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Diskurs

„The Big Lebowski“, ein Film der Gebrüder Coen, ist inzwischen nicht nur Kult, sondern auch die Basis einer Religion. Gegründet wurde sie vor rund fünfzehn Jahren vom Dudely Lama Oliver Benjamin, und er nannte sie Dudeismus.

Die Hauptfigur des 1998 erschienenen Films „The Big Lebowski“ ist Jeffrey Lebowski, genannt der Dude. Der Dude ist ein ziemlich entspannter Typ, sein Lebensmotto: „Take it easy.“ Häufig heißt es auch „this aggression will not stand, man“ und zu guter Letzt „the Dude abides“, wobei „abide“ alles zwischen „es packen“ und „verweilen“ ist.

Das klingt ziemlich nach dem, was sich esoterikkundige Westler unter Buddhismus vorstellen. Allerdings pflegt Jeff „The Dude“ Lebowski einen wesentlich lockereren Lifestyle als Yogalehrer Sid „The Buddha“ Gautama. Während Sids Aufnahmebedingungen für seinen Ashram Regeln enthalten, wie „Ich will mich darin üben, Abstand zu nehmen vom Konsum berauschender Substanzen“, lässt sich Jeff vor allem eines nicht nehmen: öfter mal einen White Russian und hin und wieder eine Tüte Gras. Allerdings sagt er auch, dass er einen recht klaren Kopf hätte, da er seinen Rauschmittelkonsum unter Kontrolle halte. Er beherzigt also das Maßhalten, den Mittleren Weg, „Mesotes“, wie es die antiken Philosophen nannten. Auch Sids Klausurregel „Ich übe mich darin, von sexuellen Handlungen abzusehen“ sieht Jeff wesentlich unverkrampfter: Er legt es nicht darauf an, Sex zu haben, aber wenns passiert, dann passierts halt. Take it easy.

Wie alle weisen Männer wird der Dude, ähnlich Sid Gautama, durch die Anhaftung verführt und herausgefordert. Bei Sid waren es, während er unter seinem Feigenbaum der Erleuchtung entgegenmeditierte, die bildschönen Töchter des bösen Mara, die ihn vom Weg abbringen wollten. Bei Jeff ist es sein Teppich. Ein Teppich, der Jeffs Bude erst so richtig gemütlich gemacht hat und auf den der Handlanger eines Pornoproduzenten urinierte und ihn damit ruinierte, weil sich die Bösewichte in der Wohnungstür geirrt hatten. Das klingt jetzt ebenso unverständlich wie profan, aber sehen Sie sich den Film an. Denn das Thema scheint Sie ja zu interessieren, wenn Sie den Artikel bis hierhin gelesen haben.

Dudeismus

Auf jeden Fall möchte Jeff einen Ausgleich für seinen urinruinierten Teppich. Mit dieser kleinen Anhaftung geht der Stress für ihn los. Ein Tanz beginnt, der den bildschönen Töchtern Maras in nichts nachsteht. Dabei möchte der Dude doch eigentlich nur mit seinen Kumpels Walter und Donny in der Bowlingbahn buchstäblich eine ruhige Kugel schieben und gegen ihren Bowling-Rivalen Jesus (ja, Jesus!) gut aussehen. Take it easy.

Apropos „Walter“, Jeffs Kumpel, der Vietnamveteran Walter Sobchak, vertritt einen Standpunkt, den Sid Gautama durchaus als Eternalismus bezeichnet hätte. Walter glaubt an ewigwährendes Zeugs wie heilige Gebote, Gerechtigkeit, Heldenmut und das „Reich des Schmerzes“, wie er es nennt. Walter meint es immer gut, greift dabei aber leider ständig allzu tief in die Tonne und wird damit zu einem echten Praxistest für die Gelassenheit und den Gleichmut des Dudes. Ein weiterer Stresstest für Jeffs ausgeglichenen Lifestyle sind seine Gegenspieler, die deutschen Nihilisten Uli, Dieter und Franz. Sie bilden die Techno-Band „Nagelbett“ und sind die Bösewichter der dudeistischen Erbauungsgeschichte um Teppiche, Millionäre, Kunst, Frettchen im Badewasser, Entführung, Walgesänge und Pornos. Hatte ich schon erwähnt, dass Sid Gautama Nihilismus natürlich ebenso ablehnte wie Eternalismus? Allerdings hat Sid Gautama niemals gegen Jesus gebowlt. Wenn ich mich recht erinnere.

So viel zum Dude, der Inspirationsquelle und dem Archetyp des Dudeismus. Gleich vorneweg eine Entwarnung: Nein, als Dudeist muss man weder White Russian mögen noch trinken und auch nicht irgendein berauschendes Kraut rauchen. Der Besitz eines Teppichs oder dem Bowling etwas abgewinnen zu können, ist auch nicht notwendig. Abgesehen davon, setzen Sie sich beim Bowlen oder Kegeln einem erhöhten Herzanfallrisiko aus (Glauben Sie nicht? Googlen Sie mal!). Beim Dudeismus gehts auch nicht um Erleuchtung oder Erwachen. In Asien ist man sowieso wesentlich vorsichtiger mit diesen Begriffen und gibt schon mal zu, nicht genau zu wissen, was Erleuchtung oder Erwachen überhaupt sein soll. Genauer als die östlichen Gelehrten wissen das vermutlich nur die westlichen Kunden esoterischer Buchhandlungen, die in ihren Telegram- und Facebook-Gruppen darüber streiten. Auch karmisch günstige oder eben ungünstige Wiedergeburten sind im Dudeismus kein Thema: Jede dudeistische Handlung trägt bereits ihren Lohn in sich. Und das im Hier und Jetzt und nicht in einer rein spekulativen oder gar jenseitigen Zukunft.

Was ist eine dudeistische Handlung? Das ist schnell gesagt: ohne Krampf zu versuchen, locker zu bleiben und – auch ohne Bowling – eine ruhige Kugel zu schieben. Wenn man sich vorurteilslos in spirituellen Kreisen umsieht, kann man feststellen, dass dort verdammt viele Leute unter verdammt viel Krampf versuchen, locker zu sein. Und was sie dann in diesem seltsamen Zustand so sagen, das klingt häufig reichlich passiv-aggressiv. Denken wir an das Motto des Dudes: „This aggression will not stand, man!“

Dudeismus

Ist Dudeismus eine Art weltlicher Lebenshilfe, wie sie zum Beispiel der säkulare Buddhismus um Stephen Batchelor oder der buddhistische Psychotherapeut Jack Kornfield anbieten möchten? Nein. Denn Jeff „Der Dude“ Lebowski weiß im Gegensatz zu buddhistischen Therapeuten, Lehrern und Meistern nichts besser als seine Mitmenschen. Er gibt keine Tipps und verkündet keine Wahrheiten, sondern er hört offen und entspannt zu und bleibt dabei er selbst. Auch Ratschläge wie die Sid Gautamas zum Thema Frauen: „Nicht ansehen, nicht ansprechen“ (Digha Nikaya 16.5.4) oder „willige Helfer, angenehme Gefährtinnen“ (Anguttara Nikaya 5. 33), oder auch zum Thema Zähneputzen: „Man riecht nicht aus dem Munde“ (Anguttara Nikaya 5. 208) erspart einem der Dude. Er weiß, was sich für ihn richtig anfühlt, aber er zwingt es niemandem auf. Wenn Sie auf Lebenshilfe aus sind, kann ich Ihnen die „Fuckiteers“ von John C. Parkin empfehlen, aber ein Dudeist tendiert eher dazu, entspannt zu verweilen. The Dude abides.

Beim Dudeismus gehts auch nicht um Erleuchtung oder Erwachen.

Weil der Dudeismus keine weltliche Lebenshilfe ist, ist er freilich auch kein Hedonismus, praktiziert keine Askese und Stoizismus schon gar nicht. Wir erinnern uns: Jeffs Odyssee durch die Welt von Intrigen, Sex und Gewalt beginnt, als er sich daran macht, Schadenersatz für seinen wertvollen, gemütlichen Teppich einzufordern, sprich: Er folgt einem Anflug von Hedonismus und Materialismus. Auf seiner Reise kristallisieren sich dann aber Werte wie Offenheit, Ehrlichkeit und Freundschaft heraus. Selbst wenn das bedeutet, dass er die Asche seines verstorbenen Kumpels Donny aus Geldmangel lediglich in einer Kaffeedose transportieren kann.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 115: „Rede mit mir!"

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Wenn der Dudeismus keine Lebenshilfe anbietet, ist er dann eine Satire, die Religionen gehörig verarscht? Mitnichten. Der Dudeismus blickt auf nichts und niemanden herab. Er zieht keinen in den Schmutz oder trampelt auf ihm herum. Dudeismus ist auch keine zynische Analyse von Weltanschauungen. Oliver Benjamin, der Dudely Lama und Gründer des Dudeismus, hat die Religion des Dude, die „Church of the Latter-Day Dude“, synkretistisch angelegt. Sid Gautama hat es ganz ähnlich gemacht: Er übernahm das Karmakonzept seiner Kultur, verwarf aber die Idee des Atman, das heißt eines ewigen, unsterblichen Kerns im Menschen. Oliver Benjamin übernahm nun wieder einige Konzepte aus dem Buddhismus und jede Menge aus dem Taoismus und was er noch so vorfand. Synkretismus ist ein bisschen so, als stellt man sich am Frühstücksbuffet einen Teller mit lauter leckeren Happen zusammen. Und der Dude hat nichts gegen ein Frühstücksbuffet, solange er dafür nicht vor zwölf Uhr mittags aufstehen muss.

Andreas Kneib ist Gesellschafter der Lebensbegleitung Nord, die sich im Norden Deutschlands um die pflegerische und pädagogische Begleitung von Menschen mit besonderen Bedürfnissen kümmert.

Tipp: Ethan Coen, Joel Coen „The Big Lebowski“, 1998

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Andreas Kneib

Andreas Kneib

Andreas Kneib ist Gesellschafter der Lebensbegleitung Nord, die sich im Norden Deutschlands um die pflegerische und pädagogische Begleitung von Menschen mit besonderen Bedürfnissen kümmert.
Kommentare  
# Christoph 2023-10-09 13:11
Ein sehr unterhaltsamer Text und passend. Wir sind häufig zu verkrampft. Nicht nur mit der Haltung der anderen, sondern auch mit der eigenen
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