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Diskurs

Sinnorientiert, hierarchiefrei und individuell selbstbestimmt: Das Unternehmen dm geht aus Überzeugung ungewöhnliche Wege und beweist, wie Achtsamkeit in der Wirtschaft lebbar ist.

„Was ich Ihnen jetzt erzähle, werden Sie anfangs vielleicht nicht glauben, aber ich kann Ihnen beweisen, dass es funktioniert!“, so eröffnet Martin Dallmeier, der CFO des Drogeriemarktes dm in Deutschland seine Vorträge für Manager anderer Unternehmen. Hokuspokus? Dallmeier lacht: „Nein, das ist seit vielen Jahren gelebte Praxis bei uns. Nur sind wir damit leider noch ziemlich allein unter den Handelsunternehmen.“ „Unsere Pyramide steht kopf“, sagt Dallmeier und beschreibt, wie die 39.000 Mitglieder der dm-Arbeitsgemeinschaft in Deutschland daran arbeiten, statt eines gewinnmaximierenden Handelskonzerns einen sozialen Organismus zu entwickeln.
Der Drogeriemarkt wurde vor 43 Jahren von Götz W. Werner gegründet, hat heute 56.500 Mitarbeiter in Europa. Von Kosmetik über Haushaltsartikel und Bio-Lebensmittel bis zur Zahnpasta wird in den rund 3.350 Filialen alles verkauft.

Ein ‚sozialer Organismus‘ ist das Anliegen des Gründers.


Ein ‚sozialer Organismus‘ ist das Anliegen des Gründers. Er will einen Ort schaffen, wo Menschen sich weiterentwickeln und ihre Potenziale entfalten können, indem sie ein Stück ihrer Lebensbiografie aktiv schreiben. In Anlehnung an den Künstler Joseph Beuys ist die Aufgabe des Managements daher, diese ‚soziale Plastik‘ zu gestalten. Management als Kunstform? „Genau wie die Architektur oder die Malerei ist auch diese Aufgabe eine künstlerische“, sagt Dallmeier. Dass sie Zahnpasta verkaufen, um den sozialen Organismus zu schaffen, sei nebensächlich. „Wir könnten auch mit Schuhen handeln. Nur ist Drogerie eben das, was wir am besten können.“
Das Unternehmen wächst seit Jahren und ist bei den Kunden sehr beliebt. Vielleicht liegt das Geheimnis des Erfolgs in der Paradoxie, dass finanzieller Erfolg nicht das primäre Ziel ist. „Der Sinn unserer Arbeitsgemeinschaft steht im Mittelpunkt der Zusammenarbeit! Das Know-why kommt vor dem Know-how“, so beschreibt Dallmeier eines der Leitprinzipien. Wer den Sinn seines Tuns versteht und vor allem, wie er damit zu einem Gesamtsinn beiträgt, braucht kein strenges Regelkorsett der Kontrolle und auch keine finanziellen Boni-Versprechen, um motiviert zu sein. Die Orientierung am Sinn ist auch ein Grund, warum die Organisation ‚von vorn nach hinten‘ denkt, erklärt Dallmeier. Vorn ist der Kunde – und damit das Augenmerk des Unternehmens. Die Filialen ‚vorn am Kunden‘ werden vom Rest der Organisation unterstützt. Die Mitarbeiterinnen werden unterstützt von den Filialverantwortlichen, diese wiederum von den Gebietsverantwortlichen, den Regionsverantwortlichen und den Service-Bereichen, wie etwa Marketing und Beschaffung, Mitarbeiter-Management, Finanzen und Controlling, IT.
Flache Hierarchien und Dialog auf Augenhöhe prägen die Zusammenarbeit. Ein ‚Gebietsverantwortlicher‘ soll nicht steuern oder kontrollieren, seine Aufgabe ist es, optimale Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Filialen selbstbestimmt arbeiten können. Seine bewusst gesetzte Verantwortungsspanne für 20 bis 35 Filialen würde es ihm ohnehin unmöglich machen, die einzelnen Märkte zu kontrollieren.

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„Das war am Anfang ein großer Unterschied“, beschreibt Isabell Scheiffele ihren Start vor elf Jahren beim neuen Arbeitgeber dm. Bei ihrem vorherigen Arbeitgeber war sie es gewohnt, sich an Vorgaben zu halten: Aufbau der Produkte, Preise, Arbeitszeiten. Plötzlich war sie eingeladen, selbst zu entscheiden, was sie für sinnvoll hielt. Sie hat ihre Freiheit in der Gestaltung schnell schätzen gelernt und ist heute Filialverantwortliche eines Marktes in Erlangen. „Ich würde nicht mehr woanders arbeiten wollen.“ Gemeinsam mit ihren Mitarbeitern gestaltet sie die Arbeitszeiten ganz frei nach Sinn und Bedarf der Filiale. Es gibt keine Schichtpläne, sondern einen Plan, was zu tun ist, in dem jeder eintragen kann, was er übernimmt. Die zweifache Mutter genießt diese Flexibilität und das Vertrauen in sie und ihr Team. „Uns kontrolliert keiner. Durch die transparenten Zahlen treffen wir selbstverantwortlich Entscheidungen, die Sinn machen.“
Auch beim Preisgefüge bestimmen die Filialverantwortlichen mit. Bei Investitionen und beim Einkommen haben die Kolleginnen Mitsprachemöglichkeiten. In einem ‚Einkommensfindungsprozess‘ berät das Team, welche Einkommen für die jeweilige Lebenssituation angemessen und gerecht sind. Je nach Bedürfnissen und Potenzial – Welche Perspektiven kann jemand aufgrund seiner Fähigkeiten einnehmen? – entsteht so eine gemeinsame Empfehlung des Teams an die Verantwortlichen. Die Bedingungen sind: Der geltende Tariflohn darf nicht unterschritten werden, es muss wirtschaftlich leistbar sein und braucht die Akzeptanz der Arbeitsgemeinschaft. „Die Teams achten darauf, ob einer oder mehrere im Team besondere Bedürfnisse haben. Eine Frau, die das dritte Kind bekommen hat, braucht mehr als der Kollege, dessen jüngstes Kind gerade ausgezogen ist. Ideal wäre, dass die zur Verfügung stehenden Einkommen so verteilt werden, dass es den Bedürfnissen aller gerecht wird. Damit meine ich die menschlichen Bedürfnisse, nicht die Luxusbedürfnisse“, sagt Dallmeier. Auch mit seinen acht Geschäftsführungskollegen setzt er sich in regelmäßigen Abständen zum Einkommensfindungsprozess zusammen. Das Ergebnis ist transparent nachvollziehbar. Isabell Scheiffele macht den gleichen Prozess mit ihrem Team in der Filiale. Sie beschreibt: „Für die neuen Mitarbeiter ist es anfangs sehr ungewohnt. Sie sind es gewohnt, dass alles verdeckt und versteckt ist und Geld durch Sympathie und Antipathie verteilt wird. Wir zeigen ihnen, dass es auch anders geht und dass es gelingt, den Prozess so zu gestalten, dass jeder zufrieden rausgeht.“
Auch unüblich für ein Handelsunternehmen ist, dass nicht ein Bereich, sondern alle Mitarbeiter auf die Ergebnisse schauen. In einer ‚Wertbildungsrechnung‘ wird das Unternehmen jeden Monat komplett und für alle transparent durchgerechnet. „Das kommt aus unserem Verständnis der Arbeitsgemeinschaft. Die Filialen müssen wissen, wie sie wirtschaften, damit sie gute Entscheidungen treffen können“, sagt Dallmeier.

Flache Hierarchien und Dialogauf Augenhöhe prägen die Zusammenarbeit.


Die Arbeitsgemeinschaft hat ein eigenes Wörterbuch, um mit achtsamer Sprache diese Kultur zu stützen. Geschäftsführer heißen intern Regionsverantwortliche, statt Firma sagt man Arbeitsgemeinschaft. „Wir sprechen nicht von Personalkosten. Wenn ich jemandem vermittle ‚Du kostest Geld!‘, könnte der sich als Belastung empfinden. Das wollen wir nicht“, erklärt die junge Filialverantwortliche Nadine Litt, Filialleiterin in Kulmbach. Der Begriff Personalkosten wurde ersetzt durch Mitarbeitereinkommen. Dallmeier begründet: „In der klassischen Gewinn- und Verlustrechnung betrachtet man Personalkosten als Aufwand, der den Gewinn schmälert. Sie stehen immer im Gegensatz zum Gewinn.“ Bei dm wird stattdessen das ‚Mitarbeitereinkommen‘ als Teil des Ergebnisses betrachtet.
Auch die Idee des Lohns stellt die Firma auf den Kopf. Einkommen ist nicht die Belohnung für die Tätigkeit des vergangenen Monats, sondern die Voraussetzung, dass der Mitarbeiter im nächsten Monat wiederkommen kann. Mitarbeiter sollen in ihrer Tätigkeit einen Arbeitsplatz sehen, nicht nur einen Einkommensplatz.
Der Fokus auf sinnhaftem Tun hat auch ‚Budget‘ zu einem ‚Tabu-Wort‘ gemacht, wie Martin Dallmeier es nennt. Die Arbeitsgemeinschaft plant bewusst nicht mit Budgets, um zu verhindern, dass Sinnvolles nicht getan wird, weil das Budget nicht reicht. „Ein Budget würde uns in unserer Sinnfindung massiv einschränken. Natürlich müssen wir bei neuen Ideen abklopfen, ob die wirtschaftliche Situation es ermöglicht, aber das muss immer wieder neu gedacht werden.“
Die Bewusstseinsarbeit wirkt auch in die Haltung gegenüber den Kunden. Statt wöchentlichen Aktionspreisen, um Menschen anzulocken, gibt es ein Dauerpreiskonzept für eine bewusst einkaufende Stammkundschaft. „Wir wollen, dass die Kunden ihren Bedarf mit einem guten Preisgefühl decken können, und zwar dann, wenn sie den Bedarf haben, und nicht, wenn wir gerade ein paar LKW-Ladungen Shampoo mehr verkaufen wollen.“ Martin Dallmeier beschreibt das Unternehmen als systematischen Gewinn-Minimierer. „Wir achten auf Angemessenheit. Wenn man gesellschaftliches Engagement ernst nimmt, heißt das auch, sich nicht an der Gesellschaft zu bereichern.“ Anliegen ist es, über die Strategie der günstigsten Dauerpreise für die Kunden und über das Entfaltungsangebot für die Mitarbeiter einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten.
Voraussetzung für die Entfaltung der Mitarbeiter ist das Zutrauen, dass jemand sich in die Arbeitsgemeinschaft einbringen möchte. Diesen Vorschuss bekommt jeder neue Mitarbeiter. Aus dem Zutrauen soll das Vertrauen entstehen. „Zutrauen und Vertrauen sind die Grundpfeiler unserer Kultur. Wenn ich sie pflege, kann ich mir Kontrollen ersparen, das erlebe ich jeden Tag.“ Das Zutrauen führt zu einer großen Zahl junger Filialverantwortlicher – der jüngste ist aktuell 22 Jahre –, die Filialen mit 1.000 Kunden am Tag und mehr als 20 Mitarbeitern verantworten. Auch Nadine Litt erzählt von ihrem Staunen, als sie bei dm begann: „Es war ganz anders! Die Kollegen haben mir das Gefühl gegeben, als arbeite ich schon immer hier. Jeder kommt, zeigt einem etwas, unterstützt einen. Jeder hat mich behandelt, als würde er mich schon lang kennen. Bis heute erlebe ich, dass neue Kolleginnen und Kollegen so empfangen werden.“

Bei Investitionen und beim Einkommen haben die Kolleginnen Mitsprachemöglichkeiten.


Ein Aspekt des Zutrauens ist auch das LIDA-Prinzip – Lernen In Der Arbeit. Nadine Litt beschreibt: „Wir ermutigen unsere Lernlinge (Auszubildende) zu selbstständigem Lernen. Durch Erkundungsaufgaben und selbstständige Arbeit lernen sie eigenständiges Denken und Handeln und dass sie ein gleichwertiges Mitglied im Team sind.“
Schwieriger werde es mit Mitarbeitern, die vorher in anderen Unternehmen gearbeitet haben. Nadine Litt erzählt, dass ihr da eine ganz andere Erwartung an Führung begegne. „Eine neue Mitarbeiterin war ganz irritiert, warum ich ihr nicht einfach sagen könne, was sie tun soll. Ich fragte dann zurück: ‚Schau dich mal im Laden um, was würdest du jetzt tun?‘“
Die 28-Jährige verantwortet seit fünf Jahren eine Filiale. Sie bezeichnet sich als dm-Gewächs und kann sich nicht vorstellen, das Unternehmen zu wechseln. Sie ist nebenbei Betriebsrätin und hat so Einblick in viele Filialen. „Es wird wirklich überall auf Augenhöhe miteinander gesprochen. Ich komme jetzt viel herum und sehe, dass es nicht nur in meinem Bereich so ist, sondern gelebte Unternehmenspraxis.“ Sie schätzt das hierarchiefreie Unternehmen. „Von oben diktiert wird bei uns gar nichts. Wenn ich mit meinem Gebiets- oder Regionsverantwortlichen spreche und wir unterschiedlicher Meinung sind, tauschen wir die Argumente aus und suchen dann gemeinsam eine funktionierende Lösung.“
Ihr zuständiger Regionsverantwortlicher Martin Dallmeier schaut mindestens einmal im Jahr in jedem der rund 200 Märkte vorbei, für die er mitverantwortlich ist, und sucht den persönlichen Kontakt. Er lacht, als er ein Beispiel beschreibt, wie die umgekehrte Pyramide funktioniert: „Ich war im Gespräch mit der Filialverantwortlichen, als sie mich plötzlich mitten im Satz stehen ließ, weil zwei Mitarbeiter ein Problem hatten. Genau so soll es sein! Erst kommen die Kunden und die Mitarbeiter und dann erst komme ich.“

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Franziska Fink

Franziska Fink

Franziska Fink, ist systemische Organisationsberaterin (Beratergruppe Neuwaldegg) und beobachtet in ihrer Arbeit mit Unternehmen, welche Strömungen Wirtschaft und Gesellschaft kurzfristig und langfristig verändern.
Kommentare  
# Sandra Walter 2018-11-16 09:54
Kann mir irgendwie nicht vorstellen, dass der DM wirklich so viel besser ist zu seinen Angestellten wie andere Handelsketten...
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