Es war an meinem Geburtstag vor einigen Jahren. Ein Freund lud mich ein, ihn zu treffen. Der Treffpunkt war nicht in einem Kaffeehaus, nicht in einem Teehaus, nicht in einem Restaurant, sondern auf einer Wiese in einem Park der Wiener Innenstadt.
Im Rathauspark angekommen, sah ich ihn im Schatten eines Ginkgo-Baumes sitzen, eine große Tasche vor sich. Daraus entnahm er behutsam zwei kostbare japanische Teeschalen und packte eine Teekanne, eine Teedose und eine Thermoskanne aus. Ohne viel zu sagen goss er heißes Wasser in die kleine Teekanne und erzählte dabei, aus welcher Gegend Japans dieser besondere Tee stamme. Anschließend tranken wir in gemeinsamer Stille aus schönen Schalen. Dieser Tee-Moment in dieser spontanen persönlichen Teezeremonie war ein sehr schönes Geburtstagsgeschenk. Hatte er die Lebensgeschichte von Baisao gelesen? Baisao war ein Zen-Mönch im Japan des 18. Jahrhunderts, der in späteren Jahren seines Lebens zum Teehändler wurde. Er packte oft sein Teegeschirr in zwei Körbe, hängte diese an die Enden einer Bambusstange und ging damit zu schönen Plätzen in der Natur, am Berg, unter einem blühenden Kirschbaum oder im Schatten eines Ahorns. Dort kochte er Tee und bot ihn Vorübergehenden an.
Tee und Zen haben den gleichen Geschmack, so geht ein altes Sprichwort. Was ist dieser Geschmack?
Die lange historische Verbindung zwischen Tee und Zen formt den Ursprung. Schon zur Tang-Zeit (618-907), als Zen in China die erste Hochblüte erlebte und große Zen-Meister hervorbrachte, wurde der grüne Tee in Zen-Klöstern getrunken. Der Legende nach war Bodhidharma, der 28. Zen-Patriarch, der Erste, der mit Teetrinken die Müdigkeit verscheuchte. In den langen Meditationsperioden brachte der Genuss des Tees einen wachen Geist und einen frischen Fokus auf die Übung. Die Mönche sollen damals drei Tassen Tee nach jedem Essen getrunken haben. Auch heute ist das Teetrinken noch der tägliche Brauch in japanischen Zen-Klöstern und auf Sesshins (Übungswochen). Oft erzählen Zen-Geschichten von Zen-Meistern, die ihrem Gast Tee zubereitet und serviert haben. So ist das Teegeben eine ganz besondere Übung auf dem Zen-Weg, die uns viel lehren kann.
Durch die Betrachtung der Teetassen und der Zeremonie werden die Augen gereinigt.
Ich gebe Tee
Deshalb bin ich gerne Teegeberin (jisha). Schon in der Vorbereitung des Tees liegt der Geschmack von Zen. Ich setze Wasser auf. Ich horche auf das Zischen, Surren und Gurgeln des Wassers und bin ganz im Hören. Ich gebe die Teeblätter in die Kanne und rieche den feinen Duft des grünen Tees. Ich gieße das heiße Wasser auf und spüre die Wärme der Teekanne. So wird das Vorbereiten des Tees zu einem Fest der Sinne. Das Spüren, das Schmecken, das Horchen erlebe ich eins nach dem anderen und nehme so die Qualität jedes einzelnen Sinnes wahr.
So sah das auch schon der Teemeister Kazuma Nakaro im 18. Jahrhundert:
„Durch die Betrachtung der Teetassen und der Zeremonie werden die Augen gereinigt. Durch das Geräusch des Tees beim Einschenken werden die Ohren gereinigt. Durch den Duft des Tees wird die Nase gereinigt. Durch das Trinken des Tees wird der Mund gereinigt. Durch das Heben der Teeschalen werden die Hände gereinigt. Durch die Reinigung von Augen, Ohren, Nase, Mund und Händen wird der Geist gereinigt." Ohne Kommentar stelle ich neben dieses Zitat ein Zitat des Zen-Meisters Rinzai (9. Jahrhundert): „Geist-Dharma hat keine Form. Es durchdringt die zehn Richtungen. In den Augen wird es Sehen genannt. In den Ohren wird es Hören genannt. In der Nase riecht es Düfte. Im Mund spricht es. In den Händen hält es. In den Füßen läuft es." (Rinzairoku, Kapitel 11)
Durch die Praxis des Teegebens und Teetrinkens öffnet sich das Tor.
Das Teegeben ist nichts Besonderes. Ich gehe in das Zendo hinein, ich verbeuge mich, ich gehe, ich schenke ein, ohne störende Gedanken dazwischen. Wenn ich mich dem Tun überlasse und mich dem Rhythmus des Teegebens hingebe, ist da keine Person mehr, die sich verbeugt, einschenkt und geht. Da verschwinden die Nichtigkeiten des Alltags. Es ist genauso wie auch bei der ‚weltlichen' Teezeremonie, in der alles vor dem Teehaus zurückgelassen wird, was Status und Alltag ausmacht. Im Teehaus wird nur das gesprochen, was im Moment gerade geschieht. Die Gäste sprechen über die Keramik des Teegeschirrs, über die Hängerolle oder das Blumengesteck. Die Unterschiede bleiben draußen, symbolisiert durch den niedrigen Eingang in das Teehaus, der nicht höher als einen Meter ist. Genauso sind auch im Zendo die Unterschiede nicht erkennbar, kein Prada oder Gucci bei der Kleidung. Alle im dunklen Gewand, auf gleicher Ebene. Da verschwinden die alltäglichen Eitelkeiten. Es geht jedoch beim Teegeben um mehr als um keine Unterschiede, um mehr, als nur im Moment zu sein. Es gilt, die Dimension hinter, vor und im Moment wahrzunehmen und dort nichts anderes, Abgetrenntes zu sein. Während ich Tee gebe, diene ich – ja wem und was eigentlich? Diese Antwort muss sich jeder selbst geben. In der Zendo-Teezeremonie manifestieren sich vier Aspekte: Klarheit, Respekt, Harmonie und Stille.
Durch Klarheit, Respekt und Harmonie öffnet sich ein Raum der Stille, innen und außen.
Klarheit
Klarheit entsteht, indem man Dinge weglässt. Deshalb sind Zen-Räume schlicht. Nichts Überflüssiges ist im Raum. Nur Wände, schmucklos, schwarze Matten und Sitzkissen. Alles ist auf das Wesentliche reduziert. Das Wesentliche ist das, was gerade in diesem Moment geschieht. Die Bewegungen der Teegeberin sind hoch konzentriert, elegant und dynamisch, abgeschliffen durch Hunderte Mal wiederholte Übung. Kein Funken Zerstreutheit, Zögern oder Pose stört die Abläufe. Je klarer und konzentrierter ich in mir selbst bin, desto klarer mein Ausdruck nach außen.
Respekt
Respekt schmeckt für viele nach altvorderer Erziehung, nach erhobenem Zeigefinger, nach unfreiwilliger Unterwerfung unter Autorität. Für mich hat es etwas im lateinischen Sinn mit Rückschau zu tun. Ich schaue zurück und sehe eine Perlenkette von Tausenden Menschen, die die gleichen Bewegungsabfolgen vor mir gemacht haben. Sie haben diesen Weg gewählt, um Zen sichtbar zu machen. Viele Menschen, Meister, Mönche, Nonnen haben an dieser Form gearbeitet, die Jüngeren geschult, sorgsam hingewiesen und wieder geübt. Ich bin eine Perle in dieser unendlichen Reihe, die Perlen nach mir werden diesen Zen-Geist weitertragen und weiter verfeinern. Vor dieser Tradition verbeuge ich mich. Respekt bedeutet für mich aber auch, ‚noch einmal sehen', das heißt, die Tradition der Teezeremonie jeden Moment frisch zu sehen und Moment für Moment neu zu erschaffen.
Das Spüren, das Schmecken, das Horchen erlebe ich eins nach dem anderen und nehme so die Qualität jedes einzelnen Sinnes wahr.
Harmonie
Wenn wir in der Welt der Worte sind, Standpunkte einnehmen und Positionen verteidigen, erleben wir keine Harmonie. Setzen wir uns jedoch auf die Matte, konzentrieren uns auf den Atem und lassen Gedanken und Worte auf den Grund sinken, dann verliert sich die Bedeutung der Meinungen, wir dienen dem Moment und nur dem, was da ist. So entsteht eine Harmonie der Menschen, die sich auch in den abgestimmten Bewegungen widerspiegelt. Am Ende einer Übungswoche nehmen wir ohne zu schauen wahr, wenn die Nachbarin die Schale hebt und wir wissen, jetzt bin ich an der Reihe, die Hände nach der Teetasse auszustrecken.
Stille
Durch Klarheit, Respekt und Harmonie öffnet sich ein Raum der Stille, innen und außen. Die innere Ruhe und äußere Präsenz, die Klarheit der Bewegungen, die Harmonie mit den anderen und der Respekt vor der Tradition finden in der Stille ihre Heimat. Der berühmte japanische Tee- und Zen-Meister Sen no Rikyu (16. Jahrhundert) drückte es so aus: „Mit der Wahrnehmung der Stille wird der Tee-Weg existent."
Zen und Tee haben den gleichen Geschmack. Auch außerhalb der formellen Teezeremonie im Zendo ist es möglich, dass Sie sich ein tägliches Teeritual erschaffen. Bevor die Alltäglichkeiten an Ihnen zerren, schaffen Sie sich am Morgen einen Raum der Stille und des Tees, indem Sie sich neben der Sitzmatte nach dem Meditieren oder aber auch in Ihrem Lieblingssessel ein Tablett mit Teedose, Teekanne, Schale und Thermoskanne bereitstellen. Nehmen Sie sich fünf Minuten Zeit, bevor die Hektik des Tages beginnt, und bereiten Sie Ihren Tee zu. Spüren Sie die Wärme, riechen Sie das Aroma, reinigen Sie Ihre Sinne. Geben Sie sich diesem Moment der Stille hin.
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