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Diskurs

Im Buddhismus haben geistige Lehrer eine wichtige Rolle. Wie aus Begeisterung Missbrauch werden kann.

Das Wort Machtmissbrauch ist unter Buddhisten seit einigen Jahren ein Gesprächskiller. Die einen glauben, die Opfer seien selbst schuld, die anderen fürchten um den guten Ruf der buddhistischen Gemeinschaft (des Sangha). Sexueller Machtmissbrauch? Das seien Einzelfälle, sagen sie. Allein: Die Schlagzeilen über ranghöchste Gurus hören nicht auf. Der einst hoch angesehene Meister Sogyal Rinpoche musste kürzlich die spirituelle Leitung der von ihm gegründeten internationalen Organisation Rigpa abgeben. Auch bei der internationalen Meditationsvereinigung Shambhala trat das Oberhaupt Sakyong Mipham zurück. Und ein Augsburger Gericht verurteilte den Zen-Meister Genpo D. zu acht Jahren Gefängnis. Überall der gleiche Vorwurf: Die Gurus hätten Macht missbraucht oder sexualisierte Gewalt ausgeübt, meist gegenüber Frauen, die ihre Schülerinnen waren. Wie kommt es dazu? Und warum passiert das immer wieder?

Das Vorgehen der Gurus ist oft ähnlich: Überraschungsmoment oder langsames Verschieben der Grenzen, so berichten betroffene Opfer auf verschiedenen Internet-Plattformen über diese Übergriffe. Oft fangen sie harmlos an. Der Meister hält die Hand in einem Dharma-Check oder küsst sie. Es kann aber auch wesentlich weniger harmlos werden. Dann, wenn der Meister während des Retreats unangekündigt das Zimmer der Betroffenen betritt, sich auszieht und zum Sex auffordert. Ebenfalls berichtet wird von Lehrern, die ihren Schülerinnen geheimen Tantra-Sex versprechen, weil sie davon profitieren würden.
Solche Geschichten sind im Internet zu finden, doch keiner dieser Berichte hat es in die Ombudsstelle für Opfer von sexueller Gewalt in der Österreichischen Buddhistischen Religionsgesellschaft geschafft, die es seit 15 Jahren gibt, auch nicht in die neu eingerichtete Kontaktstelle für Missbrauchsfälle in der DBU. Könnte es sein, dass sich die Frauen nicht trauen, dass sie die Konfrontation scheuen? Aus Scham, aus Angst vor ‚Victim blaming‘ oder einem nochmaligen Erlebenmüssen der Ereignisse?

Die Rolle von Gurus als Autoritäten in Gemeinschaften hat im Buddhismus Tradition. Viele Neueinsteiger sind zunächst begeistert, so nahe an den als Meister verehrten Menschen heranzukommen. Denn über einen Lehrer, das versteht man sehr schnell, lässt sich Buddhas Lehre vertiefen und die spirituelle Praxis erlernen. Die meisten machen das freiwillig. Sie wollen die Unterweisungen eines Meisters, sie akzeptieren dessen Autorität, weil sie denjenigen als erleuchtet oder zumindest erheblich weiterentwickelt ansehen.
Aus dieser Grundhaltung heraus haben die Lehrer eine Sonderstellung in der Gemeinschaft und werden zu Gurus. Und manchmal, ja da werden sie wirklich wie Popstars verehrt.

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„Es ist sehr schwierig, eine Linie zu ziehen zwischen dem, was Tradition ist und was nicht“, sagt die Anthropologin Marion Dapsance, die sich auf zeitgenössischen Buddhismus spezialisiert hat. Auch die Frage, was Missbrauch ist, sei höchst schwierig zu beantworten. „Im Westen weiß man nicht genau, wie man mit einem tibetischen Lama umzugehen hat. Es gibt keine Instanz, die sie korrigiert“, sagt sie.
Die französische ehemalige Zen-Nonne Martine Batchelor sieht das Problem systemimmanent. Sie hält nichts von ‚Crazy wisdom‘, also einer verrückten Weisheit, die als Freifahrkarte für jegliches autoritäre Benehmen im tibetischen Buddhismus herhalten muss. „Es gibt Leute, die das tibetische System für sich ausnutzen, aber es gibt genauso auch Leute, die gute Vorbilder sind“, sagt sie. Es läge auch am tibetischen buddhistischen System, wenn die Leute das Ego nutzen können, um alles um sie herum und sich selbst größer zu machen, erklärte sie im Deutschlandfunk.

„Ein Grund, warum dort Übergriffe möglich wurden, sind sagenumwobene Geschichten über Meister wie Tilopa oder Marpa, die ihre Schüler gerade durch rigide Maßnahmen auf ihrem Weg des Erwachens weiterbrachten“, sagt der buddhistische Mönch Tenzin Peljor. Diese hoch entwickelten Meister stellten ihre außergewöhnlich qualifizierten Schüler vor Prüfungen oder schwierige Aufgaben. Zu ihrem Repertoire gehörte auch, was hier im Westen als extreme Erniedrigung betrachtet würde. Diese Meister galten als erwacht, sie wussten genau um die heilsame Wirkung und die Kapazitäten ihrer Ausnahmeschüler. Peljor warnt davor, solche Ausnahmebeispiele aus dem Kontext zu reißen und auf heutige Verhältnisse zu übertragen oder als Maßstab für die eigenen spirituellen Lehrer zu nehmen. Es verleite zu ‚Fehlinterpretationen‘. Manche glaubten, wenn sie einen guten spirituellen Meister gefunden hätten, dass ihr ‚Meister erleuchtet sei und alle seine Handlungen auch‘.
Als Folge dieser Haltung machten sich die Schüler vor dem Meister kleiner und sähen in jeder Handlung des Meisters eine Prüfung. Schaden allerdings ungeschickte oder egoistische Handlungen den Schülern, glauben diese, es läge an ihnen selbst und sie müssten mehr an sich arbeiten. „Am Ende redet man sich auch die Fehler des Meisters schön“, meint Peljor. So könnten nach und nach Grenzen verschwimmen und ‚Grenzüberschreitungen wie körperliche Gewalt oder sexuelle Handlungen werden möglich‘, sagt der Mönch.

Grenzüberschreitungen können aber nicht nur im tibetischen Buddhismus ein Problem werden. Es gibt sie überall, auch in der Zen-Community. Denn auch dort kommt dem Meister uneingeschränkte Autorität zu. Bekannten Lehrern – Joshu Sasaki, Eido Shimano, Richard Baker Roshi – wurde vor längerer Zeit Sex mit ihren Schülerinnen vorgeworfen. Und einige Schülerinnen hätten darunter sehr gelitten. Das geht aus den sogenannten Shimano-Archiven hervor, die im Internet zugänglich sind. Der amerikanische Zen-Meister Robert Aitken hatte diese Archive angelegt und darin die sexuellen Übergriffe Shimanos über Jahrzehnte dokumentiert, aber die dort vermerkten Missstände nie öffentlich kritisiert. Nach seinem Tod ging das Archiv online. (http://www.shimanoarchive.com)


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 107: „Guru, Meister und Verführer"

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Warum Frauen den Sexgelüsten ihres Meisters nachkommen, ist eine Frage, mit der sich die Psychotherapeutin und Dharma-Lehrerin Irmi Jeuther beschäftigt. Die Wahl-Berlinerin hatte viele Jahre im Frauen-Notruf gearbeitet. Seit November 2018 ist sie für die DBU ehrenamtliche Ansprechpartnerin für Fälle von Missbrauch im buddhistischen Kontext. Sie vermutet, dass Gurus sich nicht selten Frauen aussuchen, die Machtmissbrauch möglicherweise schon erlebt haben und deshalb etwaigen Übergriffen wenig entgegenzusetzen hätten oder einfach nicht „Nein“ sagen könnten.

Und wenn es passiert ist, tun sich die Betroffenen schwer, diesen Umstand öffentlich zu machen – aus Angst vor Vorwürfen, sie seien doch ‚selbst schuld‘. Die Therapeutin Jeuther hat erlebt, wie manche Dharma-Lehrer Gewalt oder sexuelle Ausbeutung bagatellisieren. „Das ist extrem unfair“, sagt Jeuther. Aus ihrer Sicht ist die Meister-Schüler-Beziehung in buddhistischen Traditionen oft keine Beziehung auf Augenhöhe wie zwischen erwachsenen Personen. „Da gibt es ganz klar ein Machtgefälle.“ Und sie wünscht sich vom Dachverband DBU verbindliche Verhaltensregeln für östliche und westliche Lehrende. Diese Ethikrichtlinien müssten ein klares Sex-Verbot zwischen Lehrenden und Schülern enthalten. Alle Mitgliedsverbände müssten das unterzeichnen. Es wäre eine Regelung, wie sie so auch bei Psychotherapeuten gälte. Auch Schulungen würde sie als Maßnahme begrüßen. Doch noch gibt es zu wenig Bewusstsein dafür. Buddhisten sind nicht per se die besseren Menschen.

Mechthild Klein M.A. lebt in Hamburg und arbeitet als freie Journalistin unter anderem für den Deutschlandfunk. Schwerpunkt: Weltreligionen. Im Studium der Vergleichenden Religionswissenschaft und Orientalischen Kunstgeschichte in Bonn hat sie sich auf Buddhismus und Hinduismus spezialisiert.
 
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Mechthild Klein

Mechthild Klein

Mechthild Klein ist freie Journalistin, unter anderem für den Deutschlandfunk, mit Schwerpunkt Weltreligionen. Im Studium der Vergleichenden Religionswissenschaft und Orientalischen Kunstgeschichte in Bonn hat sie sich auf Buddhismus und Hinduismus spezialisiert.
Kommentare  
# Elisen Spies 2020-05-04 08:29
Das ist aber prekär.
So reden viele von der Sekte SEWA.
Die dort arbeiten haben Sri Chynmoi als Lehrer ( gehabt) samt Lebensregeln.
Mich persönlich stört diese freiwillige " Unter"Ordnung nicht.
Denn die übergeordneten Ziele sind wesentlich wichtiger und lebenswichtiger als das aktuelle " Freiheits" Verständnis.
Betreffend tibetischer Lehrer habe ich persönlich - vielleicht auch wegen dem nicht mehr Tibet- schon skurile Autoritätsauftritte inhaltlicher Art mitgelebt, da ich dann sehr enttäuscht war. Zuerst mitmachen, da kommt gleichzeitig Erleuchtung. Außer es kommt keine. XD.
Durch die Varianten des Authentischen kann man Vertrauen verlieren.
Wobei das Wort Missbrauch eine ungültige Bezeichnung scheint.
Das liegt dann eher im sexuellen Bereich und lässt die Ohren unnötig flattern.
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