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Diskurs

Buddhas Lehre zeigt, wie innere Zwänge erkannt und aufgelöst werden können. Vom Umgang mit schwierigen Gefühlen.

Viele Menschen erleben diffuse Ängste, die auch dann nicht verschwinden, wenn sie konkrete Sündenböcke finden. Vielleicht hängen die diffusen Ängste mit verlorenem Vertrauen ins große Ganze zusammen? Seit der Aufklärung und Industrialisierung glauben viele, die Menschheit sei in der Lage, alle Probleme in den Griff zu bekommen und Hunger und Not, Armut und Krieg durch die Befreiung von politischer und religiöser Unterdrückung zu überwinden.

Warum geht der Traum vom Glück auf Erden für alle nicht in Erfüllung? Es reicht nicht aus, Freiheit von äußeren Zwängen durch Revolution oder Reformen zu erkämpfen, auch die inneren Zwänge sollten beachtet und aufgelöst werden. Wie das geht, zeigt der Weg des Buddha. Er spricht von den drei Giften Gier, Hass und Verblendung in ihren 84.000 Varianten. Diese hohe Zahl will wohl darauf hinweisen, dass der Weg lang und nicht leicht ist. Man kann Gier, Hass und Verblendung nicht mit einem Acht-Wochen-Programm wach und entspannt, hocheffizient und zügig erkennen und abbauen. Selbsterkenntnis ist ein Lebensweg, der nach oben offen ist und den man nur gehen kann, wenn man das mit Leib und Seele will. Auf diesem Weg gibt es Hindernisse und dazu gehören auch Ängste und Befürchtungen, die mit unangenehmen und schwierigen Gefühlen einhergehen.

Sorgen und Ängste gehören zu den fünf Hindernissen, die alle kennen: Gier und Hass in vielen Varianten, körperliche und geistige Trägheit, unproduktive Zweifel und übertriebene Sorgen beziehungsweise Unruhe. Das zentrale Heilmittel für Sorgen ist Freude an dem, was da ist. Aber das fällt umso schwerer, je besser es einem geht, denn man hält das Gute, das man erlebt, schnell für selbstverständlich.
Der Buddha betont fünf Arten der Furcht und Sorge und vier davon sind immer noch aktuell: Wir fürchten uns vor Armut, Kummer, Sterben und vor Verleumdung beziehungsweise übler Nachrede. Vor einer schlechten Wiedergeburt fürchten sich die meisten Menschen im Westen nicht, aber immer noch einige vor der Hölle oder vor höllischem Leiden in diesem Leben. Wir fürchten uns vor dem natürlichen Leiden des Lebens, auch wenn wir ahnen, dass es kein Leben ohne Leiden gibt: vor den Schmerzen der Geburt, vor Alter, Krankheit und Sterben; davor, das zu verlieren, was wir lieben; nicht zu bekommen, was wir wollen, und vor Erfahrungen, die wir nicht wollen. Die größte Angst entsteht, wenn uns irgendwann dämmert, dass wir nie sicher sind vor Leiden, egal, wie gut es uns gerade geht.


Selbsterkenntnis ist ein Lebensweg, der nach oben offen ist.


Wir werden immer wieder unter inneren und äußeren Hindernissen und Problemen leiden, weil alle Erfahrungen, Dinge und Umstände unbeständig und letztlich nicht völlig zu kontrollieren sind. Das nennt der Buddha die drei Daseinsmerkmale: Leiden, Unbeständigkeit und Unkontrollierbarkeit, auch Nicht-Ich genannt. Damit weist der Buddha darauf hin, dass es keine Instanz in uns oder im Außen gibt, die Erfahrungen besitzt und daher auch kontrollieren könnte. Wir fürchten uns vermutlich auch deshalb so sehr vor dem Tod, weil wir ihn nicht kontrollieren können und einfach nicht wissen, wie es weitergeht, auch wenn wir dieses und jenes glauben. So lange wir uns gegen diese drei Daseinsmerkmal wehren, erleben wir zusätzliches Leiden, wir erleben mehr unangenehme und schwierige Gefühle als nötig. Und die gute Nachricht: Sobald wir sie annehmen, erleben wir den Frieden des Nirvana.

Es ist nicht einfach, sich schmerzhaften und unangenehmen Gefühlen zu stellen und sie liebevoll anzunehmen. Viele Menschen können ihre Erfahrungen, Gefühle und Gedanken nicht in aller Ruhe beobachten und vernünftig hinterfragen und ihre Erwartungen an ein problemfreies Leben auch nicht als überzogen erkennen. Was tun? Der Buddha schlägt zum einen einzelne Heilmittel vor, wie beispielsweise Freundlichkeit und Mitgefühl, Dankbarkeit für und Freude über das, was da ist, Gleichmutund Geduld mit den drei Daseinsmerkmalen, ethisches Verhalten, Ausdauer, Sammlung und Einsicht. Und er empfiehlt die dreifache Zuflucht als konkreten Weg zu einem dreifachen Vertrauen, das uns ermöglicht, mit dem Auf und Ab des Lebens gut umzugehen.

Buddhas

Wir nehmen Zuflucht zu den drei Juwelen, und zwar im Außen und in uns. Zu Buddha als Möglichkeitswesen, denn sein Leben zeigt uns, dass mehr möglich ist, als unbewusst im Griff der inneren Zwänge von Gier, Hass und Verblendung zu leben. Wir nehmen Zuflucht zum Dharma als Weg, das heißt, zu konkreten Lehren und Übungen, mit deren Hilfe wir unsere Möglichkeiten erkennen und entfalten können. Das ist der Weg der Einsicht in die Relativität aller Vorstellungen und Konzepte und in tiefe Verbundenheit mit allen und allem durch die Übung von Ethik, Sammlung und Einsicht in ihren vielen Varianten.

Und schließlich nehmen wir Zuflucht zu Sangha, das heißt, zu konkreten Menschen, die den Weg vor uns gegangen sind, ihn heute gehen und auch in Zukunft gehen werden. Wir arbeiten mit konkreten Menschen, die uns inspirieren, lehren und begleiten und vor allem dazu ermutigen, einen für uns angemessenen Weg zu finden und zu gehen.
Wir nehmen zunächst Zuflucht im Außen, denn ohne Inspiration und Lehren, ohne Methoden und Vorbilder finden wir weder einen Weg noch den Mut und die Ausdauer, ihn zu gehen. Indem wir selbst üben, nehmen wir Zuflucht zu uns selbst als den Übenden. Das weckt und stärkt unser Selbstvertrauen. Da aber weder die äußere Zuflucht oder das Vertrauen in andere noch die innere Zuflucht oder das Selbstvertrauen in schweren Zeiten ausreichen, brauchen wir die geheime oder unfassbare Zuflucht ins große Ganze, in die Buddha-Natur, in die unfassbare Weisheit in allen und allem.

Dieses unerschütterliche Vertrauen finden wir, wenn wir uns durch die äußere und innere Zuflucht so weit beruhigt und stabilisiert haben, dass wir uns auch schwierigen Erfahrungen stellen können. Dann sitzen wir für einige Momente oder Minuten mit allen unangenehmen und schwierigen Gefühlen und erleben plötzlich, dass wir getragen werden von einer Liebe, Kraft und Weisheit, die größer ist als wir. Wir können das mit dem Verstand nie ganz begreifen, denn der Verstand versteht letztlich nur Modelle, Vorstellungen und Dinge, die er selbst gemacht hat. Wenn wir aber erkennen, dass unser Verstand und unser menschlich fassbares Leben Grenzen haben, dann entdecken wir im gleichen Moment, dass wir von einer größeren oder anderen Kraft getragen werden und nicht alles aus eigener Kraft schaffen können und müssen. Das nennt der Buddha auch das Ende des Leidens oder Befreiung.

Befreiung bedeutet nicht, dass wir nie mehr Angst haben und nie mehr unangenehme Gefühle erleben, sondern, dass wir keine Angst mehr vor der Angst haben. Das ist wahre Furchtlosigkeit und das Ende des Haderns mit Leiden, Unbeständigkeit und Unkontrollierbarkeit. Die drei Daseinsmerkmale und den Frieden des Nirvana nennt der Buddha die vier Siegel seiner Lehre. Wer sie lebt und lehrt, geht den Weg des Buddha. Mögen wir alle das Ende des Leidens entdecken. Zur Inspiration ein kleiner Vers, den man nach der Melodie eines skandinavischen Volksliedes auch singen kann (Wer kann segeln ohne Wind, rudern ohne Ruder ...):

Lied zu den vier Siegeln des Buddha. S. W. 2017
Leben ist tragisch und erhaben / alles, was kommt,
muss auch wieder geh’n / Leben geschieht, niemand hat es im Griff / nur das Ende des Haderns bringt Frieden.

Sylvia Wetzel, geboren 1949, ist Publizistin, buddhistische Meditationslehrerin und Mit- begründerin der Buddhistischen Akademie Berlin-Brandenburg sowie Pionierin des Bud- dhismus im Westen. www.sylvia-wetzel.de
 
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Bilder © Pixabay
Sylvia Wetzel

Sylvia Wetzel

Sylvia Wetzel ist buddhistische Lehrerin, Publizistin und Mitbegründerin der Buddhistischen Akademie Berlin-Brandenburg sowie Pionierin des Buddhismus im Westen. www.sylvia-wetzel.de
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