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Diskurs

Es braucht große Aufmerksamkeit, Hingabe und viel Geduld, den eigenen Körper verstehen zu lernen – Therapien zur Schulung des Körperwissens helfen. Eine Übersicht.

Das Denken des Menschen ist nicht besonders raffiniert, am liebsten stellt man sich in der westlichen Welt den Körper wie ein Auto vor. Das Herz ist der Motor, das Skelett die Karosserie, es gibt einen Vergaser, die Reifen, den Auspuff – und wenn eines dieser Teile kaputt ist, muss es eben ausgewechselt werden, dann läuft alles wieder. Und ja, die Schaltzentrale ist das Gehirn, jeder Einzelne von uns kann die Körpervorgänge beeinflussen, wenn nicht sogar bestimmen.

Doch genau das ist ein Trugschluss. Das Gehirn ist nur scheinbar ein Organ, über das wir Macht haben. „Cogito, ergo sum.“ – „Ich denke, also bin ich“, sagte einst der Philosoph René Descartes und säte damit die Illusion einer ausschließlich nach rationalen Prinzipien funktionierenden Welt. Außer Acht gerieten dabei die vielen unbewussten Vorgänge im Körper, also Netzwerke, derer man sich einfach nicht bewusst ist. Die Verortung des menschlichen Organismus nach innen und außen zum Beispiel, die maßgeblich von den fünf Sinnen, also dem Sehen, Hören, Riechen, Tasten und Schmecken beeinflusst wird.

Verborgen, weil meist unbewusst, ist der sechste Sinn, der oft auch als Körpersinn bezeichnet wird. Das Problem daran: Die Menschen wissen nicht genau, wo er sitzt, weil er überall ist. Er koordiniert Bewegungsabläufe, gibt dem Gehirn Auskunft über Masseverteilung, Schwerpunkt und Balance, etwa beim Fahrradfahren. Er verortet uns in der Umgebung, sagt uns, was oben und unten ist, und spielt insofern auch eine entscheidende Rolle bei der Selbstwahrnehmung. Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckte der Neurologe Charles Sherrington, dass in den Sehnen, Muskeln und Gelenken Sinneszellen sitzen, sogenannte Propriozeptoren, die für die Selbstwahrnehmung des Menschen verantwortlich sind. Selbstwahrnehmung und das Gedächtnis stehen in einer Wechselwirkung: Wer einmal schwimmen gelernt hat, wird es ein Leben lang nicht mehr verlernen.

Doch viele dieser unerforschten Zusammenhänge spielen sich unbewusst ab. Wie sich Körper und Geist gegenseitig beeinflussen, ist der Forschungsgegenstand von Johannes Michalak von der Universität Witten/Herdecke. Die Körperhaltung ist ein Spiegel der Stimmung, hat er in Studien an depressiven Patienten herausgefunden. Wer sich aufrecht bewegt, denkt positiver, wer bucklig mit hängendem Kopf und hängenden Schultern durchs Leben geht, wird eher negativen Gedanken nachhängen. Michalak versucht die gegenseitige Abhängigkeit von Körper und Geist mit achtsamkeitsbasierter kognitiver Therapie zu schulen.

Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelten sich nahezu parallel viele unterschiedliche Richtungen der Körperarbeit. Schmerzen sind Ausdruck von Disbalancen im Körper, so der gemeinsame Nenner damals, durch gezieltes Bewusstmachen falscher Bewegungsabläufe können Defizite wieder behoben werden. „Wieder mit sich selbst umgehen lernen“, das ist für Thomas Hirt, der in Wien die Alexander-Technik lehrt, ein Schlüssel. Reaktionen auf Anforderungen seien immer ganzkörperlich und beeinflussen viele körpereigene Systeme, sagt Hirt. Das Ziel seiner Arbeit mit Schülern sei es, solche unbewussten Reaktionen erfahrbar zu machen, um sie dann auch beeinflussen zu können. „Es geht um die Veränderung der neuromuskulären Muster“, sagt er. Büroarbeiter verlernen durch das dauernde Sitzen die Aufrichtung. Wenn Kopf, Schultern und Becken nicht mehr in der richtigen Stellung zueinander stehen, stellen sich Schmerzen ein. Hirt lehrt dem Gehirn, solche Fehlstellungen wahrnehmen und wieder ins Lot bringen zu können. Das ist allerdings ein Prozess, der viele Wiederholungen erfordert.

Dabei geht es in der Körperarbeit nicht immer um Schmerzen, es sollen insgesamt Bewegungsabläufe optimiert werden. So kann die Verbesserung der Performance ein Ziel sein, was für Sportler, Musiker oder Tänzer von hoher Wichtigkeit ist. Achtsamkeit mit sich selbst sei dabei eine Schlüsselkompetenz.
Darum ging es auch einem der großen Pioniere der Körperwahrnehmung, dem Israeli Moshé Feldenkrais. „Was ich anstrebe, sind nicht bewegliche Körper, sondern bewegliche Gehirne“, hat er einmal gesagt und damit die Vernetzung zwischen Körper und Geist zum Ausdruck gebracht. Dabei kann auch Musik eine Rolle spielen, wie etwa in der Eutonie, oder auch die bildliche Vorstellungskraft der Sprache, worauf die Franklin-Methode zurückgreift, die sie als treibende Kraft einsetzt. Auch Ida Rolf beschäftigte sich Mitte des 20. Jahrhunderts intensiv mit der Optimierung von Bewegungsabläufen und entdeckte die Rolle, die die Faszien – das Bindegewebe zwischen Muskeln und Gelenken – dabei spielen. Auch die Faszien bilden ein Netz und beeinflussen damit die Beweglichkeit.

„Wenn es einem gut geht und man glücklich ist, dann hat jeder Mensch meistens automatisch eine gute Körperhaltung“, sagt Georg Pfolz, Gründer von Tai Chi Vienna. Er kann stets sofort sehen, ob das der Fall ist. Viele, so Pfolz, nähmen aber aufgrund der Belastungen Schutzhaltungen ein. Stress sei einer der wichtigsten Auslöser dafür. Wer zu angespannt ist, wird verspannt. „Wir bringen die Leute da wieder raus“, sagt er. Im Tai Chi sind körperliche Bewegungen und Meditation vereint.

Schlussendlich könnte auch die Fähigkeit zum abstrakten Denken seinen Ursprung in den körpersinnlichen Erfahrungen und der Bewegungsintelligenz haben, vermutete schon der Biologe Konrad Lorenz. Im Klartext: Der sechste Sinn könnte genau das sein, was den Menschen vom Affen unterscheidet. Denn auch Gefühle beruhen auf Körperwahrnehmung und von den Gefühlen zum menschlichen Selbst-Bewusstsein ist der Weg nicht mehr weit.

Wer sich mit sich selbst auseinandersetzen will, sollte also den Körper niemals außer Acht lassen. Selbstwahrnehmung ist zwar auch nur ein neurophysiologisches Konstrukt, aber zumindest kein mechanistisches. Mit einer Maschine lässt sich der Mensch nämlich keinesfalls vergleichen, es ist die Vielfalt und Individualität, die jeden Einzelnen von uns auszeichnet. Jeder Körper und damit auch jeder Geist funktioniert unterschiedlich. Es steht jedem frei, die eigenen Zusammenhänge zu entdecken und sich selbst neu zu erfinden. Ganz selbstbewusst, sozusagen.

  

Körper

 




 






Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 106: „Handbuch Achtsamkeit"

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Karin Pollack, ist Redakteurin in der Tageszeitung ‚Der Standard‘ und macht seit 17 Jahren regelmäßig Yoga.

 

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Karin Pollack

Karin Pollack

Karin Pollack, ist Redakteurin in der Tageszeitung ‚Der Standard‘ und macht seit 17 Jahren regelmäßig Yoga.
Kommentare  
# Margit 2020-08-13 09:16
Hat jemand schon mal Tai chi probiert??
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# nathalie 2020-08-13 09:20
ich habe mit 13 tai chi ausprobiert, und war überrascht. Ic hwar nicht wirklich daran interessiert, musste es aber machen von der schule aus. Wir kopierten die langsamen bewegungen unserer lehrerin und nach einer stunde fühlte ich mich um so vieles besser. Entspannt, beruhigt.
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# Sylvia Václav 2020-11-26 12:03
Sich den Körper wie ein Auto vorzustellen ... darauf wäre ich nie gekommen. Sehr mechanisch.
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