Erfolgreiche Führung gelingt heute nicht mehr primär durch äußere Leistungsansätze. Eine nachhaltige Führungskultur gelingt durch das Erkennen und Stillen von individuellen Bedürfnissen. Mira Mühlenhof ist Expertin für Persönlichkeitsentwicklung mit Schwerpunkt auf Themen wie intrinsische Motivation und Führung.
Frau Mühlenhof, wie hat sich das Thema Führung in jüngster Zeit verändert?
Das Thema Führung steht vor neuen Herausforderungen. Gute Führung nicht im Sinne von den Mitarbeiter so zu bedienen, dass er alles bekommt. Es ist ein Geben und Nehmen. Ich möchte von dem Mitarbeiter das Beste, was er hat. Seine motivierte, positiv geprägte Arbeitskraft, sein Engagement. Gleichzeitig steht mir ein Mitarbeiter gegenüber, der das auch einfordert. Mitarbeiter fragen: Was können Sie mir denn bieten? Sie fordern es individuell ein.
Eine Führungskraft muss also zuerst die Bedürfnisse eines jeden Mitarbeiters erkennen?
Ich denke, dass das grundsätzliche Interesse erst mal da sein muss. Viele Führungskräfte haben diesen Anspruch gar nicht. Wenn ich einen Mitarbeiter habe, der keine Bindung an das Unternehmen hat, weil er sich in seinen Bedürfnissen nicht erfüllt, nicht bestätigt sieht, der wird sich nicht nur nicht engagieren, sondern der wird auch gehen. Das heißt, ich muss mein Augenmerk darauf richten, was dem Mitarbeiter fehlt. Ich muss auf den Mangel schauen.
Können Sie das an einem Beispiel festmachen?
Klar! Eine Führungskraft hat mir von einem Auszubildenden erzählt, der einfach angerufen und gesagt hat: „Ich komme die nächsten drei Tage nicht, ich fahre mit meiner Freundin nach Paris.“ Es war ihm total egal, ob er eine Kündigung bekommt. Diesen Menschen fehlt das Gefühl, wichtig zu sein. Und genau das muss die Führungskraft in diesem Moment rüberbringen, sie muss sagen: „Das kannst du nicht machen, weil wir dich hier brauchen.“ Und nicht: „Du hast hier zu sein, weil du einen Arbeitsvertrag zu erfüllen hast.“ Zu sagen, du bist für uns wichtig, bringt den Mitarbeiter ins Nachdenken, gleichzeitig ist das ein erster Schritt in Richtung intrinsische Motivation.
Im Tagesgeschäft ein hoher zusätzlicher Anspruch an die Führungskraft.
Darin sehe ich eine der größten Herausforderungen. Führung benötigt Zeit. Führung geschieht ja oftmals nebenbei. Das wird in Zukunft nicht mehr funktionieren.
Für Ihre Arbeit mit Führungskräften haben Sie die Key to see®-Methode entwickelt. Diese Methode hat mit der Persönlichkeitsentwicklung eines jeden Einzelnen zu tun, geht aber noch ein Stück tiefer, indem sie den berühmten blinden Fleck aufdeckt.
Die Basis der Key to see®-Methode ist die Sichtweise auf die Persönlichkeit eines Menschen, die sich in vielen Facetten zeigt. Sie zeigt sich im Verhalten, in einem energetischen Ausdruck und in einer bestimmten Art zu denken, zu fühlen und zu handeln. Und irgendwo in diesem Verhalten gibt es diesen Automatismus von bestimmten Verhaltensweisen. Ich selbst bin mir dessen aber überhaupt nicht bewusst. Das ist also sozusagen unser blinder Fleck der Persönlichkeit.
Hat jeder diesen blinden Fleck?
Ja, den hat jeder. Man könnte das auch als Lebensstrategie bezeichnen, mit der ich durch das Leben gehe. Mit der ich versuche, meine Bedürfnisse zu erfüllen. Mit der ich versuche, meinen gefühlten Mangel zu stillen.
Wie decke ich mit der Key to see®-Methode diesen blinden Fleck auf?
Durch einen tiefgehenden Selbstreflexionsprozess wird direkt auf eine unbewusste Ebene geleitet. Ziel ist die Synchronisation zwischen Selbstbild und Fremdbild. Also das, was ich von mir selbst denke, und das, was andere denken und von mir wahrnehmen, legen wir übereinander wie eine Blaupause. Das ist ein spannender Prozess.
Führungskräfte sollen also auch ihre eigene Blaupause anlegen?
Ja, unbedingt! Ich muss mich fragen: Wie wirke ich auf meine Mitarbeiter? Und vor allen Dingen: Wie wirke ich auf unterschiedliche Mitarbeiter? Ich muss mir dessen bewusst sein, dass es Mitarbeiter gibt, die ich mit meiner Persönlichkeit nicht erreiche. Damit muss ich lösungsorientiert umgehen und in diese Beziehung muss ich mehr Kraft und Kommunikation investieren. Das macht gute Führung aus.
Die Key to see®-Methode hat sich aus der jahrhundertealten Enneagramm-Methode entwickelt, die häufig kritisch gesehen wird. Kritiker behaupten, es gäbe Möglichkeiten der Manipulation. Wie gehen Sie mit dieser Kritik um?
Das Enneagramm ist ein uraltes esoterisches Symbol. Es unterscheidet, ordnet und setzt neun als grundsätzlich angenommene Charaktereigenschaften miteinander in Beziehung. Wissen über Menschen kann immer dazu benutzt werden, um es manipulativ einzusetzen. Mir geht es darum, dieses Wissen ethisch so einzusetzen, dass es dem Wohle des Menschen dient. Und dass es dazu dient, Entwicklung zu begleiten und mehr Motivation, Freude und Kraft in die Welt zu bringen und es eben nicht missbräuchlich einzusetzen. Wie gesagt, es gibt die helle und die dunkle Seite. Der verantwortungsvolle Umgang mit Wissen ist immer eine Herausforderung an die Persönlichkeit.
Erkennen Sie den blinden Fleck Ihrer jeweiligen Gesprächspartner sofort?
Ja. Ich erkenne den blinden Fleck in 30 Sekunden. Ich verrate ihn aber nie.