Jan Philip Johl will Menschen glücklicher machen und organisiert Nixtun-Workshops in Frankfurt-Offenbach, um sie ihre Selbstverantwortung wiederentdecken zu lassen.
Das Leben der meisten Menschen ist zeittechnisch zweigeteilt. Auf der einen Seite ist da die Arbeit, die gemacht werden muss, um Geld zu verdienen, auf der anderen steht die Freizeit, in der man Dinge tut, die man wirklich will. Abgesehen von den Abendstunden leben viele für den Urlaub: sechs von 52 Wochen im Jahr. Wer in seinem Berufsleben seine Arbeitszeit in Zeiterfassungssystemen eintragen muss, hat es schwarz auf weiß: Arbeit und Freizeit stehen in einem krassen Ungleichgewicht zueinander. Deshalb sehnen sich die meisten auch so sehr nach den Ferien. Weihnachten, Semester, Ostern, Sommer und dann noch ein paar Tage im Herbst vielleicht. „Und wohin geht’s im Urlaub?“ ist eine der beliebtesten Smalltalk-Fragen, die auch am ersten Tag nach den Weihnachtsferien gestellt werden kann. Schließlich gilt es, doch alles immer rechtzeitig zu organisieren und zu planen – auf das Funktionieren, darauf kommt es an.
Einfach nichts tun, scheint für die meisten ins Hintertreffen geraten zu sein. Wer in den Ferien zu Hause bleibt, räumt auf, stellt die Möbel um oder lenkt sich sonst irgendwie ab. „Es gibt ein neues, ein anderes Tun, das heißt Nichtstun“, sagt dagegen Jan Philip Johl. Er ist groß, rotblond und richtig gut gelaunt. Seit 2016 organisiert er sogenannte Nixtun-Workshops und geht es mit viel Enthusiasmus an.
Wer Glück hat und in der Nähe von Frankfurt wohnt, kann sich das probeweise auch gleich einmal anschauen. ‚Paradies & das‘ heißt der Veranstaltungsort etwas außerhalb von Offenbach. Hier wird das ‚Nixtun‘ zelebriert. Die erste Hürde für Neugierige ist es dann auch, das 3.000 Quadratmeter große Grundstück erst einmal zu finden. Eine Adresse gibt es nämlich nicht, und auch das Google-Navigationssystem tut sich schwer, einen Ort mit der Hausnummer 444 zu finden.
Das ist ganz nach dem Geschmack von Johl, der sich am Telefon als ‚der glückliche Jan‘ meldet. Es gäbe zwei Wege in den Seminar-Club-Garten, sagt er, einen über eine holprige Straße, die an einem Tor endet, auf der das Wort ‚Liebe‘ steht. Der andere Weg führt durch einen kleinen Wald, wo jetzt im Winter Schnee liegt, eine Art Labyrinth und Einstimmung auf das Nixtun-Seminar. Auf diese Weise ist schon das Ankommen ein Abenteuer. Wer zu Jan will, muss erst einmal seine Sinne aktivieren. Als „aufwachen“, bezeichnet Johl das.
Hier mitten im Wald hat er mit seinen bloßen Händen eine Art Asterix-Dorf gebaut. Aus Material, das ihm Baufirmen kostenlos überlassen haben, Upcycling ist sein weltanschauliches Konzept. Das Ergebnis erinnert an Pippi Langstrumpfs Welt. Freudenhäuser nennt er die selbst gezimmerten Hütten mit goldenen Türen, in denen man die Seele in den Hängematten baumeln lassen soll. Handys sind am Empfang abzugeben. Technik soll niemanden vom Nichtstun ablenken, ergo kein Fernseher, kein elektrisches Licht. Warum? „Um Teilnehmende zurück auf den Boden und zur Natur zu bringen, das lässt sich am besten durch Reduktion erreichen“, so Johl. Der 52-Jährige scheint selbst am meisten Spaß an diesem Konzept zu haben.
Er selbst, Spross einer Frankfurter Lederfabrikantenfamilie, macht das alles, weil er weiß, wie sich ein überfrachteter Arbeitstag in einem Managerleben anfühlt. Er habe alles am eigenen Leib erfahren, gesteht er, er hatte einige Autos, ausreichend Geld, einen prestigeträchtigen Job im Management des Familienbetriebs – und vor allem einen vollen Kalender. 1992 wurde das Unternehmen seiner Familie verkauft und Johl startete ein neues, viel freudvolleres Leben, wie er mit enthusiastischer Stimme verrät. Wer ihm lange genug zuhört, gleitet hinüber in seine bessere, weil ehrlichere Welt.
Er sei Glücksionär, sagt Johl und spielt nicht nur gerne mit Worten, sondern insgesamt mit alternativen Lebenskonzepten. Wie etwa jenem, dass es unbedingt notwendig ist, überbeschäftigte Menschen aus ihrem Alltagstrott herauszuholen, um Muße am eigenen Leib zu spüren. „Ich bin insgesamt ein spielerischer Typ“, gesteht er, der Nichtstun immer wieder praktiziert, um in Balance zu bleiben.
Doch dass es nicht einfach ist, normal Arbeitende von den Vorteilen zu überzeugen, hat er oft erlebt. „Es ist schwierig, Routinen zu brechen in einer Welt, in der Produktivität das wichtigste Gebot ist“, sagt er. Im ersten Sommer sind drei Manager früher als geplant wieder abgefahren. Vielleicht auch, weil nicht nur Mobiltelefone in diesem Garten verboten sind, sondern auch Alkohol und Fleisch. Rauchen ist nur am Eingangstor erlaubt.
Wer es schafft, auf alles zu verzichten, könnte im Gegenzug aber auch spüren, wie kreativ Nichtstun macht. „Es wird Konzentration freigesetzt“, erklärt Johl. „Wenn die Gedanken schweifen, kommen zum einen Entspannung und mit ihr neue Ideen wie von selbst“, betont er und wirbt schon seit Jahren mit dem Slogan ‚Glück ist jetzt‘.
Früher hatte er ein gleichnamiges Geschäft in Frankfurt, in dem er zum Beispiel Blumentaschen, Glücksblumen für Fahrradlampen und Musik unter dem Gütesiegel ‚Made in Happy Germany‘ verkaufte. Ein großer Erfolg war auch seine Jetzt-Uhr. Die Zahlen am Ziffernblatt hat er durch das Wort ‚jetzt‘ ersetzt. Johl verteilt regelmäßig Flyer. ‚Glück ist jetzt. Menschen lassen‘ ist sein Leitspruch geworden, den er mit jedem E-Mail, das er aussendet, mitschickt. Johl ist kein Spinner, sondern sehr konsequent. Mit seiner Idee des selbstverantwortlichen Glücklichseins verfolgt er auch eine soziale Utopie. Er hat eine Bewegung mit dem Namen ‚Made in Happy World‘ ins Leben gerufen. Jeder, der will, soll in diesem losen ‚Nestwerk‘, so nennt er es, mitmachen können. Und er meint das durchaus grenzüberschreitend. Auch nach Österreich – Happy Austria hat er Verbindungen.
„Ich wünsche mir natürlich, dass auch österreichische Manager hier in Offenbach das Nichtstun lernen“, sagt er und man merkt, dass Johl Marketingerfahrung hat. Im ‚Paradies & das‘ stünden die Tore jedenfalls immer für alle offen. Er habe viel über die Dynamik im Nichtstun gelernt.
Wer lange genug in der Hängematte gelegen ist, erzählt Johl, würde sich dann langsam umschauen, wer sonst noch so im Asterix-Dorf verweilt. Idealerweise nehmen sich die Menschen Zeit für Gespräche, erzählen sich Dinge und im allerbesten Fall entwickeln sich gemeinsame Projekte. „Wir leben hier Einfachheit, allerdings ohne jedes Dogma.“
Der Garten soll eine Blaupause für die Welt draußen sein. Stärken entdecken. Sehen, was andere brauchen könnten. Es gibt auch die Möglichkeit, ein sogenannter Referent zu werden und mit der selbst gewählten Zuständigkeit Freude zu verbreiten.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 103: „Buddha und die Arbeit"
Wenn Johl das erklärt, klingt es einfach. Letzten Sommer habe es hier viele Referenten für Musik gegeben, abends sei man (mangels Strom) rund ums Lagerfeuer gesessen und habe eine wirklich schöne Zeit gehabt. Dass diese Seminare für Teilnehmende 2.000 Euro kosten, sei nicht unbedingt in Stein gemeißelt. Diese Summe würde er vielleicht ‚unglücklichen Millionären verrechnen, die hier eine ganz neue, ursprüngliche und befriedigendere Perspektive auf die Welt finden‘, führt er lachend aus und wünscht sich, dass ab Frühling viele unglückliche Vielverdiener den Weg zu ihm finden. „Wenn du 52 Jahre bist, dann hast du Geduld gelernt und weißt, dass Langsamkeit manchmal sogar schneller ist“, sagt er. Das klingt nach Lebenserfahrung und nach einem, der dem hektischen Treiben etwas entgegensetzen will.
Und klar, jetzt im Winter gäbe es hier weniger zu tun. Da verbringt er viel Zeit mit seiner ‚Liebsten und meinen beiden Mädels‘. Doch im Frühling wird er weiterzimmern – an seinen Häusern und seiner Idee. Vielleicht wird es einen Whirlpool geben, vielleicht auch noch andere Freudenhäuser auf Rädern. Genau könne er das auch nicht vorhersagen, denn: Leben ist jetzt. Er hat dieses Prinzip für sich selbst wirklich verinnerlicht.
Mehr Informationen zu den Workshops: www.nixtun-workshop.de
Fotos © Jan Philip Johl