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Diskurs

Kommen wir gleich zur Sache oder machen wir’s uns lieber gemütlich? 

„Frau Fischer“, hat ein junger Mann gefragt, „darf ich mit Ihrer Tochter fischen gehen?“ „Ja gern“, hat die angesprochene Frau geantwortet, „aber wir heißen doch Vogel.“ „Ja, ich weiß“, hat der junge Mann geantwortet. „Aber ich wollte nicht mit der Tür ins Haus fallen.“ Es gehört sich nun einmal, nicht gleich zur Sache zu kommen. Lustig ist die etwas ungewöhnliche Art des jungen Mannes, den Kern des Anliegens zu umgehen. Aber dass man ihn umgeht, das ist gängige Praxis. Und über gängige Praktiken, sogenannte Selbstverständlichkeiten, nachzudenken, ist was für Philosophen oder Clowns. Wer sich, wenigstens temporär, gern einer der beiden Gruppen zurechnen möchte, der/die kann jetzt ruhig weiterlesen, die anderen vielleicht besser nicht.
Sexualität ist ohne Zweifel eine interessante Angelegenheit. Sexualität ist ohne Zweifel eine interessante Angelegenheit. Wenn wir Sigmund Freud folgen, was ziemlich viele Menschen tun, dann ist Sexualität eine urtümliche Triebkraft, die wir hinter so ziemlich allen Motiven, die Menschen umtreiben, in mehr oder weniger verschlüsselter Form vermuten dürfen. Was immer die Menschen so anstreben, Ferraris, Theaterbesuche, Spitzenklöppeleien, letztlich wollen sie doch immer nur das eine, meinen viele, und vielleicht haben sie sogar recht. Interessant daran ist der doch recht große Widerstand, den Sigmund Freud seinerzeit mit seinen Theorien erlebte, und der heute noch da und dort aufblitzt. Vor allem die Liebe, die geistige, die spirituelle, die reine, die irgendwie höhere, der gänzlich alle schmutzigen Gedanken fern sind, hören wir noch manchmal wen verteidigen. Immer seltener zwar, aber bei einigen Angehörigen der älteren Generation kommt es noch vor. „Ich liebe dich“, bei Kerzenschein geflüstert, überlässt der Person, zu der es gesagt wird, meistens nicht allzu viele Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Hier eine kleine
Auswahl an Antworten, die Sie keinesfalls geben sollten, wenn Sie Schwierigkeiten vermeiden wollen:

1. Ich liebe mich auch.
2. Was genau meinst du mit ‚Liebe‘?
3. Warum?
4. Was alles muss ich jetzt tun, damit du nicht enttäuscht bist?
5. Warum sagst du mir das gerade jetzt?
6. Liebe ist nur ein Wort.
7. Sag es nicht, zeig es mir.

Und es gäbe noch viele andere. Dass die Liebe in ihren vielen Milliarden Erscheinungsformen – wahrscheinlich gibt es so viele Bedeutungen des Wortes ‚Liebe‘, wie es Menschen auf der Erde gibt –, dass die Liebe das Thema – oder zumindest ein Thema – so gut wie aller Storys ist, die uns die Unterhaltungsindustrie anbietet, kann also zumindest zwei Gründe haben, und wahrscheinlich sind beide ein bisschen wahr:

1. Sie ist diejenige Ausdrucksform von Zuneigung, die der allgegenwärtigen und stets aktuellen Sexualität am nächsten steht.
2. Sie kann für so gut wie alles stehen, was Menschen aneinander bindet. Sie kann alles bedeuten – oder auch gar nichts.

Töchter, die von ihren Müttern geliebt werden und deshalb nicht ihr eigenes Leben leben dürfen; Männer, die von ihren Frauen geliebt werden und deshalb nicht kegeln gehen dürfen – zumindest nicht ohne die Frauen, allerdings auch nicht mit ihnen, denn sie haben gerade Kopfweh. Gar mancher möchte mitunter gern ein bisschen weniger geliebt werden, traut sich aber nicht, das zu sagen, denn die Liebe zurückzuweisen ist eine Todsünde und hat vielleicht den Ausschluss aus der Gesellschaft zur Folge, oder sonst was Schreckliches. Und deshalb lieben wir munter weiter. Ein gewisses Dilemma bisweilen, eines von der Art, die gern dann auftreten, wenn wir zugunsten der Gemütlichkeit auf die Klarheit verzichten, was mitunter vorkommt. Auf „Ich liebe dich“ mit „Ich liebe dich auch“ zu antworten ist ganz gut dazu geeignet, Schwierigkeiten zu vermeiden, zumindest kurzfristig. Sobald man anfängt, sich darüberzu unterhalten, was genau damit gemeint ist, wird es für gewöhnlich eher kompliziert. „Ich möchte gern mit dir Sex haben, am besten jetzt gleich“ ist eine sehr viel klarere Aussage. „Okay, ab ins Bett“ ist trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb? – eine Antwort, die nicht ganz so häufig zu kriegen ist. Allenfalls dann, wenn schon ein gewisses Ausmaß an Vertrautheit vorhanden ist, oder wenn es sich bei der Sexualität um eine Geschäftsbeziehung handelt. Wenn nicht, kann die Klarheit der Aufforderung für die Erreichung des Zieles durchaus hinderlich sein. Eigentlich ein gar nicht so uninteressantes Phänomen: Bei geringerer Vertrautheit ist es zielführender, eher diffuse, mehrdeutige Ausdrucksweisen zu verwenden, bei größerer Vertrautheit gelingt es eher, gleich zur Sache zu kommen. Wahrscheinlich ist das Finden einer gemeinsamen Sprache mit eindeutigen Begriffen ein Prozess, den man nicht allzu schnell angehen darf, weil er sonst nicht funktioniert. Und das Praktizieren von Sexualität ist wahrscheinlich so ungefähr das Eindeutigste, das zwei Menschen miteinander tun können. Nur Gewalt ist noch eindeutiger. Alle anderen Formen der Kommunikation zwischen zwei Menschen sind mehrdeutiger. Darum dauert es für gewöhnlich auch einige Zeit, bis eine gewisse Klarheit erreicht ist, was beide voneinander wollen, oder eben nicht wollen. Sexualität ist in menschlichen Gemeinschaften viel strenger reglementiert als in tierischen.

Kommunizieren über Liebe

Über dieses Phänomen, dass ein Mangel an Vertrautheit eine größere Diffusität und Mehrdeutigkeit der Sprache zu erfordern scheint, könnte man noch sehr vieles sagen, schreiben und denken. Ob es etwas mit der Art zu tun hat, wie unsere Gesellschaft funktioniert. Ob es etwas damit zu tun hat, dass Sexualität in menschlichen Gemeinschaften viel strenger reglementiert zu sein scheint als in tierischen, weil bei den Tieren die Instinkte das erledigen, wofür wir Menschen Regeln, bisweilen religiöse, brauchen. Was könnte man da nicht alles anführen! Wenn wir jetzt noch den Umstand berücksichtigen, dass mehr und mehr Menschen in immer größer werdenden Städten wohnen und dass ein wesentliches Merkmal der Großstadt ein Verlust an Vertrautheit ist, dann könnten wir schon auf den Gedanken kommen, dass eine unverbindlich-mehrdeutige Ausdrucksweise, die bei geringer Vertrautheit offensichtlich besser funktioniert, als Methode der Kommunikation immer beliebter werden könnte. Falls diese Überlegung richtig ist, dann steht der Liebe eine Hochkonjunktur bevor. Richtiger: nicht der Liebe selbst, aber dem Wort. Allerdings sind, wie wir alle wissen, Prognosen immer schwierig, ganz besonders dann, wenn sie die Zukunft betreffen. Einer möglicherweise zunehmenden Attraktivität des Unverbindlich-Diffusen steht eine wahrscheinlich auch zunehmende Entzauberung der Sexualität gegenüber. Die Schritte dieser Entzauberung kennen wir alle: die Hippie-Bewegung als Reaktion auf den Vietnamkrieg, die fortschreitenden Methoden der Empfängnisverhütung, die abnehmende Rolle von Kirchen und anderen religiösen Instanzen als Lebensberatungsexperten. Fundamentalistische Bewegungen im Islam, aber nicht nur dort, bremsen diese Entwicklung; wir werden sehen, wie nachhaltig. Ist also doch nicht so leicht zu prognostizieren, ob sich städtische Kommunikationsmethoden langfristig zum Diffus-Romantischen oder doch eher zum Knackig-Eindeutigen hin entwickeln werden. Im ersten Fall wäre es eine Entwicklung zur Terminologie der Liebe als Anbahnungsmetapher, im zweiten Fall eher zum direkten Ansprechen sexueller Bedürfnisse. Funktionieren allerdings tut die Angelegenheit in jedem Fall nur dann, wenn der offensichtlich gar nicht so einfache Weg zur Eindeutigkeit von beiden Personen, die es betrifft, in einem gewissen Gleichschritt gelingt. Wenn eine der beiden Personen noch gar nicht so recht weiß, ob sie von der anderen etwas will und was, die andere Person aber schon sehr genau, und dies auch in einer sehr eindeutigen Sprache formuliert, dann geht die Sache ganz gern schief. Der Weg zur gemeinsamen Eindeutigkeit erfordert somit die Fähigkeit, zu erkennen, auf welchem Niveau von Klarheit über die eigenen Wünsche die andere Person gerade steht – wenn’s geht, ohne allzu viele Worte. Man nennt so etwas auch gern Achtsamkeit.

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Dr. Anselm Eder

Dr. Anselm Eder

Dr. Anselm Eder, geboren 1947 in Wien, hat bis 2012 als Universitätsprofessor am Institut für Soziologie mit Forschungsschwerpunkten unter anderem in den Bereichen ‚Medizinische Soziologie‘, ‚Körpersprache als Beobachtungsfeld‘ und ‚Simulation sozialer Interaktionen‘ gearbeitet. Seit ...
Kommentare  
# Katja 2019-02-19 10:12
Warum fällt es uns so schwer über das Allerwichtigste zu sprechen? *Ärger*
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