2019 bildeten sich im Fahrwasser der „Extinction Rebellion“ die „Extinction Rebellion Buddhists“, kurz „XR Buddhists“. Sie sind davon überzeugt, dass Aktionen zum Klima- und Umweltnotstand buddhistische Praxis sind.
Auf der XR-Website heißt es: „Extinction Rebellion ist eine selbstorganisierte, dezentralisierte, internationale und politisch unabhängige Bewegung, die gewaltfreien zivilen Widerstand einsetzt, um Regierungen dazu zu bewegen, auf gerechte Art und Weise auf die ökologische Krise und den Klimanotstand zu reagieren.“
Vom 16. bis zum 19. September 2022 fand in Berlin erneut die sogenannte Herbst-Rebellion statt, eine jährliche Protestaktion der Extinction Rebellion, an der sich die XR Buddhists auch wieder beteiligt haben. Der Herausgeber der Ursache\Wirkung, Hendrik Hortz, sprach mit Stefan Kaiser, einem der Koordinatoren der XR Buddhists in Deutschland. Stefan Kaiser ist als Unternehmensberater selbstständig tätig.
Hortz: Meine Eingangsfrage ist eine Verständnisfrage: Worin unterscheiden sich Fridays for Future, Extinction Rebellion und die Letzte Generation? Sie alle sind Gruppen, die sich für den Klimaschutz engagieren.
Kaiser: Ich fange mit den Gemeinsamkeiten an: Alle drei Bewegungen nutzen als Protestform den zivilen Ungehorsam. Aber ziviler Ungehorsam sieht für Schüler oder Schülerinnen anders aus als für Erwachsene. Fridays for Future ist eine Jugendbewegung, die Schule bestreikt.
Als Erwachsener hat man keine Schule mehr, die man bestreiken könnte.
Manchmal sagt man, XR ist die ältere oder die radikalere Schwester von Fridays for Future. Die XR ist ein bisschen radikaler. Fridays for Future organisieren angemeldete Demonstrationen, während XR in der Regel unangemeldete Aktionen organisiert, um beispielsweise unerlaubt eine Straße zu blockieren. Wir sind mit allen freundschaftlich verbunden und gehen gegenseitig auf die Aktionen der anderen.
Die Letzte Generation geht noch weiter.
Ja, sie sind noch extremer. Sie haben zum Beispiel 2021 einen Hungerstreik durchgeführt, um Politiker zu öffentlichen Gesprächen über den Klimanotstand zu drängen. Sie machen auch andere riskante Dinge, wie sich an Straßen festkleben, eine Autobahn besetzen, Gasleitungen abstellen, so was.
Erzeugen solche Aktionen nicht Widerwillen bei anderen Buddhisten?
Manche, die vielleicht von dem Thema genervt sind, bringen Vorwände vor, wie: Wir praktizieren Buddhismus, da soll der Aktivismus außen vor bleiben. Im anderen Lager sind klassische Leugner, die politisch woanders stehen oder einfach mit dem Thema nichts anfangen können.
Mir persönlich begegnete der Einwand, dass der Begriff „Rebellion“ unbuddhistisch sei, weil nicht pazifistisch.
XR ist sehr wohl pazifistisch. Ich glaube, man muss unterscheiden: XR ist nicht gewalttätig. Manchmal schreiben wir Parolen an öffentliche Wände. Das ist, rechtlich gesehen, Gewalt gegen Sachen, aber hier kommt niemand zu Schaden. Gewalt gegen Menschen lehnen wir kategorisch ab. Natürlich stören die Aktionen Leute in ihrem normalen Leben, wenn zum Beispiel Straßen blockiert werden. Aber das ist eine Methode, die Mahatma Gandhi bereits in Indien nutzte, als gewaltlose Form des Widerstands. Gandhis Ansatz war, Abläufe im Alltag zu stören oder sogar zum Erliegen zu bringen, um damit für Aufsehen zu sorgen. XR geht sogar so weit, dass einzelne Aktivisten und Aktivistinnen eine Verhaftung riskieren. Wir bringen den Staat in eine Situation, wo er für eine gute Sache Menschen verhaften muss. Damit setzen wir den Staat in besonderem Maße unter Druck.
Du sprichst von zivilem Ungehorsam. Kürzlich – im September in Berlin – während der „Herbst-Rebellion“ haben die XR Buddhists keine eigenen Aktionen des zivilen Ungehorsams organisiert, sondern – ich sage mal „nur“ – an verschiedenen Stellen im öffentlichen Raum meditiert.
Das ist richtig, allerdings beteiligten sich einige Mitglieder von XR Buddhists an Aktionen des zivilen Ungehorsams, die Extinction Rebellion als Bewegung organisierte. Einige Teilnehmer und Mitorganisatorinnen hatten im Vorfeld Bedenken. Ihre Befürchtung war, dass viele Buddhisten und Buddhistinnen nicht mitmachen würden, wenn wir unsere Aktionen nicht offiziell anmelden. Dazu kam, dass wir ja nicht nur so getan haben, als würden wir meditieren, wir haben wirklich meditiert. Das wird schwierig, wenn uns die Polizei im Nacken sitzt. Tatsächlich ist es so, dass die Polizei einen schützt, wenn man seine Demonstration anmeldet. Sie sorgt dafür, dass alles abgesichert ist und man zum Beispiel nicht angepöbelt wird.
Aber die Kehrseite war, dass die Tagespresse den meditativen Protest ignoriert hat.
Es kamen nur die lauten Aktionen in die Zeitung, wo eine Kreuzung blockiert wurde. Das ist genau der Punkt, warum XR den Weg des zivilen Ungehorsams geht: damit Öffentlichkeit für das Thema entsteht. Aber bei uns gehen die Aktivisten mit einem besseren Gefühl nach Hause. Bei den anderen Aktionen sind die Aktivisten mehr unter Stress, wenn die Polizei anfängt zu räumen.
An welchen Aktionen war XR Buddhists bei der „Herbst-Rebellion“ in Berlin beteiligt?
Wir haben eine Gehmediation entlang der Spree bis zum Alten Museum gemacht. Über hundert Leute nahmen teil. Obwohl die Strecke nur etwa 400 Meter lang war, sind wir eine Stunde gegangen. Wir gehen im Soto-Zen-Stil: ein Bein anheben, einatmen, Bein absenken, ausatmen.
Die zweite Aktion richtete sich gegen die Deutschen Bank, warum?
Vor der Bank haben wir zunächst ebenso eine Gehmeditation gemacht. Wir demonstrierten gegen die Erzeuger fossiler Brennstoffe, die die Deutsche Bank mitfinanziert. Anschließend haben wir uns vor den Eingang gesetzt und dort meditiert. Dem Filialleiter der Bank übergaben wir einen Brief mit einer Erklärung. Diese hatten wir im Stil Thich Nhat Hanhs klar, aber freundlich formuliert. Wir wollten zeigen, dass wir sie nicht anfeinden, sondern im genannten Punkt nicht übereinstimmen. Wir wollten sie ermutigen, als Bank besser zu werden.
Wer macht bei Aktionen der XR Buddhists mit, wie ist die Altersstruktur?
In der Regel sind es die alten Hasen, die so etwas organisieren. Die Jüngeren kommen dann oft spontan dazu, sodass wir eine bunt durchmischte Gruppe sind.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 122: „Resilienz"
Es gab ein Klimacamp, dort hattet ihr ein Meditationszelt.
Genau, die Aktivisten werden im Klimacamp verpflegt und können dort übernachten. Man trifft sich, um die Aktionen zu koordinieren. Es gibt auch Trainings, etwa wie man mit der Polizei umgehen sollte, und emotionale Unterstützung für Leute, die belastende Erlebnisse hatten. Wir hatten ein Meditationszelt als Treffpunkt für die buddhistischen, christlichen und anderen religiösen Aktivisten. Natürlich konnte jeder teilnehmen, der sich dafür interessierte. Es kamen sogar Leute nur zur Meditation, die gar kein Interesse an den Aktionen hatten. Wir haben auch eine Puja durchgeführt, eine buddhistische Andacht, aber ausgerichtet auf buddhistischen Klima-Aktivismus. Am Ende sprachen wir ein „Ecosattva-Gelübde“. Der Begriff ist angelehnt an das buddhistische Bodhisattva-Gelübde, in dem es um Mitgefühl für alle Wesen geht.
Was habt ihr für die Zukunft geplant?
In Berlin werden wir uns jedes Jahr an der „Herbst-Rebellion“ beteiligen, solange es XR gibt. Weiter gibt es lokale Aktionen in Hamburg oder in Lützerath, etwa zum Braunkohletagebau. Da bringen wir uns ein. Und wir treffen uns online zum Austausch.
www.facebook.com/groups/xrbuddhistsgermany
Ecosattva-Gelübde:
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Fotos © Anne Albrecht