Apps mit Meditationsanleitungen gibt es wie Sand am Meer – als erfahrene Praktizierende habe ich einige davon ausprobiert.
Es sind Sätze wie dieser, die die Aufmerksamkeit von Gestressten auf sich ziehen sollen: ‚Downshifting per Smartphone?‘ Immer mehr App-Hersteller bieten für dieses Lebensgefühl Meditationen an. Dabei sind Handys eigentlich Zeitdiebe. Für meinen Geschmack bin ich zu viel online: Hier noch schnell die sozialen Medien checken, da noch reinlesen und irgendwo hängen bleiben. Nun sollen die Smartphones bei der inneren Einkehr helfen? Das probiere ich aus.
Der Einstieg geht schnell. Ich öffne den App Store am Smartphone, suche dort nach ‚Meditations-App‘. Und schon poppen Hunderte Logos auf. Ihre Namen finde ich vielversprechend: ‚Calm‘, ‚Pause‘ oder ‚Relax‘. Ich lade ein paar herunter, setze Kopfhörer auf, nehme auf meinem Meditationskissen Platz und drücke auf ‚Play‘. Doch erst einmal muss ich mich durch viele Anleitungen klicken. Ich bin meditationserfahren, normalerweise brauche ich keine Infos, wie ich zu sitzen habe (‚bequem und aufrecht‘) oder was ich mit meinen Gedanken machen soll (‚einfach vorbeiziehen lassen‘). Für Anfänger finde ich das durchaus sinnvoll, für mich klingen die Belehrungen seltsam.
Die Test-App namens ‚Start2dream‘ begrüßt mich: „Tag eins der Meditation, ausatmen und loslassen, es ist ganz einfach. Lasse immer mehr los.“ Gut an dieser App ist die Tatsache, dass mich kein beruhigender Synthesizer-Klangteppich beschallt, ich konnte ihn wegschalten. In der App konnte ich auch einzelne Gongs auswählen, die den Beginn und Abschluss der Übung ankündigen. Eine Klangschale oder ein japanischer Gong? Finde ich witzig. Auch die Zeitspanne der Übung habe ich eingestellt. „Ausatmen, bis es nichts mehr loszulassen gibt, du dich vollkommen frei fühlst.“ Die Stimme ist unaufdringlich und nüchtern. Dann ertönt der Gong. Danach Stille im Kopfhörer, für mich 20 Minuten lang. Es funktioniert. Und mehr brauche ich eigentlich nicht.
Ich stelle bald fest: Die Grundfunktionen der Apps sind kostenfrei, das finde ich gut. Wer mehr kennenlernen will, muss zahlen. Manche Apps kosten zwischen sechs und neun Euro pro Monat, ein Jahresabonnement 30 Euro. Andere sind teurer und manche Anbieter schlagen mir sogar ein lebenslanges Abo vor – das finde ich sinnlos bei den schnelllebigen digitalen Halbwertszeiten. Und wer braucht schon 50 verschiedene Meditationen, mit denen Bezahlversionen locken? Das erstickt jede Vertiefung der Übung. Ich habe den Eindruck, dass die Macher bloß keine Langeweile am Smartphone aufkommen lassen wollen. Dabei ist Meditation doch gerade das ständige Einlassen auf den einen Moment, auf die Atmung zum Beispiel. Es sind Übungen zur Akzeptanz des Gegenwärtigen. Daran soll der Übende wachsen, sicher nicht an ständig neuen Reizen und Fantasiereisen.
Ich finde auch Hitlisten für Meditations-Apps, doch die, die sie erstellen, sind anscheinend völlige Anfänger. Ihre Einblicke bringen für Meditationsgeübte wie mich wenig. Zu einsam? Zu wenig Routine? Wer Erfahrung in Meditation mitbringt, fühlt sich nicht ernst genommen. Perfekt strahlende Werbebildchen mit glücklich lächelnden Meditierenden auf bunten Blumenwiesen – das hat nichts mit mir zu tun.
In der Welt der Meditations-Apps orte ich ein grundsätzliches Dilemma: Apps sind gratis. Welcher Entwickler soll also davon leben können? Der Ausweg: Entspannung ist längst nicht mehr das einzige Thema, die Bezahlversionen versprechen Gesundheit, Gewichtsverlust, sogar ein Ende von Angststörungen und Schlaflosigkeit. Einige Übungen sollen gegen Tinnitus helfen! Wer solche Hilfe braucht, muss zahlen. Insgesamt 64 Problemfelder zähle ich in meiner Meditations-App. Doch in meinem Verständnis sind diese auf solche Leiden konzentrierten Fantasiereisen gar keine klassischen Meditationen. Sie fokussieren weder auf die Atmung noch auf ein Mantra. Ich persönlich bleibe lieber bei der klassischen Meditation. Sie hat mich gelehrt, die Gedanken vorbeiziehen zu lassen.
Aber es gibt noch einen weiteren Nachteil für die, die am Smartphone meditieren: Vor allem Anfängern fehlt der Austausch mit anderen Meditierenden. Zwar halten die meisten Apps jede Menge Erklärungen bereit, doch die funktionieren eher wie Suggestionen. Sie erläutern umfassend, was Meditation theoretisch alles leisten könnte – Immunsystem stärken und Nervensystem kräftigen zum Beispiel. Meditation senkt den Blutdruck, lindert Schmerz und macht widerstandsfähig gegen Stress, Burn-out, ADHS und Ängste. Solche Versprechungen treiben bei mir jedoch den Blutdruck in die Höhe – denn jeder medizinische Nachweis fehlt für solche Versprechungen. Als kritische Userin finde ich es schlichtweg unseriös.
Ich frage den klinischen Psychologen David Daniel Ebert von der Universität Erlangen. Er erforscht den Nutzen dieser digitalen Anwendungen in der Medizin und zeigt sich nicht glücklich über die vollmundigen Versprechen der Meditations-Apps am Markt. Mittels Fantasiereise ohne medizinische Begleitung könne man weder psychische Probleme in den Griff bekommen, noch sei das ‚eine effektive Behandlungsmethode bei Angst, Panik oder ADS‘, sagt er. Zwar räumt Ebert ein, dass bestimmte meditative Techniken sich als hilfreich erwiesen hätten, aber dann seien sie ‚immer in eine umfangreiche therapeutische Behandlung mit Feedback‘ eingebettet gewesen.
Eine große Schwierigkeit, sagt Ebert, sei, ‚dass dieser Bereich unreguliert ist, da kann jeder alle möglichen Versprechungen machen‘, für Nutzer sei es extrem schwierig, zu unterscheiden, was gut und was schlecht ist. Das sei ein Bereich, in den User nicht nur Geld investieren, sondern auch viel Zeit und Hoffnung. Er kritisiert, dass die Anbieter ständig neue Meditationspraktiken offerieren. So lerne man nicht, bei einer Methode zu bleiben und Durststrecken auszuhalten.
Das kann ich bestätigen. Und noch etwas fällt mir auf: Als ich selbst vor vielen Jahren mit dem Meditieren begann, hatte ich Menschen, mit denen ich mich danach austauschen konnte. Ein Lehrer zum Beispiel, aber auch die anderen Meditierenden. Es war ein Gemeinschaftserlebnis, das fand ich damals wichtig.
Eine der größten kommerziellen Meditations-Apps versucht allerdings sogar genau das. Sie heißt ‚Insight Timer‘, ihr Logo ist eine bronzefarbige, schwebende Klangschale vor weißem Hintergrund. Ein Bekannter von mir nutzt sie. Die geführten Meditationen lässt er allerdings links liegen. Sie interessieren ihn nach 30 Jahren Praxis nicht mehr.
Doch er nutzt die Timer-Funktion für die eigene stille Meditation. „Der Sound der digitalen Gongs und Klangschalen ist gut“, sagt er, vor allem vernetzt er sich mit dieser App weltweit mit anderen Praktizierenden. Das zeigt er mir auf seinem Handy. Er sieht, wer zur selben Zeit meditiert, oder er kann mitverfolgen, was seine Meditationsfreunde in der App so machen. Es ist also ein riesiger Marktplatz für spirituelle Angebote. Der ‚Insight Timer‘ hat dabei aber dieselbe Funktion wie auch soziale Medien. Er verbindet Menschen und ihre spirituelle Praxis. Man kann Gruppen beitreten, für buddhistische Vipassana-Meditationen zum Beispiel oder für Tai Chi, Yoga oder Achtsamkeitsübungen – diese Vielfalt können andere kommerzielle Apps nicht bieten. Vor allem jedoch gibt es eine Anbindung an die Welt. Mein Bekannter, er ist Kölner, erzählt, dass über die App auch tatsächlich Treffen für Meditationen zustande kamen.
Was er noch nutzt? Die Protokollfunktion, die ihm zeigt, wie viele Minuten pro Woche er meditiert hat. Er kenne auch Leute, sagt mein Bekannter, die nutzen die kostenlosen Meditationen zur Inspiration. Der ‚Insight Timer‘ sei also ein praktisches Hilfsmittel, um sich zu organisieren, Gleichgesinnte zu finden und sich auszutauschen.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 107: „Guru, Meister und Verführer"
Mein Fazit: Wirklich beeindruckt hat mich nur die virtuelle Klangschale. Wenn ich mit der Bahn unterwegs bin und eine Meditationspause einlege, hole ich mir diesen Gong aus der App, zumindest dann, wenn ich die Kopfhörer dabeihabe. Ansonsten kann ich mich gut selbst anleiten, mit meiner eigenen inneren Stimme. Die springt an, wenn ich es brauche und nicht, wenn die App meint, mich erinnern zu müssen.