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Leben

Der Psychotherapeut und Lehrer für Buddhismus und Achtsamkeit Alexander Draszczyk spricht über buddhistisches Tantra, die Bedeutung der Geheimhaltung, die Stellung des Lehrers und erklärt die sexuelle Symbolik.

 Wann ist tantrischer Buddhismus entstanden?
Nach Meinung der Wissenschaft soll die Hochblüte zwischen dem 8. und 11. Jahrhundert nach Christi gewesen sein. Nach Auffassung der tantrisch-buddhistischen Traditionen gehen die Grundtexte, die sogenannten Wurzel-Tantras, auf den Buddha zurück. Historisch ist das allerdings nicht belegbar.

 

Was versteht man unter tantrischem Buddhismus?
Prinzipiell ist Tantra ein sehr weites Gebiet, in dem es unterschiedliche Strömungen und Traditionen gibt. Daher ist es schwierig, eine allgemeingültige Definition zu geben. Laut Eigendefinition ist der tantrische Buddhismus ein Teil des Mahayana, des sogenannten Großen Fahrzeugs.

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Gibt es ihn nur in Tibet?
Nein, es gibt ihn zum Beispiel auch in Japan, wo er als Shingon bekannt ist.

 

Was ist das Wesen des tantrischen Buddhismus?
Wesentliche Grundlage des buddhistischen Tantra ist die Lehre von der Buddha-Natur, die jedem Wesen innewohnt. Von diesem Blickwinkel aus sind wir alle, also von unserer Natur her, schon jetzt und seit jeher Buddhas. Die tantrische Praxis besteht darin, das Ziel unseres Weges, also den Zustand des Erwachtseins, zum Weg selbst zu machen. Das bedeutet, dass wir uns der Tatsache unseres Buddha-Seins immer bewusster werden und schließlich erkennen.

 

Was versteht man unter Buddha-Natur?
Die wahre Natur des Geistes, die in jedem Moment die Einheit von Leerheit und Klarheit und damit der Buddha-Zustand ist. Dieser ist bei Wesen ohne Erkenntnis von sogenannten Schleiern und Trübungen verhüllt, die jedoch nicht Teil der Buddha-Natur sind und daher durch die Praxis entfernt werden können. Ein klassisches Beispiel dazu ist eine von schmutzigen Tüchern umhüllte goldene Buddha-Statue: Ob diese nun von Tüchern bedeckt ist oder nicht, ändert nichts an der kostbaren Statue. Und weil die Tücher nicht Teil von ihr sind, kann man sie auch entfernen.

 

Wie kann man sich den tantrischen Weg vorstellen?
Grundlage für eine erfolgreiche tantrisch-buddhistische Praxis ist alles, was auch in den Sutras auf allgemeiner Mahayana-Ebene gelehrt wird. Oft beginnt man mit bestimmten vorbereitenden Übungen. Wie der darauf aufbauende tantrische Weg dann genau aussieht, hängt von der Methode ab, die man wählt. Bedeutungsvoll in der Kagyü-Tradition ist der Begriff ‚Mahamudra', das sogenannte ‚Große Siegel', eine Bezeichnung für das Erkennen der Natur des Geistes. Dieses Ziel kann man entweder durch eine Praxis auf reiner Sutra-Ebene, also ohne die Anwendung tantrischer Methoden erreichen oder durch das Tantra-Mahamudra oder aber durch eine Mischung von beidem. Im Tantra-Mahamudra wird auf einen ‚Yidam', eine sogenannte ‚Meditationsgottheit' praktiziert. Sie ist ein Ausdruck der reinen Natur unseres Geistes und damit des Buddha-Zustands. Durch unsere Praxis machen wir unser Ziel zum Weg, indem wir mit diesem Ausdruck der reinen Natur unseres Geistes immer vertrauter werden und ihn letztlich als unsere Natur erkennen.

 

Was versteht man unter einem Tantra- und einem Sutra-Weg?
Beide sind Bestandteile des Mahayana und führen zum selben Ziel. Der Unterschied liegt vor allem in den verwendeten Übungen. Zwar haben die tantrischen Methoden auch ihren eigenen philosophischen Hintergrund, dennoch geht jeder, der den Weg des tantrischen Buddhismus beschreitet, auch den Sutra-Weg. Und jemand, der den reinen Sutra-Weg geht, braucht und verwendet keine tantrischen Methoden. Bei Letzteren wird übrigens auch der Körper stark in die Praxis mit einbezogen, zum Beispiel durch bestimmte Atem- und Körperübungen.

 

Gibt es im Tantra auch Anleitungen, wie man sein Leben bewältigen kann?
Der Begriff ‚Tantra' kann als ‚Kontinuum' übersetzt werden und weist darauf hin, dass es bei der Praxis darum geht, die Sichtweise beziehungsweise die Erfahrung der Buddha-Natur in allen Lebenssituationen kontinuierlich aufrechtzuerhalten. Und daher gibt es im Tantra natürlich Anleitungen zu allen Aspekten unseres Lebens.

 

Gibt es bestimmte Verhaltensregeln?
Die tantrisch-buddhistische Praxis umfasst drei Aspekte: Sichtweise, Meditation und Verhalten. Neben den allgemeinen buddhistischen Verhaltensrichtlinien gibt es auch solche, die mit der jeweiligen tantrischen Praxis zusammenhängen. So gibt es etwa eine Tantra-Klasse, in der es Teil der Übung ist, auf besondere Reinlichkeit zu achten, und zwar sowohl körperlich als auch in Bezug auf die Umgebung, die Nahrung und die Kleidung.

 

Welche Bedeutung haben die Emotionen?
Die tantrische Sicht auf Emotionen ist, dass diese – genauso wie alles andere – ihrer Natur nach rein sind. Weil es nicht leicht ist, dies tatsächlich zu erleben, und man sich da leicht etwas vormachen kann, ist es so wichtig, dass die tantrische Praxis auf der Grundlage dessen geübt wird, was im Mahayana gelehrt wird: Achtsamkeit, Großzügigkeit, ethisches Verhalten, Mitgefühl, Weisheit ...

 

Welchen Stellenwert hat der Lehrer, ein Guru?
Es ist in jeder buddhistischen Tradition wichtig, dass man einen Lehrer hat, der einen anleitet. ‚Guru' bedeutet nichts anderes als ‚Lehrer' und natürlich hat ein Lehrer, der einen in die Natur des eigenen Geistes einführt, einen besonderen Stellenwert. Der sogenannte ‚letztendliche Guru' ist die Natur unseres Geistes. So gesehen geht es beim Vertrauen in den Guru nicht um Vertrauen in den Menschen, was der Guru ja auch ist, sondern um Vertrauen in das, was ich meiner Natur nach bereits bin und verwirklichen möchte. Dabei ist der Mensch, den wir als Guru ansehen, eine Art Vorstufe auf den letztendlichen Guru. Offenbar fällt es uns zunächst leichter, unser Vertrauen auf etwas Äußeres zu richten!

 

Wieso werden manche tantrische Praktiken geheim gehalten?
 Kostbare Lehren wurden oft geheim gehalten – und Geheimes als besonders kostbar empfunden. Nachdem im Tantra alles als rein und vollkommen angesehen wird, verlieren gesellschaftliche Übereinkünfte wie Moral und Ähnliches ihre Absolutheit. Daher haben tantrische Praktizierende sie im Laufe der Geschichte immer wieder infrage gestellt und auch übertreten. In einer streng reglementierten Gesellschaft wie der indischen wurden die Tantras daher nicht öffentlich praktiziert. Das war später in Tibet anders und auch im Westen werden mittlerweile großen Menschenmengen tantrische Ermächtigungen gegeben, unabhängig davon, ob die Teilnehmer nun etwas davon mitbekommen oder nicht.

 

Im tantrischen Buddhismus gibt es viele Darstellungen von sexuellen Vereinigungen. Welche Bedeutung haben diese?
Von der Symbolik her steht der männliche Aspekt für Mitgefühl und der weibliche für Weisheit. Wie erwähnt ist Tantra ein Weg, auf dem ein bestimmter Bewusstseinszustand, eine bestimmte Sichtweise kontinuierlich aufrechterhalten wird. Das umfasst natürlich auch die Sexualität und daher gibt es im buddhistischen Tantra auch Methoden, sie in den Weg mit einzubeziehen – wobei Menschen, die sich für ein zölibatäres Leben entschieden haben, ihre Sexualität innerlich leben, während andere dies auch mit einem ‚echten Partner' und einer ‚echten Partnerin' tun können. In beiden Fällen ist es eine Übungsmethode, um in jedem Augenblick die letztendliche Natur jedes Erfahrens zu erkennen – die Buddha-Natur.

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Univ.-Prof. Dr. Peter Riedl

Univ.-Prof. Dr. Peter Riedl

Peter Riedl ist Universitätsprofessor für Radiologie und seit über 30 Jahren Meditations- und Achtsamkeitslehrer. Er ist Gründer und war bis Juni 2019 Herausgeber der Ursache\Wirkung, hat W.I.S.D.O.M., die Wiener Schule der offenen Meditation und das spirituelle Wohnheim Mandalahof gegründet. S...
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