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Leben

Joachim Bauer, Neurobiologe und Psychotherapeut über die körperlichen Auswirkungen von Ärger.

Wie manifestiert sich Ärger körperlich und welche Prozesse laufen dabei ab?
Situationen, die Ärger auslösen, aktivieren das emotionale Gehirn, also das sogenannte ‚Limbische System'. Als Folge davon kommt es im Gehirn zur verstärkten Ausschüttung von erregenden Botenstoffen und zur Aktivierung von Stressgenen. Das wiederum führt im Körper zum Anstieg von Noradrenalin und des Stresshormons Cortisol.

Welche Emotion liegt unter dem Ärger?
Ärger ist selbst eine Emotion, man sollte ihn daher ernst nehmen und den Gründen nachgehen, die ihn ausgelöst haben.

Wird der Verlauf von Ärger in Phasen eingeteilt?
Ja, allerdings passiert dieser phasenhafte Ablauf meistens sehr schnell und automatisch und ist uns daher auch nicht bewusst. Das Ganze beginnt mit der Bewertung der äußeren Situation, wir kennen das alle: Manchmal wird ein und dieselbe Situation von einigen als Ärgernis, von anderen als völlig unproblematisch bewertet. Wie wir etwas bewerten, ergibt sich aus unserer Vorgeschichte, vor allem daraus, ob wir lernen konnten, dass sich auch schwierige Situationen meistern lassen. Wer sich seiner Bewältigungsmöglichkeiten nicht sicher ist, bei dem springt das limbische System schneller an, ein solcher Mensch produziert dann auch schneller Ärger.

Mit welchen Methoden kann ich Ärger während dieses Ablaufes unterbinden?
Wer in sich Ärgergefühle feststellt, sollte nicht versuchen, dieses Gefühl zu unterbinden. Stattdessen sollte man innehalten und hinschauen, warum der Ärger aufgetreten ist. Wie alle anderen Gefühle, so hat auch der Ärger immer einen Grund. Wenn er mit der Beziehung zu anderen Menschen zu tun hat, sollte man den Ärger besprechen. Manchmal ärgert man sich aber auch über sich selbst, also ohne die Beteiligung anderer, zum Beispiel, weil man eine Chance verpasst hat oder weil man zu ängstlich war oder die notwendige Disziplin nicht aufgebracht hat, um ein Ziel zu erreichen. Menschen, die sich immer wieder selbst im Wege stehen und sich über sich selbst ärgern, sollten sich bei einem Psychotherapeuten Rat holen.

 

„Wer in sich Ärgergefühle feststellt, sollte nicht versuchen, dieses Gefühl zu unterbinden. Stattdessen sollte man innehalten und hinschauen, warum der Ärger aufgetreten ist."

 

Welche Auswirkungen kann Ärger auf die Gesundheit haben?
Zunächst einmal: Ärger ist nichts Schlechtes. Im Gegenteil, wir sollten lernen, unseren Ärger als eine Art innere Warnlampe zu betrachten. Immer wenn wir Ärgergefühle spüren, sollten wir versuchen herauszufinden, wo sie ihren wirklichen Ursprung haben. Meistens hat es damit zu tun, dass uns jemand einengen, einschränken, schlecht machen oder sozial ausgrenzen wollte. Das Beste ist dann, hinzugehen und zu versuchen, das Problem – möglichst freundlich – anzusprechen.

Können Sie noch genauer erklären, worin die positiven Seiten des Ärgers liegen?
Ärger ist ein Hinweisgeber, eine Art emotionale Warnlampe, die uns spüren lässt, dass etwas nicht stimmt, dass wichtige Bedürfnisse nicht befriedigt wurden, weil andere Menschen – oder wir selbst – uns in die Quere gekommen sind. Wenn wir den Ärger ernst nehmen, herausfinden, warum er aufgetreten ist, und seine Ursache beseitigen, dann kann er etwas sehr Hilfreiches sein.

Führt chronischer Ärger irgendwann zwangsläufig zu körperlichen Problemen?
Krank machen kann Ärger nur dann, wenn wir ihn nicht kommunizieren. Wer Ärger hat, sollte jemanden aufsuchen, mit dem er oder sie sprechen kann. Oft ist es schwierig, den Menschen, der einen geärgert hat, direkt anzusprechen. In diesem Fall sollte man wenigstens mit jemand anderem über das Problem reden. Wer Ärger nicht besprechen kann und ihn nur in sich hineinfrisst, wird irgendwann krank. Dann erhöht sich das Risiko, depressiv zu werden, Bluthochdruck oder psychosomatische Beschwerden – zum Beispiel chronische Schmerzen – zu entwickeln.

 

„Ärger ist ein Hinweisgeber, eine Art emotionale Warnlampe, die uns spüren lässt, dass etwas nicht stimmt."

 

Wenn man die körperlichen Auswirkungen von Ärger behandelt, wie zum Beispiel Bluthochdruck, wird dann auch gleichzeitig der Ärger behandelt, oder geht das körperliche Symptom nur weg, wenn der Ärger als Ursprung behandelt wird?
Das hängt vom Einzelfall ab. Bluthochdruck kann viele Ursachen haben: genetische Ursachen, Übergewicht, zu wenig Ernährung und psychischer Stress. Bei vielen Menschen kommen mehrere Faktoren zusammen. Ob eine Änderung des Lebensstils ausreicht, um ein Symptom, wie zum Beispiel Bluthochdruck, zu beseitigen, oder ob ein Medikament gegeben werden muss, sollte im Einzelfall zusammen mit dem Arzt entschieden werden.

Wie viele Menschen, schätzen Sie, haben aufgrund von Ärger physische Krankheiten entwickelt?
Vorsicht! Krankheiten wie Magengeschwüre, Bluthochdruck oder gar Krebserkrankungen haben meistens nicht nur eine Ursache. Stress spielt zwar bei vielen Erkrankungen eine Rolle, aber Ärger ist nicht der einzige Stressfaktor, der Menschen krank machen kann. Etwa 30% aller Menschen in der westlichen Welt sind psychisch auf irgendeine Weise belastet. Wie viele davon durch Ärger krank geworden sind, kann man nicht sagen.

Muss Ärger immer im Zusammenhang mit Stress gesehen werden?
Ärger muss keineswegs immer im Zusammenhang mit Stress stehen, er kann sich aber aus Stress ergeben und er kann zu Stress führen. Ärger gehört – genauso wie Freude, Trauer, Mitgefühl oder Neid – zu den ganz normalen Gefühlen, die vor allem dann auftreten, wenn Menschen miteinander zu tun haben, und zwar, wenn sie sich – absichtlich oder unabsichtlich – in die Quere kommen. Manchmal kommt man sich auch selbst in die Quere, dann ärgert man sich über sich selbst. Stress lässt sich bei Ärger am besten dadurch vermeiden, dass man die Ursache des Ärgers zügig mit einem anderen Menschen bespricht und versucht, eine Lösung zu finden.

Nach dem Motto ‚Ärger in sich hineinfressen' ist es ratsam, seinem Ärger immer Luft zu machen, oder ist es manchmal doch sinnvoll, ihn mit sich selbst auszutragen?
In sich hineinfressen sollte man weder das Essen noch den Ärger. ‚Ärger mal so richtig rauslassen', also auf etwas einschlagen oder etwas zerstören, hilft aber auch nicht. Studien zeigen, dass diese sogenannte ‚kathartische Methode' das Problem eher noch verstärkt. Kleine Ärgernisse kann man auch mal mit sich selbst austragen. Echter Ärger lässt sich aber nur durch das Gespräch auflösen.

 

„Krank machen kann Ärger nur dann, wenn wir ihn nicht kommunizieren."

 

Ist Ärger eine Volkskrankheit in Europa?
Dazu kenne ich keine Studien, aber mir kommt es manchmal schon so vor, als ob wir Deutschen ein Volk der gepflegten schlechten Laune seien. Ich glaube, es täte uns gut, wenn wir – ähnlich wie einige Völker südlich der Alpen – ein wenig entspannter an das Leben herangehen würden.

Was kann man vorbeugend tun, um in der jeweiligen Situation besser mit dem Ärger umzugehen?
Bewegung und Sport sind immer gut, bei Ärger hilft das aber nur begrenzt. Vor allem ‚den Ärger rauslassen', also zum Beispiel herumzuschreien oder gegen einen Gegenstand zu schlagen, diese ganzen sogenannten ‚kathartischen' Herangehensweisen helfen, wie Studien gezeigt haben, überhaupt nicht.

Was kann jeder Einzelne für sich tun, damit es nicht zu einem Ärgernis kommt?
Eine freundliche Grundhaltung zeigen und mehr miteinander sprechen.

 

Univ.-Prof. Dr. Joachim Bauer ist Neurobiologe, Arzt und Psychotherapeut. Er lehrt am Uniklinikum Freiburg, wo er als Oberarzt an der Abteilung Psychosomatische Medizin tätig ist. Bauer publizierte vielbeachtete Sachbücher.
 
Tipp zur Vertiefung: Joachim Bauer (2011) Schmerzgrenze. Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt. Karl Blessing Verlag; Joachim Bauer (2008) Prinzip Menschlichkeit. Warum wir von Natur aus kooperieren. Heyne Verlag

 

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Christina Klebl

Christina Klebl

Christina Klebl, 1979, ist ehemalige Chefredakteurin von Ursache\Wirkung. Sie hat Psychologie an der Universität Wien studiert, leitet das Seminarzentrum im Mandalahof und ist Geschäftsführerin des Radiologieinstitut  Bellaria.
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