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Diskurs

Wenn Reiche mit Armen teilten, würden sich neue Möglichkeiten eröffnen. Buddha sah darin eine Befreiung von Leid. Das bedingungslose Grundeinkommen könnte ein Weg dorthin sein.

Zwei große paradigmatische Änderungen in der Bewertung der Menschen, die Befreiung aus den sich selbst reproduzierenden Kreisläufen des Leidens suchen, haben sich gegen Ende des 20. Jahrhunderts im Buddhismus entwickelt. Die erste: Frauen werden in ihren Chancen auf Befreiung nicht mehr als den Männern unterlegen betrachtet. Die zweite: Laien gelten diesbezüglich nicht mehr als den Mönchen und Nonnen unterlegen.

Zu Buddhas Zeiten war das noch anders.

Buddha wollte zunächst Frauen gar nicht ordinieren, sei es, weil er ihre Chancen, den Dharma zu verstehen, für gering erachtete, oder sei es, weil das die Traditionen der damaligen Gesellschaft zu stark provoziert hätte. Und er erschuf den Stand der Mönche, der in der Weisheitsentwicklung vorangehen sollte, quasi als Vorhut für den Rest der Gesellschaft. Die Mönche sollten deshalb ökonomisch mitgetragen werden durch Pindabat, den morgendlichen Almosengang, der die Mönche versorgte, so dass sie nicht arbeiten mussten.

Wie würde Buddha heute vorgehen, um möglichst vielen Menschen die Befreiung aus dem Hamsterrad des täglichen Überlebenskampfes und ‚den Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit‘, wie Kant es definierte, zu ermöglichen? Ich glaube nicht, dass er noch einmal einen Mönchsstand erschaffen oder den bestehenden fördern würde. Wohl aber würde er Klöster für Auszeiten aus den Tretmühlen des Alltags gutheißen. Und er würde sich für das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) einsetzen, also das, was in Österreich Mindestsicherung heißt. Sie würde allen Menschen ermöglichen, was damals in so großem Ausmaß nur den Ordinierten vergönnt war – nämlich, dass deren Lebensunterhalt vom Reichtum der übrigen Gesellschaft mitgetragen wurde.

Um den Dharma zu studieren und meditieren zu können, braucht es ein gewisses Maß an Freiheit von dem Stress, das eigene Überleben zu sichern. Der im Rattenrennen oder Überlebenskampf Gefangene hat dafür nicht die Muße. In aller Regel ist es erst den Fortgeschrittenen auf dem Weg möglich, bei hohem Engagement am Arbeitsplatz so achtsam und mitfühlend zu sein, dass sie mit ihrem Verhalten nicht andere schädigen.

Der militärisch-industrielle Komplex, ein Großteil der Pharma- und Agrarindustrie ebenso wie sich selbst bedienende Verwaltungskomplexe würden sich auflösen, wenn die Menschen, die dort arbeiten, achtsam und mitfühlend wären. Diese Industrien würden keine Arbeitskräfte und keine Vermarkter mehr finden, wenn sie nicht auf von Not oder Ehrgeiz Getriebene zurückgreifen können. Eine weltweite Einführung des bedingunglose Grundeinkommen – auf Englisch heißt es ‚universal basic income‘ (UBI) – würde den Menschen die Überlebensangst nehmen und sie befreien für die Suche nach dem Lebenssinn, nach ihrer echten, tiefen Berufung und dem, was sie glücklich macht.

Viel ist über das bedingunglose Grundeinkommen geschrieben worden. Vieles spricht dafür. Der Aspekt, dass die dabei entstehende Muße zur Meditation einlädt, ist dabei bisher noch unterbewertet worden. Buddhas Lehrreden haben uns eine grandios menschenfreundliche und sozial realisierbare Ethik hinterlassen. Seine Mönchsregeln, der Vinaya, schufen für damalige Verhältnisse enorm wirksame, fortschrittliche Stätten geistiger Schulung und Verwirklichung, basierend auf der Freiheit der Bhikkhus – der Mönche –, nicht mehr für ihren Lebensunterhalt sorgen zu müssen. Die heutigen Klöster, buddhistische und andere, erfüllen diese Funktion nur noch bedingt. Für uns Heutige würde das BGE allen, nicht nur einem privilegierten Stand, diese Entfaltungsräume bieten; das wäre gerechter und gesamtgesellschaftlich wirksamer.

Dabei wäre allerdings zu bedenken, dass ein Großteil der durch das bedingungslose Grundeinkommen von Maloche und Selbstverrat am Arbeitsplatz Befreiten diese Freiheit nicht ohne weiteres für Meditation und geistige Weiterentwicklung nutzen könnte. Ich habe so viele Rentner und Reiche, die nicht mehr arbeiten müssten, in Zeitnot gesehen, den Kalender voller Termine, stressgeplagt und jammernd: „Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht!“ Die Chance zur Muße muss auch wahrgenommen und wertgeschätzt werden, sonst geht sie unerkannt an uns vorüber.

Grundeinkommen

Die Produktivitätssteigerungen durch moderne Technologien und Automatisierungen haben das BGE finanzierbar gemacht, und sie werden bei weiterer Automatisierung und Vereinfachung des Sozialstaates darin noch großzügiger sein können als heute, mit höheren Zuwendungen für den Einzelnen. Im Februar 2017 schrieb die führende neoliberale Wirtschaftszeitschrift ‚The Economist‘, dass das bedingungslose Grundeinkommen sogar in Indien schon jetzt finanzierbar wäre und mit einem Schlag mehr als 250 Millionen Inder aus der ärgsten Armut befreien würde, ohne dass die indischen Behörden insgesamt mehr ausgeben müssten als bisher. Wenn sie es denn schaffen würden, das bisherige Verwaltungschaos auf diese Weise zu vereinfachen. Sogar in Indien ginge das! Um wie viel leichter erst in reichen Ländern wie Deutschland, Österreich und der Schweiz! Wir müssen es nur wollen und dann unsere politischen Vertreter per Stimmabgabe zwingen, es umzusetzen. Zweitens müssen wir bereit sein, die dadurch entstehenden Freiheiten auf kreative und ethisch positive Weise zu nutzen. Nicht jeder Mensch kann auf Anhieb mit einem großen Maß an Freiheit umgehen, auch die meisten derer nicht, die das von sich behaupten.

Das bedingungslose Grundeinkommen würde nicht nur zu mehr Gerechtigkeit führen, zu weniger Hunger, weniger Bildungsnot und finanzieller sowie geistiger Armut, sondern es würde auch ein Tor zur spirituellen Entwicklung viel größerer Menschenmassen eröffnen, als je ökonomisch und kulturell möglich war.

Wir können und sollten uns selbst und unsere Mitmenschen darauf vorbereiten, dass wir die dabei entstehende Freiheit nicht nach dem Motto des römischen Dichters Juvenal „Was wollen Menschen? Brot und Spiele!“ mit Unterhaltungsmüll zustopfen und wir dann ebenso in Zeitnot und stressgeplagt sind wie heute. Wir sollten uns schon jetzt auf diese Freiheit vorbereiten, denn sie wird mit zunehmender Automatisierung fast unausweichlich kommen, wie der deutsche Philosoph Richard David Precht und andere nicht müde werden zu betonen. Sie wird uns ermöglichen, uns das zu gönnen, was zu Buddhas Zeiten nur den Ordinierten möglich war: sich so geistig zu entwickeln, dass wir den Teufelskreisen und negativen Routinen entkommen, dem Rad der Wiederkehr, der Maloche, dem Rattenrennen. Wir könnten unser eigenes Leiden mindern und das aller anderen Menschen beziehungsweise wenigstens das vermeidbare Leiden vermeiden – das Leiden aufgrund unserer Unwissenheit und Illusionen, das ist der größte Anteil des Leidens. Das unvermeidbare Leiden, das mit unserem Dasein im Körper verbunden ist, wird dann einen anderen Stellenwert bekommen.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 103: „Buddha und die Arbeit"

UW103 COVER


Viele Menschen in unserer Wirtschaft empfinden ihr Gehalt als Schmerzensgeld für einen eigentlich unerträglichen Job. Sie haben eine Familie zu ernähren, Schulden zurückzuzahlen oder sparen auf ein Eigenheim oder für eine hoffentlich kommende Zeit, in der sie ihr Leben endlich selbst bestimmen können. Sie führen in ihrem Job Tätigkeiten aus, die ihr Gewissen belasten. Sie tun es – ebenso wie ihre Chefs – aus vermeintlich wirtschaftlichen Zwängen oder der Überlegung „Wenn ich’s nicht mache, macht’s ein anderer“.

Waffenhandel, Fleischindustrie und die Kolportage von verdummenden Weltbildern und die Wachheit einschränkenden Dienstleistungen beziehen aus solchermaßen gespaltenen Seelen ihr Personal. Das bedingungslose Grundeinkommen würde dieser Art des Wirtschaftens das ‚human potential‘ entziehen. Wir Menschen wären dann für so etwas nicht mehr so leicht bestechlich. Wir bekämen die Freiheit, unsere Kreativität zu entfalten, unser Innenleben zu erforschen und unseren Liebesbeziehungen und Angehörigen Zeit zu schenken. Der Bewusstseinsrevolution, die unsere Welt so dringend nötig hat, um den kommenden Zusammenbruch unseres Geldsystems, den Ökozid oder Atomkrieg zu vermeiden, würde mit dem bedingunglose Grundeinkommen die wirtschaftliche Grundlage gegeben.

Bilder © Pixabay

Wolf Schneider

Wolf Schneider

Wolf Sugata Schneider, ehemaliger Mönch in der buddhistischen TheravadaTradition, ist heute Autor und Humorist. www.connection.de www.bewusstseinserheiterung.info
Kommentare  
# Christoph 2022-07-25 12:10
Ein toller Text, dem ich inhaltlich nur zustimmen kann. Allerdings teile ich das Menschenbild nicht, das ein Aufblühen an Kultur und Kunst zeichnet, wenn wir doch nur endlich wieder Zeit hätten und nicht den ganzen Tag arbeiten müssten. Fakt ist doch, dass die gearbeiteten Stunde eher weniger als mehr werden und Fahrtzeiten zunehmen aufgrund des Homeoffice wegfallen. Ich habe, rein subjektiv natürlich, nicht den Eindruck, dass das zu mehr Kultur, Bildung und geistiger Entfaltung führt. Vor dem BGE und vor mehr Freizeit muss eine kulturelle Entwicklung weg von stumpfem Konsum und Betäubung und hin zur Entfaltung liegen. Ansonsten glaube ich nicht, dass die Menschen mit mehr Zeit und weniger Druck sinnvoll umgehen. Und die ersten Versuche in Richtung BGE zeigen genau das.
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# Thomas 2022-08-26 16:26
Vor einigen Jahren war ich auch noch vom Grundeinkommen überzeugt, heute habe ich große Zweifel. Auf den ersten Blick verspricht es die ultimative Freiheit. In Wirklichkeit ist es aber der Weg in die völlige Abhängigkeit. Große Teile der Gesellschaft würden in der Deckung ihrer Grundbedürfnisse vollkommen vom Staat abhängig. Und dieses Abhängigkeitspotential *wird* missbraucht werden, das ist nur eine Frage der Zeit. Selbst wer heute vollkommen von der grundlegenden Gutheit dieses Staates und seiner Instiutionen überzeugt ist und die autoritären Tendenzen nicht sieht, muss einsehen, dass sich das in der Zukunft einmal ändern könnte. Aus dem bedingungslosen Grundeinkommen wird dann schnell ein Grundeinkommen mit vielleicht doch ein paar Bedingungen. Politisch missliebigen Personen kann dann ganz einfach ihre Existenzgrundlage entzogen werden - der Traum eines jeden repressiven Staates.
Echte Freiheit kommt mit der Unabhängigkeit. Um unabhängig zu sein, sollte man zuerst seine Bedürfnisse hinterfragen. Je weniger man braucht für ein glückliches Leben, umso freier wird man. Die verbleibenden Bedürfnisse sollten dann aus eigener Kraft gedeckt werden.
Ich denke auch, dass es vielleicht nicht unbedingt Ziel sein sollte, möglichst gar nichts zu tun zu haben, sondern eher Besinnung und Muße in seinen Tätigkeiten zu finden.
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