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Diskurs

Der buddhistische Lehrer Stephen Batchelor über die Geistesgifte, die dem Frieden zwischen den Menschen im Wege stehen. Ein Schlüssel zum inneren Frieden ist ein Bewusstsein, das nicht von den Geistesgiften Gier & Hass geprägt ist.

Wie können wir inneren Frieden finden? 

Ein Schlüssel zum inneren Frieden ist ein Bewusstsein, das nicht von den Geistesgiften Gier, Hass und Verblendung geprägt ist. Um sich davon zu befreien, ist es wichtig, nicht auf jedes Ereignis immer sofort zu reagieren. Es gilt vielmehr, abzuwarten und zu versuchen, sich nicht mit jedem aufkeimenden Gefühl sofort zu identifizieren. Die Gefühle ziehen lassen. Genau diese Fähigkeit bringt inneren Frieden.

Was ist das Ziel der buddhistischen Praxis?

Der innere Frieden sollte nicht das Ziel sein, er sollte eigentlich am Anfang der Praxis stehen. Das Grundgerüst für ein ethisches Leben ist ja der innere Frieden, der auf Ruhe und Stille beruht. Meditation und das Studium der Philosophie führen zur Klarheit. In Klarheit wiederum entstehen diese achtsamen Momente, die es einem ermöglichen, nicht im Affekt zu handeln. Ich würde inneren Frieden nicht als Ziel anpeilen, ich sehe ihn als einen notwendigen Zustand, den wir brauchen, um die Welt von einer anderen Perspektive zu betrachten. Um diesen Zustand zu erreichen, ist viel Arbeit an sich selbst erforderlich.

Steht der innere Frieden mit dem Frieden in der Welt in Verbindung?

Das würde ich nur allzu gerne glauben, aber es ist für mein Empfinden eine etwas naive Sicht. Es gibt strukturelle und systemische Kräfte, die sich durch unseren eigenen inneren Zustand nicht verändern lassen. Der Buddhismus kann einzelnen Personen oder auch kleinen Gemeinschaften dazu verhelfen, friedlicher und gesünder zu leben. Unser innerer Frieden ist allerdings sehr abhängig vom Frieden in der Welt. In einer schönen Wohnung ist es einfach, inneren Frieden zu spüren. In den Konzentrationslagern in Auschwitz war dies wohl weniger leicht. Da wurde jeden Tag getötet, man hatte Angst, selbst umgebracht zu werden, und war umgeben von furchtbarem Leid. Dies zeigt, dass innerer Frieden in Abhängigkeit zum äußeren Frieden steht.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 100: „Sexualität und Achtsamkeit"

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Was bietet der Buddhismus?

Der Buddhismus hat keine politische, wirtschaftliche oder soziale Theorie, mit der man die Probleme der modernen Welt angehen könnte, trotzdem kann dieser einen Einfluss auf die Gesellschaft ausüben. Buddhismus hat viel zu bieten mit seiner Kritik an Gier, Anhaftung und Angst. Ich glaube aber, dass sich all das eher auf einem kleinen Level beziehungsweise auf der persönlichen Ebene auswirkt, aber es ist schwierig, dies auf das große Ganze umzulegen. Meiner Meinung nach ist es nicht möglich, die individuelle Ebene mit der ganzen Gesellschaft gleichzusetzen.

Gier ist das größte Problem

Könnte durch den Buddhismus nicht auch ein wirtschaftliches Umdenken stattfinden?

Es ist möglich, aber es wird nicht morgen und auch nicht zu meinen Lebzeiten passieren. Um ehrlich zu sein: Ich verstehe gar nicht alle Kräfte, die unsere moderne Wirtschaft antreiben. Ich habe vor einiger Zeit im britischen Parlament einen Vortrag gehalten. Im Anschluss wurde eine sehr spannende Frage gestellt: Würde es, wenn wir alle Achtsamkeit praktizieren, nicht unser gesamtes Wirtschaftssystem untergraben? Ein Fabrikarbeiter, der eine Familie mit sechs Kindern ernähren muss, wäre wohl von dieser Idee wenig begeistert, denn so ein achtsames Leben könnte seine Existenz gefährden. Etwa dann, wenn weniger konsumiert wird. Das hätte zur Folge, dass auch die Produktion gedrosselt wird. Das wiederum könnte für den Fabrikarbeiter bedeuten, dass er Stunden reduzieren müsste und weniger Geld verdient. Darunter würde seine Familie leiden. Menschen brauchen die Weltwirtschaft, um zu überleben. Zwar würde dem Buddhismus vielleicht eine andere Wirtschaftsweise zugrunde liegen, aber es leben schließlich sechs Milliarden Menschen auf der Erde und in diesem System. Ich weiß nicht, wie man das verändern sollte. Ich wünsche mir aber, dass die buddhistische Philosophie gemeinsam mit den buddhistischen Werten die Menschen dazu bringt, ihren Lebensstil langsam selbst zu verändern. Allerdings gibt es auch viele Buddhisten, die teure Autos fahren und sich Luxusgüter kaufen. Auch sie halten das System am Laufen.

Werden wir es schaffen, die Gier zu überwinden?

Die Gier ist das größte Problem. Die Frage ist: Könnten wir Menschen es überhaupt schaffen, unsere Gier zu befriedigen? Ich denke, es ist möglich, aber sehr optimistisch bin ich nicht. Leider sehe ich nicht, dass die Welt sich in ein buddhistisches Paradies entwickelt, in dem alle Menschen Achtsamkeit praktizieren. Sicher ist: Es hätte einen massiven Einfluss auf die gesamte Wirtschaft.

Was also tun?

Es ist nicht zielführend, sich darüber Gedanken zu machen, wie sich der Weltfrieden erreichen lässt. Es geht vielmehr darum, sein eigenes Leben und das seiner Mitmenschen positiv zu beeinflussen, um so die Gesellschaft insgesamt zu verbessern. Wenn wir sagen, dass jeder von uns die Welt ein bisschen besser machen kann, ist das ein realistisches Ziel.

Welche Rolle spielen Sie dabei?

Ich versuche durch meine Praxis, mich und meine Umgebung zu beeinflussen. Ich will als Schriftsteller etwas hinterlassen und zeigen, dass die Möglichkeit zu etwas Größerem besteht. Ich bin dabei auch nicht allein, denn viele Menschen sehen es als ihre Aufgabe, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Dazu tragen viele bei: Menschen aus verschiedenen buddhistischen Traditionen, aber auch Aktivisten aus der Umweltbewegung oder Feministinnen. Gemeinsam können wir etwas erreichen. Wir alle können ein Teil der Bewegung für eine bessere Welt sein.

Ihr neues Buch handelt vom ethischen Leben. Wie schaut so ein ethisches Leben aus?

Ein ethisches Leben beinhaltet zwei Aspekte: zum einen die Fähigkeit, das Leid annehmen zu können und so Ruhe und Raum zu finden. Zum anderen müssen wir es schaffen, nicht auf jedes Ereignis immer sofort reagieren zu müssen. Es geht darum, im Geist einen Raum zu schaffen, in dem Denken, Sprechen und Arbeiten stattfinden kann, und zwar nicht nur als ständige Reaktion auf äußere Umstände.

Welchen Rat geben Sie unseren Lesern?

Kaufen Sie meine Bücher (lacht). Was ich aber empfehle, ist, sich das Dharma zu Herzen zu nehmen, es in den Alltag zu integrieren, die ethische Anleitung zu nutzen und zu seinen Mitmenschen freundlich zu sein.

Klingt nicht schwer.

Es klingt sehr simpel, ist aber sehr schwierig in der Ausführung. Es ist nämlich keineswegs einfach, immer achtsam oder stets freundlich zu den Mitmenschen zu sein und jedem mit Respekt gegenüberzutreten. Es gibt dazu eine schöne Zen-Geschichte: Ein Mann fragt einen alten Mönch: „Was ist die Lehre des Buddha?“ Der Mönch antwortet: „Gutes tun, Schlechtes loslassen und den Geist läutern.“ Der Mann ist überrascht und sagt: „Das ist einfach, dies versteht ja sogar ein fünfjähriges Kind.“ Der Mönch erwidert: „Ja, ein fünfjähriges Kind versteht es, aber ein 70-jähriger Mann tut sich bei der Umsetzung schwer.“ Ich denke, genauso ist es. Buddhismus ist wunderbar, die buddhistische Praxis aber harte Arbeit. 

Stephen Batchelor, geboren 1953, ist buddhistischer Lehrer und Autor. Er war lange Jahre Mönch in der Zen- und der tibetischen Tradition. Er hat klassische buddhistische Texte aus dem Tibetischen übersetzt und zahlreiche Bücher verfasst.
 
 
Foto © Michael Nagl
Ester Platzer

Ester Platzer

Ester Platzer, 1979, lebt in Wien und ist Mitglied der Chefredaktion bei Ursache\Wirkung. Davor lebte und arbeitete sie viele Jahre in Ostafrika. Ester absolvierte ihr Magisterstudium in internationaler Entwicklung an der Universität Wien.
Kommentare  
# Thomas 2019-04-09 10:36
Ich kenne es in meinem Umfeld nur zu gut.
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# Uwe Meisenbacher 2019-04-12 17:25
Ein Wirtschaftssystem
in dem die Gier nach Profitmaximierung und grenzenloses Wachstum das bestimmende Element ist; in dem Ethik, Moral und Gemeinwohl keine Rolle spielen, und Reiche reicher und Arme ärmer machen, und der von den Menschen verursachte Klimawandel und die in Zusammenhang stehende Zerstörung der für uns Lebensnotwendigen natürlichen Umwelt (Ökosysteme) nicht gestoppt werden, wird sich die Menschheit selbstzerstörerisch abschaffen.
So kann und darf es nicht weiter gehen, wir Menschen müssen
mehr Aktivitäten entwickeln, um solche rücksichtlosen, selbstzerstörerischen Verhaltensweisen zu verändern.
Wer hier den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung nicht erkennen kann oder will, der muss schon sehr verblendet sein.

Mit freundlichen, frei von Gier nach Gewinnmaximierung, heilsamen, buddhistischen Grüßen, auf eine bessere Zukunft.

Und hier noch eine Ergänzung zu meinem Kommentar, eine relevante Erwähnung zur Zukunft unseres Planeten Erde.
Laut einer UNO Prognose wird die Weltbevölkerung bis zum Jahr 2100, auf
ca. 11,2 Milliarden wachsen.
Die Überbevölkerungsentwicklung auf der Erde ist natürlich auch ein entscheidender negativer Faktor, für die Zerstörung der globalen Ökosysteme.
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# Uwe Satyagraha 2020-02-21 06:59
...und Angst! Eigentlich ist Angst nach Patañjali DIE Triebfeder überhaupt...
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