„Geld regiert die Welt" – heißt es im Volksmund. Wir streben blind danach und lassen die Faszination an den ‚Moneten' unser tägliches Handeln bestimmen. Doch Geld bringt weder das ersehnte Glück im Leben, noch befreit es uns von unserem Leiden.
Die Krise ist da und eigentlich ist niemand so richtig überrascht davon. Nicht wenige behaupten sogar, sie hätten den Finanzkollaps vorausgesagt. Tatsache ist, dass trotz des (übermäßigen) Konsumierens ohnehin keiner mehr zufrieden war. Fernreisen, teure Autos, chice Markenkleider, all das brachte keine Erfüllung und noch nicht einmal (Konsum-)Sättigung. ‚Haben' erzeugt den Wunsch nach noch mehr ‚haben wollen' und facht unentwegt die Gier an oder vielleicht facht die Gier das ‚Habenwollen' an. Gier wird im Buddhismus als eines der drei Gifte bezeichnet, zu denen auch der Hass (die Ablehnung) und die Verblendung (die Illusion) zählen. Sie gelten als unheilsam und ohne deren Überwindung gibt es kein leidfreies Leben.
Doch was helfen uns schöne Sprüche, wenn auf dem Konto ein dickes Minus steht und diverse Zahlungen getätigt werden müssen: Miete, Gas, Strom, Telefonkosten, Haushalts- und Kfz-Versicherung, Leasingrate für das Auto. Man hat sich einen Lebensstandard erworben und davon abzurücken ist sehr schwer.
Grete W., alleinerziehende Mutter von zwei Kindern: „Ich wünsche mir einfach, wieder bei null anfangen zu können. Dann hätte ich eine Chance, alles in den Griff zu bekommen." Bei der 43-jährigen Sachbearbeiterin haben sich enorm viele ‚blödsinnige' finanzielle Verbindlichkeiten angehäuft, die sie nicht mehr zufriedenstellend bedienen kann. Sie könnte natürlich ihr Leasingauto zurückgeben, allerdings müsste sie dann noch den Restwert von 3000 Euro bezahlen. Sie könnte auf den Wagen auch ganz verzichten, jedoch allein die Auflösungsgebühren und fälligen Reparaturen würden etwa 2500 Euro ausmachen – und diesen Betrag hat sie nicht.
Natürlich überlegt Grete, sich einen besser bezahlten Job zu suchen, doch dafür müsste die Beamtin berufliche Sicherheit aufgeben – und das mit zwei Kindern? Ganz abgesehen davon, dass in Zeiten wie diesen gut bezahlte Jobs für Alleinerzieherinnen selten sind. An einen Nebenjob ist auch nicht zu denken, denn bereits jetzt schafft sie es kaum, ihren Verpflichtungen in Haushalt und Familie nachzukommen.
Grete ist auf sich selbst unendlich sauer. Sie ist sehr streng mit sich und im Übrigen der Meinung, dass sie es im Leben einfach nicht geschafft hat. Hin und wieder geht sie abends mit einer Freundin aus und trinkt zu viel: „Das sind die wenigen Momente, in denen ich mich wirklich sorgenfrei fühle. Manchmal brauche ich das." Doch auch diese kurze Flucht ändert nichts am Wirrwarr ihres Lebens.
Reden wir einmal über Gretes Sehnsüchte: Ganz oben auf der Hitliste steht der Wunsch nach einem potenten Partner, mit dem sie ihre Sorgen und auch Kosten teilen könnte und den sie auch lieben würde. Gott, würde sie den lieben! Das wäre für Grete das höchste der Gefühle.
Dicht gefolgt wird dieser Wunsch von der Vorstellung, sie könnte einen ‚Lotto-Sechser' schaffen. Grete weiß, dass sie letzten Endes nur etwas so Paradoxes wie eine große Gewinnsumme aus ihren Problemen katapultieren könnte. Oft träumt sie auf dem Weg zur Arbeit von solch paradiesischen Zeiten und rechnet durch, welche Summe sie benötigte und ob ein Fünfer mit oder ohne Zusatzzahl auch ausreichte. Ja, durchaus. Ein Fünfer mit Zusatzzahl wäre mehr als genug, ein Fünfer ohne könnte auch schon reichen. Und so trägt sie Woche für Woche einen für sie nicht unerheblichen Betrag in die Annahmestelle und kauft bei der Gelegenheit noch einige Rubbellose, um dem Glück wirklich eine Chance zu geben: „Unter 20 Euro gebe ich dafür nie aus. Es waren auch schon mal 50 Euro, aber das finde ich in Ordnung, denn ich habe auch schon einige Male etwas zurückgewonnen", rechtfertigt sie diese Ausgaben.
Natürlich weiß Grete, es ist äußerst unwahrscheinlich, wenn auch nicht gänzlich ausgeschlossen, dass einer ihrer Träume in Erfüllung geht. Tatsache ist, dass sie keinen guten Bezug zur Finanzrealität ihres Lebens hat und dass sie echte Hilfe braucht, um aus diesem Schlamassel herauszukommen.
Grete benötigt Unterstützung auf zwei Ebenen: Einerseits sollte sie eine Schuldnerberatungsstelle aufsuchen, die mit der Leasingfirma oder der Bank über bessere Konditionen oder Zahlungsziele verhandeln kann. „Etwa 20% der Menschen können mit Geld einfach nicht gut umgehen", meint der staatlich anerkannte Schuldnerberater Alexander Maly.
Zum Zweiten könnte Grete durch eine Psychotherapie entlastet werden: „Das Gefühl des ‚Habenwollens' und die fixe Idee, dass mich genau dieser Gegenstand glücklich macht, sind Gedanken, die einen zum Kauf verführen. Ich möchte fast sagen, dass es sich immer um die Suche nach dem Glücklichsein, dem Zufriedensein, dem ‚Anerkanntsein' handelt", meint Psychotherapeutin Andrea Kunert.
Gretes Grundproblem, das sie übrigens mit vielen Menschen teilt, ist damit noch nicht gelöst. Gier, Hass und Verblendung werden sie weiterhin daran hindern, ein gelöstes, reifes Leben zu führen. Doch die praktischen Dinge des Alltags in Ordnung zu bringen ist ein wichtiger Anfang und bringt Klarheit. Sich in eine Psychotherapie zu begeben ist ein Schritt zu mehr Bewusstheit und führt oft dazu, sich mit den Ursachen des Leidens auseinanderzusetzen – was direkt zur Meditation und letztlich zu einer Erleichterung im Leben führen kann.
Andrea Kunert,
Psychotherapeutin für Existenzanalyse und Kunsttherapie, über Kauf- und Schuldenverhalten.
Warum verschulden sich Menschen aus Ihrer Sicht?
Andrea Kunerth: Es kommt einerseits zu einer Konfrontation mit dem Angebot und andererseits haben die Betroffenen oft einen schlechten Umgang mit dem ‚Nein-Sagen zu sich selbst'. Ein weiterer Punkt ist, welche persönlichen Ressourcen stehen mir zur Verfügung, mithilfe derer ich gegen das Angebot halten kann. Also, was macht mich sonst noch glücklich im Leben, wodurch werde ich befriedigt, worüber definiere ich mich. Je mehr subjektive Befriedigung im Leben besteht, desto weniger wird man zur Kompensation kaufen müssen. Nach einem ‚Frustkauf im Rausch' ist man maximal eine gute Stunde glücklich, danach kann es sogar zu depressiven Zuständen kommen.
Was tut sich auf neurologischer Ebene?
Im Moment des Kaufes werden Glückshormone ausgeschüttet wie der Neurotransmitter Serotonin. Man weiß, dass in der kalten Jahreszeit weniger Glückshormone ausgeschüttet werden, deshalb wird in den Wintermonaten öfters die Geldtasche gezückt. Die hirnorganischen Vorgänge sprechen aufs Einkaufen an und körpereigene Glücklichmacher haben Auswirkungen, als würde man Antidepressiva nehmen. Sicherlich spielt auch die Lustbefriedigung eine Rolle, denn in solchen Momenten ist der Verstand ausgeschaltet. Es geht nur um den aktuellen Lustgewinn.
Wie kann man sich vor solchen Einkaufsattacken schützen?
Man sollte sich drei Fragen stellen:
1. Brauche ich das Objekt meiner Begierde wirklich?
2. Werde ich mich noch übermorgen darüber freuen?
3. Was wird meine ‚nicht kaufsüchtige' Freundin dazu sagen? Oder eine andere Person mit einem gesunden Realitätsbezug?
Alexander Maly,
Geschäftsführer einer gemeinnützigen Schuldnerberatung in Wien, über die Schuldenbiografie von Arm und Reich.
Wer sind die Verlierer der Krise?
Alexander Maly: Anfangs waren es jene, die etwas vermögend waren und darauf gesetzt hatten, dass sich dieses Geld vermehren würde. Es sind Menschen, die zum Beispiel ihre Abfertigung in MEL (Meinl European Land)-Aktien veranlagt haben, die nun ins Bodenlose abgestürzt sind. Andere wieder haben sich von unqualifizierten AWD-Anlageberatern mit Fantasierenditen blenden lassen. Sie haben Veranlagungen gewählt, sprich Aktien und Fonds. Als Nächstes kam die Gruppe derer, die durch die Krise den Job verloren hatten, wobei wir noch nicht abschätzen können, wie viele das am Ende sein werden.
Hat die Krise dieses Mal nicht auch die Vermögenden getroffen?
Da ich nie Vermögende berate, weiß ich es nicht genau. Wirklich Vermögende hat aber auch diese Krise nicht wirklich getroffen, sondern nur diejenigen, die vom Gewinn, dem großen Geld, geträumt haben. Jeder, der vor der Krise das Geld auf ein Sparbuch gelegt hat, wurde doch als ‚Depp' bezeichnet. Die Wirtschaftszeitschriften waren voll von ‚guten' Tipps, wo und wie man am besten investieren kann. Die, die darauf eingestiegen sind, waren die ersten Verlierer.
Wer zählt noch zu Ihren Klienten?
Fast 70 Prozent unserer KlientInnen haben Migrationshintergrund. Ein ungünstiger Umgang in finanziellen Angelegenheiten ist aber sicher nicht der Grund hierfür, sondern das Überangebot, das Menschen, die den Überfluss nicht gewohnt sind, häufig überfordert. Wichtig ist: MigrantInnen haben dieselben Probleme wie alle anderen auch, nur treten sie klarer und schneller zutage. Sie leben häufig in dem Dilemma, dass sie einem hohen Konsumdruck ausgesetzt sind und aus Imagegründen öfter kaufen, als sie könnten oder sollten. Auf die Kinder der Klienten wird natürlich dieser Druck übertragen, die ebenfalls einen hohen kompensatorischen Konsum pflegen. Nirgends gibt es so viele tiefgelegte BMWs wie in Migrantenkreisen – und dieses Beispiel gilt besonders für die junge MigrantInnen-Generation.
In welchem Lebensabschnitt beginnt eine durchschnittliche Schuldnerbiografie?
Meistens schon in jungen Jahren – als Lehrling oder Student. Alleine die Zinszahlung hängt lange Zeit nach, teilweise werden dafür sogar wieder Kredite aufgenommen – ein Schneeball, der schnell rollt und immer größer wird. Interessant ist: Kaum ist die Wirtschaftskrise da, stockt der Nachwuchs an Überschuldeten. Das Kuriose ist, dass wir für einen Teil der KlientInnen fast froh über die Wirtschaftskrise sind, denn heute bekommt zum Beispiel ein Student ohne Einkommen keinen Überziehungsrahmen von 3000 Euro mehr. Im Laufe des vergangenen Jahres wurden die Kreditrahmen generell hinuntergesetzt. Für bereits Verschuldete ein Wahnsinnsakt, denn die müssen nun zusätzlich zu den Verzugszinsen die Überziehungszinsen zahlen.