in dieses eine Objekt. Dann gibt es kaum noch etwas zu tun.
Der nächste Schritt: Verweilen. Ich bleibe einfach, lasse die Atmung fließen, lasse jede Anstrengung und Spannung in Körper und Geist und Gesicht und Atmung los. „Der Herzpunkt sieht mich.“ ER macht es. Sein, als ob man nicht das Geringste tut. Ich bin nicht mehr der Meditierende. Das eigene Tun verliert alle Bedeutung. Wir tun gar nichts. Wir existieren, aber tun nichts. Meditation als Zustand. Ich ergebe mich dem Herzpunkt. Auch dieser Punkt ist kein Objekt mehr. Dieser Punkt wird alles. Er ist nur ein Symbol für alles. Das Thema löst sich auf, weil alle Themen sich entfalten. In diesem Zustand unterscheidet man nicht mehr. Dieser Zustand ist Samadhi – ‚Versenkung, Sammlung‘. Stellen Sie sich vor, Sie lieben einen Menschen und sind deshalb ganz tief auf diesen Menschen fixiert. Er übt einen Sog auf Sie aus. Sie müssen nichts dazu tun. Diese Liebe ist. Diese Liebe soll nicht in Vernarrtheit oder Selbstzerstörung münden, sondern in die große Liebe zu allem. Wenn Sie nun den Yoga-Weg gehen, ist es das Ziel, diese Liebe auf alle Menschen und die gesamte Welt zu übertragen. Sie löst sich von einem Objekt und geht auf alle über. Das ist Samadhi. Von dieser Liebe sprechen alle Religionen und alle geben sie uns Wege, wie wir dorthin gelangen können. Die Methode, die man wählt, um in diesen Zustand zu gelangen, ist wie eine theologische Diskussion. Der Weg ist nur der Weg, den ich dann abstreife, sobald ich am Ziel bin. Das Ziel ist immer das gleiche.
Der Yoga-Weg führt zum Ziel ohne die Vorstellung einer Gottheit, schließt aber den Glauben an eine solche nicht aus. Yoga ist ein Weg und sieht sich nur als ein solcher. Yoga ist keine Religion. Die Stille ist das, was ich suche. Wichtig, dass man sich im Geiste nur auf einen Punkt konzentriert, nicht mehr. Nur der Herzraum, zum Beispiel, oder eine Leere oder der Atemfluss an einer bestimmten Stelle im Körper, etwa der Nase. Wichtig: Kommen Sie bei jeder Meditation zu dem Punkt, wo Sie reiner Beobachter werden, egal, wie lange das dauert, ob fünf Minuten oder drei Stunden. Bis zu dieser Erfahrung sollten Sie gehen. Und falls der Geist nicht ruhig wird, dann stehen Sie auf und machen Asanas, Körperübungen, oder Pranayama, Atemübungen.
In unserer westlichen Welt praktizieren viele Yoga als Selbstzweck: um gesund zu sein oder zu werden oder auch einfach nur gesund auszusehen, zu entspannen, alt zu werden, gut gedehnt zu sein, gut schlafen zu können, den Alltag zu vergessen. Traditionell hat man Yoga praktiziert, um Samadhi, oft als ‚Erleuchtung‘ übersetzt, zu erreichen. Aber egal, aus welchem Grund man Yoga praktiziert, man praktiziert es. Das ist wie mit dem Klavierspielen. Vielleicht wollten früher einmal Ihre Eltern, dass Sie Klavier lernen. Und anfangs war es lästig. Aber dann haben Sie die richtige Lehrerin bekommen und auf einmal hatte Klavierspielen eine Bedeutung in Ihrem Leben. Und auf diese zwei Punkte möchte ich hinaus: Machen Sie Yoga – Sie werden heute schwerlich einen Ort in Österreich, Deutschland oder der Schweiz finden, wo Sie nicht in nächster Umgebung einen Yoga-Kurs besuchen können – und suchen Sie sich einen guten Lehrer. Der Lehrer ist wichtig. Er bringt Ihnen die Übungen bei, aber gleichzeitig vermittelt er Ihnen, was Yoga noch alles ist. Und wenn Sie den Weg einmal gehen, dann ist es auch irgendwann einmal möglich, alleine weiterzugehen. Aber den Anfang sollten Sie unbedingt mit einem Lehrer machen (und nicht nur DVDs oder YouTube-Videos oder Ähnliches anschauen; im Notfall natürlich noch immer besser als gar nichts). Wie beim Klavierspielen: Fehler, die man sich anfangs angewöhnt hat, bekommt man sehr lange nicht mehr und nur unter großer Anstrengung weg. Meine Mutter hat einmal eine Indienreise mit einem Reiseleiter und einer Reisegruppe unternommen. Im Bus haben sie ihren Reiseleiter dann gefragt, was eigentlich Yoga ist. Und der Reiseleiter hat sich kommentarlos auf den Boden gesetzt und meditiert. Nicht mehr. Als mir meine Mutter das vor etwa 15 Jahren erzählt hat, hielt ich den Reiseleiter für einen Scharlatan, da sich doch Yoga durch all diese tollen Körperübungen auszeichnet. Heute weiß ich es besser. Heute weiß ich, dass er schon am Ziel war und den Weg daher nicht mehr brauchte.

Viel Freude auf Ihrem Yoga-Weg!

Ihr
Georg Weidinger

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Dr. Georg Weidinger

Dr. Georg Weidinger

Georg Weidinger geboren 1968 in Wien, studierte Medizin an der Universität Wien, Doktorat 1995, Traditionelle Chinesische Medizin und Akupunktur (unter anderem bei Dr. François Ramakers, Prof. Dr. med. et Mag. phil. Gertrude Kubiena, Dr. Gunter R. Neeb), Diplom 2003, klassisches Klavier und Kompos...
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