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Diskurs

Der Benediktinermönch David Steindl-Rast ist 1926 geboren. Religion ist wie Grundwasser, sagt er, und Dankbarkeit seine Grundhaltung zum Leben.

Es gibt unterschiedliche Religionen auf dieser Welt. Warum stehen sie miteinander in Konkurrenz?

Ich möchte mit Religion als einer Definitionsfrage beginnen. Wir sollten zwischen Religion im Sinne von Religiosität und Religion als Institution unterscheiden. Auf der Ebene der Institution kann keine Vereinigung stattfinden. Eine Institution – und jede der großen Religionen ist eine Institution geworden – vergisst meist sehr bald, wofür sie gegründet wurde. Sie verwendet ihre Energie darauf, sich selbst zu verewigen. Das ist allen Institutionen gemeinsam, sei es politischer, medizinischer oder auch akademischer Natur. Religion ist keine Ausnahme. Auf institutioneller Ebene tauscht man vielleicht freundliche Worte untereinander aus, und wenn wir Glück haben, bekämpft man sich nicht, doch Religionen werden auf institutioneller Ebene sicherlich nicht zusammenfinden.

Und worauf setzen Sie dann Ihre Hoffnung?

Das Einzige, was den Zwiespalt überwinden kann, ist die Rückbesinnung auf Religiosität. Sie verbindet uns alle, ist angeboren, denn Menschsein bedeutet, sich mit den Geheimnissen des Lebens auseinanderzusetzen.

Was meinen Sie genau mit Religiosität?

Ich will es mit einem Bild veranschaulichen: Stellen wir uns Religiosität als eine Art Grundwasser vor. Im Laufe der Geschichte bauten die unterschiedlichen Religionsgründer Brunnen. Gautama Buddha baute einen, Jesus auch. Beide befördern Grundwasser, also Religiosität an die Oberfläche, beide mit Brunnen, die für ihre Kultur und in ihren Kontext passten.

David Steindl-RastUnd was folgt daraus?

Im interreligiösen Dialog lassen sich entweder die verschiedenen Brunnen miteinander vergleichen, da werden sich sicherlich große Unterschiede feststellen lassen. Oder wir vergleichen das Wasser, das diese Brunnen ans Tageslicht bringen. Wer das tut, wird bemerken, dass das Wasser immer das Gleiche ist. Es ist also die Aufgabe von Religionszugehörigen, in der Begegnung mit anderen Glaubensrichtungen immer so tief hinunterzugehen, dass sie das lebendige Wasser herausholen. So schafft man es, Gemeinsamkeiten zu erkennen und nicht auf die Unterschiede zu achten.

Es gilt also, sich dafür einzusetzen …

Auf politischer und persönlicher Ebene ist es wesentlich, Nein zu sagen, wenn Unrecht geschieht! Ich sehe dies als eine Form von Dankbarkeit. Wir sollten uns gegen Unrecht wehren und dagegen protestieren. Protest, auch politischer Protest, ist ungeheuer wichtig, das ist etwas, was spirituelle Leute oft übersehen. Es ist nicht möglich, für Ausbeutung, Erpressung oder Umweltverschmutzung dankbar zu sein. Für das Richtige einzutreten, ist eine Form, sich dankbar zu erweisen.

Was ist Dankbarkeit aus Ihrer Sicht?

Dankbarkeit ist eine Haltung, mit der wir in eine Situation hineingehen können. Dankbar zu leben ist etwas anders, als kurz für etwas dankbar zu sein. Es ist eine spirituelle Praxis. Sie bringt uns ins Jetzt.

Wie schafft man das in schwierigen Situationen?

Indem man Lebensvertrauen aufbaut und für jede Gelegenheiten dankbar ist, die das Leben bietet. Denn das Leben ist ein Geschenk. Wenn man wirklich bewusst lebt, kann man für jeden Augenblick dankbar sein. Für die Probleme im Leben geht dies klarerweise oft nicht, aber wir können aus der Herausforderung etwas zu lernen, eine Chance sehen und auch dafür dankbar sein. Auch an Schwierigkeiten kann man wachsen und reifen.

Was hat das mit Glauben zu tun?

Glauben bedeutet, dem Leben zu vertrauen. Jeder sollte die Gewissheit haben, dass das Leben jedem immer wieder etwas Gutes gibt. Es ist stets eine Entscheidung: Vertraue ich oder fürchte ich mich vor dem Leben? Diese Frage stellt sich jeden Tag mehrmals. Furcht ist auf jeden Fall das Gegenteil von Lebensvertrauen. Angst ist unvermeidlich, man sollte sich aber trotzdem nicht fürchten.


Gibt es einen Unterschied zwischen Furcht und Angst?


Furcht ist das Gegenteil von Vertrauen und Glauben. Sie wird oft mit Angst verwechselt. Angst ist aber im Leben unvermeidlich. Wenn wir Angst haben, fühlen wir uns beengt. Es gibt jedoch die Möglichkeit, sich vor der Enge nicht zu fürchten und vertrauensvoll in diese hineinzugehen. Furcht fühlt sich an, als würde man Widerstand leisten, da stellt man die Borsten auf und bleibt stecken. Wenn man jedoch vertrauensvoll in eine beängstigende Situation hineingeht, kommt man auf der anderen Seite mit neuer Stärke hinaus.

Welche Rolle spielt die Spiritualität dabei?

Spiritualität ist Vertrauen ins Leben und damit das genaue Gegenteil von Lebensfurcht. Denn sich vor dem Leben zu fürchten, bedeutet auch, sich gegen das Leben zu sträuben. Der Dialog mit dem Leben ist letztlich also immer ein Dialog mit Gott. Dankbarkeit hilft dabei, im Jetzt zu sein. Die meisten von uns sind entweder in der Zukunft oder in der Vergangenheit.

Wie kann man lernen, jeden Augenblick zu genießen?

Ich habe da eine kleine Methode entwickelt, die lautet: „Stop. Look. Go.“ Mit „Stop“ meine ich: Kurz innehalten, still werden, ins Jetzt kommen, um einen Augenblick zu erkennen. „Look“ heißt: schauen, welche Gelegenheit das Leben gerade offenbart. „Go“ bedeutet: etwas aus der Situation machen, handeln, sich erfreuen oder etwas lernen.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 111: „Unterwegs - ein Abenteuerheft"

UW111 Cover


Und dann?

Dankbarkeit ist der Schlüssel zum Glück. Wir alle kennen Menschen, die alles haben, was sie brauchen, um glücklich zu sein, sie sind es aber nicht, weil ihnen die Dankbarkeit fehlt. Umgekehrt gibt es aber auch Menschen, die trotz vieler Schwierigkeiten und Leid im Leben Freude ausstrahlen, weil sie eben dankbar sein können.

Wie ist es mit der Furcht vor dem Tod?

Wenn wir ins Leben vertrauen, dann haben wir auch keine Furcht vor dem Tod oder dem Sterben. Der Tod gehört zum Leben dazu. Heutzutage ist das Sterben meistens verbunden mit Dingen, für die wir nicht dankbar sein können. Oft findet eine Entpersonalisierung statt, man wird einfach zu einer Nummer in einem Spital. Sterben gehört aber einfach zum Leben dazu, auch der letzte Augenblick wird nur ein Augenblick sein.

Wofür sind Sie dankbar?

Für jeden Augenblick. Wenn man nicht Augenblick für Augenblick dankbar ist, ist man ja abgelenkt und nicht im Jetzt. Deshalb muss ich auch in diesem Moment gerade genau aufpassen, wofür ich dankbar bin. Ich habe daher keine Zeit zu denken, wofür ich in der Vergangenheit dankbar gewesen bin.

Das Interview mit David Steindl-Rast fand im Rahmen des Globart Mindfulness Forum statt.

Bruder David Steindl-Rast, geboren 1926, studierte Kunst, Anthropologie und Psychologie. Er trat 1953 in das amerikanische Benediktinerkloster Mount Saviour ein und ist eine bedeutende Stimme im interreligiösen Dialog, auch weil er viele Jahre Zen-Buddhismus praktizierte. Er ist Autor und Gründer des internationalen Netzwerkes „Dankbar leben“. www.dankbar-leben.org
 
Foto © Chris Zvitkovits, Globart Mindfulness Forum
Ester Platzer

Ester Platzer

Ester Platzer, 1979, lebt in Wien und ist Mitglied der Chefredaktion bei Ursache\Wirkung. Davor lebte und arbeitete sie viele Jahre in Ostafrika. Ester absolvierte ihr Magisterstudium in internationaler Entwicklung an der Universität Wien.
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