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Diskurs

Mit Religion wird auch heute noch Politik gemacht, sagt der österreichische Journalist und Philosoph Niko Alm. Er findet das problematisch.

Sie sind bekennender Atheist und stehen sämtlichen Religionen sehr kritisch gegenüber. Warum?

Jeder Mensch kommt ohne religiöses Bekenntnis auf die Welt. Das wird einem erst durch die Familie, die Schule oder die Gesellschaft vermittelt. Ich wurde römisch-katholisch getauft, habe im Firmungsunterricht entdeckt, dass ich nicht an diese Sachen glauben kann.

Stehen Sie Religionen grundsätzlich ablehnend gegenüber?

Ich bin kein Religionsgegner, sondern vielmehr ein Staatskritiker. Ich kann in den einzelnen Religionen jeweils gute und schlechte Aspekte finden. Das, was ich Religionen als sogenannten Wertespendern vorwerfe, ist, dass die Werte, die sie propagieren, einen absoluten, unabänderlichen Charakter haben. Mir geht es jedoch darum, auf die derzeit stattfindende wechselseitige Instrumentalisierung mit der Politik aufmerksam zu machen. Die Politik instrumentalisiert die Religion und auch die Religion spannt die Politik für ihre Zwecke ein.

Wie meinen Sie das?

Ich sehe im politischen Diskurs neuerdings eine Unterscheidung zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen. Ich bin kein ‚Nicht-Muslim‘, aber auch kein Vertreter des christlich-jüdischen Erbes, obwohl ich in dieser Tradition aufgewachsen bin. Ich tue mir also mit religiösen Zuschreibungen generell schwer, ich will nicht vereinnahmt werden. Religion, Tradition und Kultur existieren, da sehe ich auch kein Problem, nur der Staat sollte keine weltanschaulichen Abstufungen seiner Bürger vornehmen.

Wie unterscheidet der Staat?

Es gibt Normierungen, die Religiöse in bestimmten Bereichen bevorzugen und Nicht-Religiöse oder Andersgläubige benachteiligen, dafür können die Religionen per se nichts. Insofern kann ich dem Buddhismus genauso wenig wie dem Islam etwas vorwerfen. Das Problem, das ich benenne, ist das Verhältnis von Staat und Religion. Der Staat ist nicht ohne Bekenntnis, er hat Pakte mit einigen Religionen geschlossen.

Dabei sind Staat und Glaube offiziell doch getrennt.

Institutionell ja. Es gibt aber punktuelle Übergriffe, etwa im Bildungsbereich oder im Bundesheer, die staatlich finanzierte Militärseelsorge zum Beispiel. Die Wurzeln dafür liegen in den 1920er- und 1930er-Jahren, da hat die katholische Kirche das Grundmodell für die Verpartnerung von Staat und Religion gelegt.

Die bis heute wirkt?

Ja, es gibt noch immer Privilegien im Bildungsbereich, etwa den verpflichtenden Religionsunterricht. Aktuell durch die Migration bringt die Politik aber auch Religionen gegeneinander in Stellung. Die Probleme, die sich durch das Aufeinandertreffen von Kulturen ergeben, werden von der Politik zu religiösen Konflikten stilisiert. Das ist falsch, es sind keine religiösen Konflikte, es ist vielmehr ein Aufeinandertreffen von offenen und geschlossenen Gesellschaften. Das Problem, das wir politisch damit haben, ist, dass das christliche Erbe gegen den Islam in Stellung gebracht wird. Unsere eigentlich offene Gesellschaft wird dann aus religiösen Motiven verteidigt.

Religion

Sehen Sie darin einen Grund für das Erstarken der Religionen? 

Die Migration ist sicherlich ein Grund dafür, dass es ein erhöhtes Identifikationspotenzial mit Religion gibt. Die Identifikation ist allerdings nicht unbedingt mit einer Organisation wie der Kirche an sich verbunden, denn im letzten Jahr wurde die dritthöchste Anzahl an Kirchenaustritten verzeichnet. 

Sind diese Menschen weniger gläubig?

Viele sehen die Kirche als Kulturspender an, jedoch die naive Vorstellung eines personalisierten Gottesbildes glaubt heute fast keiner mehr. Andere wenden sich anderen spirituellen Wegen zu. Ich bemerke, dass ein gewisses Bedürfnis entsteht, da etwas zu erkennen, wo nichts zu erkennen ist. Menschen, so wie ich auch, haben so viele persönliche Überzeugungen, die mit Religion nichts zu tun haben. An gar nichts glauben: Das funktioniert einfach nicht, man kann sich nicht alles selbst beweisen. Man muss auch von Dingen überzeugt sein, die einem vermittelt werden. Ich bin voller Glaubenssätze in diese Richtung, daher stört es mich nicht, wenn Menschen ihren Überzeugungen nachgehen.

Geht es aber, dass ein Staat ohne Glauben agiert?

Ja, denn der Staat sollte laizistisch sein, also Staat und Religion sollten vollkommen getrennt sein. Diese Art von Staat verhält sich weltanschaulich neutral, was bedeuten würde, dass die persönliche Religion eines Menschen für den Staat einfach irrelevant ist, genauso wie es die Haarfarbe ist. Vor allem aber sollte die Religion kein Kriterium bei der Einteilung von Menschen sein. Deshalb bin ich dagegen, dass der Staat von seinen Bürgern wissen will, welches religiöse Bekenntnis sie haben. In Österreich gibt es 16 Staatsreligionen, der Buddhismus ist eine davon. Ich halte es jedoch für nicht notwendig, dass es staatlich anerkannte Religionen gibt.

Haben Sie ein konkretes Beispiel, bei dem die Religion für den Staat eine Rolle spielte?

Das Islamgesetz in Österreich: Es ist der Versuch, einen Islam mit österreichischer Prägung zu definieren. Dabei wird versucht, den Islam zu zähmen, um Einflüsse aus dem Ausland abzuschneiden. Das Gesetz ist diskriminierend im Vergleich zu anderen Religionsgesetzen. Da sieht man, wie die Regierung mit Religion Politik zu machen versucht. Mit religionskulturellen Merkmalen wird die Gesetzgebung beeinflusst. Das Vermummungsverbot ist ein ähnliches Beispiel.

Wie meinen Sie das?

Mit diesem Gesetz ist der Islam gemeint, es ist aber so formuliert, dass auf einmal auch andere Personen betroffen sind. Plötzlich haben Kopftuch und Burka nichts mehr mit Religion zu tun. Das Problem ist ja nicht das Tragen des Kopftuchs an sich, sondern die Nötigung, es zu tragen. Es werden aber nur manche gezwungen, es zu tragen, andere machen es freiwillig und wo ist da das Problem?

Wie sollte der Staat reagieren?

Der Staat sollte das Thema Zwang zum Thema machen – und sich ausschließlich darum kümmern. Die Religion sollte dabei vollkommen egal sein.

Wie würde ein laizistisches Österreich aussehen?

Die einzige dramatische Änderung wäre das Ende des verpflichtenden konfessionellen Religionsunterrichts sowie einige Änderungen im Steuergesetz. Im Bildungsbereich sollte ein Ethikunterricht ab der ersten Klasse Volksschule den konfessionellen Religionsunterricht ersetzen. Auch die Kreuze in den Schulen würden abgenommen werden. Die Schule ist ja kein Ort für religiöse Werbung.

Warum wird dies nicht umgesetzt?

Der jetzige Status wird immer wieder durch die Leistungen der religiösen Einrichtungen im Bereich Kultur, Bildung und Soziales legitimiert. Viele glauben, dass, wenn der Staat vollkommen weltlich würde, es Organisationen wie die Caritas nicht mehr geben würde. Das stimmt aber nicht, denn die Caritas ist zum Großteil aus Leistungsentgelten finanziert und die würden auch in einem laizistisch geprägten Staat weiterexistieren.

Und im Bildungsbereich?

Dort gäbe es keine Finanzierungen von theologischen Fakultäten und Religionslehrern mehr durch den Staat. Es ist doch nicht die Aufgabe des Staates, Religionslehrer zu bezahlen! Und was das Kulturthema betrifft: Es braucht keine staatliche Anerkennung, damit kulturelle Leistungen erbracht werden. Die staatliche Anerkennung darf ja keine Belohnung dafür sein, dass die Kirche in der Vergangenheit so schöne Gotteshäuser erbaut hat.

Wäre eine Welt ohne Religion möglich?

Ohne vorgefasste Glaubenssätze können Menschen nicht leben. Der Mensch ist auch nicht immer rational. Deshalb wird es Religionen auch weiterhin geben.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 107: „Guru, Meister und Verführer"

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Niko Alm, geboren 1975, ist Publizist und Philosoph. Er war von 2013 bis 2017 Abgeordneter zum österreichischen Nationalrat.
 
Bild Teaser und Text © Isabella Khom
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Ester Platzer

Ester Platzer

Ester Platzer, 1979, lebt in Wien und ist Mitglied der Chefredaktion bei Ursache\Wirkung. Davor lebte und arbeitete sie viele Jahre in Ostafrika. Ester absolvierte ihr Magisterstudium in internationaler Entwicklung an der Universität Wien.
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