Können wir ein Leben führen, das nicht auf Kosten unserer Mitmenschen, der Tiere und der Umwelt geht?
Es war einmal ein wohlhabender, eleganter Dieb, der mit einem köstlichen Schlaf gesegnet war. Nie plagten ihn auch nur die geringsten Sorgen oder lästige Gewissensbisse. Kaum legte er sich nach getaner Arbeit zur Ruhe, so kamen ihm die schönsten Träume von Gold, Geschmeide und anderen herrlichen Dingen, die er auf seinen nächsten Beutezügen einstecken würde.
Der Dieb wohnte in einem Schlösschen mitten im Dorf. Die anderen Dorfbewohner bewunderten ihn für seinen prächtigen Reichtum, der sich über Nacht zu vermehren schien, während sie selbst immer ärmer wurden. Er wurde zu sämtlichen Festlichkeiten eingeladen und der König versprach ihm die Hand seiner Tochter. Als nun eines Tages … Doch halt, wir sind nicht im Märchen. So einen Unsinn würden wir doch gar nicht mitmachen!
Schon verrückt, welche Fähigkeit unser Geist besitzt, Leid und Disharmonien auszublenden.
Ein Blick in die Realität ist allerdings ernüchternd: Ob es sich um Bodenschätze oder Wälder handelt – die Plünderung unserer weltweiten Ressourcen ist schon lange salonfähig und wird sogar an der Börse gehandelt. Weitgehend unbehelligt von demokratischer Kontrolle und unangenehmen Fragen zur Verantwortung gegenüber weiteren Generationen lässt sich auf diese Weise ein märchenhafter Reichtum verwirklichen. Auch Tiere werden rücksichtslos ausgebeutet, turbo-gezüchtet und vermarktet. Pflanzen ergeht es nicht besser und was nicht in den menschlichen Plan passt, lassen wir seelenruhig aussterben. Es bringt uns nicht um den Schlaf.
Arbeiter in fernen Ländern schuften unter erbärmlichen Bedingungen, um unsere schicken Handys zusammenzuschrauben oder um für die Fußball-Elite eine coole Sportstätte in der Wüste zu bauen. Schon verrückt. Ganz zu schweigen von unserer steigenden Tendenz, Raubbau an den eigenen körperlichen und seelischen Ressourcen zu betreiben. Während andere Warmblüter sich nach erfolgreicher Jagd auf den nächsten Baum zurückziehen und im Default-Ruhe-Modus chillen, bleibt der moderne Büromensch auf Hochtouren und stellt sich ein auf die nächste Herausforderung. Schon verrückt, welche Fähigkeit unser Geist besitzt, Leid und Disharmonien auszublenden.
Nicht nehmen, was nicht klar angeboten wurde.
Wie wollen wir unser kostbares Leben gestalten?
Natürlich ist es höchste Zeit, sich Gedanken zu machen über ein gutes Leben. Aber was heißt denn eigentlich ‚gutes Leben‘ und wie kann man es finden? In der buddhistischen Praxis sind zwei Aspekte grundlegend: Zum einen ist dies das Bewusstsein für unsere Sterblichkeit: Jeder Tag ist kostbar, denn der Tod ist gewiss und die Zeit, die ich habe, ist nicht vorhersagbar. Wer weiß schon, ob er 25, 50 oder 95 Jahre alt wird? Daher habe ich wirklich keine Zeit zu verplempern. Paradoxerweise wird es möglich, leidenschaftlich zu leben und sich mit einer spürbaren Dringlichkeit den Fragen von Sinn, Freiheit und Liebe zu widmen, wenn wir den Tod ernst nehmen und nicht länger beiseiteschieben. (Verzeihen Sie mir diese vielleicht unbuddhistische ‚Leidenschaftlichkeit‘, aber ich stehe dazu.)
Der zweite Aspekt, den wir verinnerlichen müssen, ist das Bewusstsein, dass wirklich keiner leiden will. Niemand. Auch nicht diejenigen, die selber Leiden verbreiten. Wenn wir das klar sehen, können wir uns fragen: Wie wollen wir unser kostbares Leben gestalten, damit niemand – weder ich noch andere – unnötig leidet?
Die Gier wird mächtig, wenn wir nicht wissen, wie wir glücklich sein können.
Ethische Selbstführung
Die buddhistische Ethik regt mit ihren Handlungsempfehlungen an, eine klare ethische Selbstführung zu kultivieren. Der Sinn liegt darin, uns eine verlässliche Orientierungshilfe anzubieten, wenn der Geist geneigt ist, sich bei den notwendigen Entscheidungen des Tagesgeschäfts weniger von Weisheit und Mitgefühl als von Gier oder Rücksichtslosigkeit leiten zu lassen.
Einer der wichtigsten Orientierungssätze lautet: „Nicht nehmen, was nicht klar angeboten wurde.“ Er bedeutet konkret: nicht zu stehlen, zu unterschlagen oder etwas durch Täuschung zu erlangen. Es bedeutet auch, darauf zu verzichten, seine Machtstellung in einer Weise auszunutzen, dass andere Menschen oder Tiere und die Natur ausgebeutet werden und man sich auf ihre Kosten bereichert.
Die Gier wird mächtig, wenn wir nicht wissen, wie wir glücklich sein können. Wir suchen uns über die Erfüllung aller möglichen Wünsche kurzfristige Ersatzbefriedigungen, die sich für einen Moment fast wie Glück anfühlen, aber doch immer nur eine müde Imitation von Glück bleiben.
Wenn wir wirklich etwas daran ändern wollen, braucht unser Geist eine starke innere Kultur. Dazu zählt die Kunst des Verzichtens, der Fürsorglichkeit und der Großzügigkeit. Verzichten kann man auf alles, was nicht heilsam ist, weil es Leid für einen selbst oder für andere Lebewesen bringt.
Notwendig ist auch ein Wandel der Werteordnung von Wirtschaft und Politik.
Wertewandel
Notwendig ist auch ein Wandel der Werteordnung von Wirtschaft und Politik. Das alte Denken in den Kategorien von Beherrschung, Ausbeutung und Gewinnmaximierung als oberste Maxime muss (und kann) sich wandeln in ein neues, kooperatives Denken, das Gemeinsinn, Verantwortung, Kreativität und Mitgefühl in den Mittelpunkt stellt.
Wertewandel bedeutet auch, tiefen Respekt im Umgang mit der Natur zu entwickeln. Die Natur existiert nicht, um von Menschen ausgebeutet zu werden. Vielmehr ist unser eigenes Leben untrennbar mit ihr verwoben. Die Tatsache der existenziellen Interdependenz wird oft vergessen oder nicht ernst genommen. Doch sie ist elementar für alle Fragen des ökonomischen Handelns. Die Pflege und Erhaltung der Natur muss daher in jeglichen wirtschaftlichen Erwägungen viel stärker berücksichtigt werden, als wir es bisher tun.
Im alltäglichen Umgang mit Geld stehen zwei Fragen im Mittelpunkt, wenn wir einen ethisch integren Lebensstil kultivieren wollen:
1. Wodurch verdiene ich mein Geld? Woher kommt es?
2. Wofür gebe ich es aus? Wohin geht es?
Wertewandel bedeutet auch, tiefen Respekt im Umgang mit der Natur zu entwickeln.
Der einfache buddhistische Grundsatz des ‚Rechten Lebenserwerbs‘ schließt es aus, sein Geld mit Tätigkeiten zu verdienen, bei denen andere Wesen zu Schaden kommen. Daher sind bestimmte Formen des Gelderwerbs aus Sicht der buddhistischen Ethik grundsätzlich nicht vertretbar: Dazu zählen Waffenhandel, Geschäfte mit giftigen Substanzen oder das Schlachten von Tieren. Doch das Dilemma ist: Die Produktionen und Dienstleistungen sind heutzutage so eng und unüberschaubar verflochten, dass sich manchmal gar nicht eindeutig feststellen lässt, ob das Unternehmen, für das man arbeitet, indirekt vielleicht auch an Waffengeschäften beteiligt ist. Häufig gibt es unterschiedliche Produktionssparten und nur eine davon betrifft ethisch nicht vertretbare Produkte. Vor dem gleichen Problem steht man, wenn man in Aktien investieren will. Es ist kaum überschaubar, womit genau die Unternehmen Geld verdienen, wie die Arbeitsbedingungen sind und ob unnötig Leiden verursacht wird.
Handeln und finanziellen Erfolg, der direkt oder indirekt durch das Leid anderer entsteht, sollten wir nicht unterstützen oder gar bewundern. Dann könnte unser Märchen vielleicht in diese Richtung weitergehen: Als nun eines Tages die Zeit für das große Hochzeitsfest der Prinzessin und des smarten Diebs gekommen war, traten die Brautleute vor den Traualtar. Dort wollte der Dieb seiner ebenso schönen wie schlauen Prinzessin einen wertvollen Goldring, den er noch am Tag zuvor entwendet hatte, an den Finger stecken, als diese im letzten Moment und zu seiner großen Überraschung …
Doch wie die Geschichte wirklich ausgeht und wie die Prinzessin und die Dorfbewohner es schaffen, sich von dem Dieb zu befreien, überlasse ich Ihrer Fantasie und Tatkraft, liebe Leserinnen und Leser.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 94: „Ein gutes Leben"
Bild Teaser und Text © Francesco
Bild Header © Pixabay
Dein Artikel ist ein sehr guter Aufklärungsbeitrag und das nicht nur für Buddhisten.
Die herrschenden Finanz-, Wirtschaft-, und
Politikeliten, verhindern eine soziale und um-
weltverträgliche Ökonomie: Durch ihre maß-
lose Gier nach Profitmaximierung ist ihnen
Ethik, Moral und Gemeinwohl, scheißegal. Sie machen Reiche reicher und Arme ärmer und zerstören die für uns lebensnotwendige natürliche Umwelt.
So darf es nicht weiter gehen, wir Menschen müssen
mehr Empathie entwickeln und gegen diese Verblendungen aktiv werden, um solche fiesen, ungerechten, menschenverachtenen, selbstzerstörenden Verhaltensweisen
zu verändern.
Buddhas Pfad der Weisheit „mache das Heilsame , lasse das Unheilsame und entwickle
deinen Geist“, ist eine gut praktizierende Anleitung.
Mit freundlichen, aberglaubensfreien, heilsamen, buddhistischen Grüßen
Uwe Meisenbacher