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Diskurs

Religionen sind leider immer wieder ein Motiv für Krieg.

Für einen durchschnittlichen abendländischen Menschen beschränkt sich der Erfahrungshorizont mit Lehren aller Art im Wesentlichen auf die eine oder andere Variante eines Christentums katholischer oder protestantischer Prägung, Marxismus, neuerdings mehr und mehr Islam und dann vielleicht noch auf die eine oder andere sogenannte freichristliche oder freikirchliche Spielart eines mehr oder weniger selbst erfundenen Christentums, die sich für ganz besonders fortschrittlich, aufgeklärt alternativ oder vielleicht auch für ganz besonders konservativ hält – und gerade deshalb für ganz besonders richtig. Und damit sind wir beim Stichwort: So ziemlich alle Religionen haben Angehörige einer fundamentalistischen Fraktion und solche einer eher aufgeklärten, liberalen. Die der jeweiligen fundamentalistischen Fraktionen haben, wie es scheint, eine Gemeinsamkeit: Sie scheinen eine gewisse Neigung zu haben, ihre jeweilige Glaubensrichtung als die ‚richtige‘ zu sehen – und zwar die objektiv richtige, keineswegs nur die, die zu ihrer persönlichen Lebenswelt am besten passt, sondern die, die für alle Menschen am besten passen muss.

Die unerfreuliche Allianz zwischen Religion und Macht funktioniert mit der buddhistischen Lehre nicht ganz so gut.

Der nächste folgerichtige Schritt, den nicht alle Fundamentalisten gehen, aber doch manche, besteht dann darin, zu meinen, dass man alle, die den richtigen Glauben – also den ihren – nicht haben, umbringen muss. Eine solche Haltung von Angehörigen einer religiösen Glaubensrichtung ist sehr praktisch für deren religiös-politische Führer, wenn das Umbringen von Personen anderen – also abweichenden, somit falschen – Glaubens außerdem noch ins machtpolitische Kalkül passt. Für die regierenden Häupter des christlichen Mittelalters war das Ermorden von Muselmanen ein Akt der Befreiung religiöser – selbstverständlich christlich religiöser – Stätten von den Ungläubigen. Auch die massenhafte Ermordung von Ketzern, Hexen und anderen unpassenden Zeitgenossen geschah fast immer mit Berufung auf den einzig wahren und gütigen Gott.

Der Mensch hat Gott nach seinem Willen erschaffen. 

Dass mit der Ermordung der damals sogenannten ‚Hexen‘ so ganz nebenbei auch deren vermutlich recht umfangreiches pharmazeutisches Wissen über heilende Substanzen mitverbrannt wurde, interessierte dabei nicht weiter. Johann Nestroy hat gesagt: „Der Mensch ist das Wesen, das sich für das Ebenbild Gottes hält, worüber sich jener allerdings nicht sehr geschmeichelt fühlen dürfte.“ Zwar hat Jesus Christus, der Gründer, davon gesprochen, dass seine Jünger alle Völker lehren sollen, er hat aber nie gesagt, dass sie die Lernunwilligen ermorden sollen. Die Berufung auf die Lehren des Christentums als Aufruf zum Töten funktionierte also in theologischer Hinsicht immer schon ganz schlecht, wurde aber trotzdem ein paar Jahrhunderte lang kräftig praktiziert. Im Alten Testament kann man noch passende Stellen finden, im Neuen Testament geht das gar nicht. Auch der Koran deutet mehrfach die Tötung ausgewählter Personengruppen als Glaubensbeweis an und die fundamentalistische muslimische Fraktion tut das auch heute noch fleißig. Dies sei zwar keineswegs islamisch, sagen die Imame von der eher aufgeklärten Fraktion, aber das scheint die Fundamentalisten kaum zu irritieren.

Religionen

Auch buddhistische Fundamentalisten gehen bisweilen auf Angehörige anderer Religionen los, wie zum Beispiel 2014 auf Muslime. Wie die das mit den Grundprinzipien des Buddhismus vereinigen, ist mir ebenso unklar wie die Argumentation vieler mittelalterlicher christlicher Päpste. Eroberungsfeldzüge im großen Stil im Namen des wahren Buddhismus dürften aber vielleicht doch etwas seltener in der Geschichte des Buddhismus aufgetaucht sein als in der Geschichte von Christentum und Islam. Dafür fallen mir zwei Gründe ein. Erstens: Durch irgendeinen historischen Zufall waren Buddhisten noch nie gut genug bewaffnet, um Massentötungen erfolgreich durchführen zu können. Zweitens: Die unerfreuliche Allianz zwischen Religion und Macht funktioniert mit der buddhistischen Lehre nicht ganz so gut wie mit Christentum, Judentum oder Islam. Die zweite Hypothese kommt mir wahrscheinlicher vor. Falls es wirklich an den Inhalten der buddhistischen Lehre liegen sollte, dass Buddhisten anscheinend etwas weniger bereitwillig morden als andere: Welche Elemente könnten dafür am ehesten verantwortlich gemacht werden?
Auch ahnungslose Abendländer wie ich haben mitbekommen, dass es im Buddhismus vier Erkenntnisse gibt, auf denen die ganze Lehre aufbaut. Es ist also weniger ein religiöser Führer, der oberste Macht- und Managementfunktionen ausübt, sondern es ist ein Grundgerüst von Erkenntnissen, sogenannten ‚Wahrheiten‘. Sehr stark vereinfacht lauten sie:

Erstens: Das Leben besteht im Wesentlichen aus Leid.
Zweitens: Dieses Leid wird im Wesentlichen durch Gier, Hass und Verblendung herbeigeführt. (Oder wie es einmal ein weiser Mann formuliert hat: Das Rad des menschlichen Leides wird durch Gier angetrieben.)
Drittens, folgerichtig: Vermeidung von Gier ist der Weg zur Vermeidung von Leid.
Und viertens: Gier, Hass und Verblendung loszuwerden ist nicht so sehr eine Frage von Absichtserklärungen und Grundsatzbeschlüssen, sondern es ist harte Arbeit, die Übungen und Training erfordert.

Für einen Abendländer fällt an diesen vier Grundtatsachen auf, dass sie kein ‚Du sollst‘ enthalten. Sondern es ist mehr eine Information des Typs: „Wenn du nicht leiden willst, dann wirst du Folgendes tun müssen.“

Zwar finden sich ähnliche Informationen auch in anderen Religionen, zum Beispiel in den sogenannten ‚sieben Todsünden‘ des Christentums. Hochmut, Geiz, Wollust, Zorn, Völlerei, Neid und Faulheit sind Gewohnheiten, die sich sehr leicht zu dominanten Gefühlszuständen aufschaukeln, die dann keine brauchbaren Interaktionen mehr zulassen und Leid nicht nur bei den anderen, sondern vor allem auch bei einem selbst auslösen: Man bleibt damit meistens ziemlich allein, und das ist nicht lustig. Allerdings wird das Verbot dieser Todsünden so nicht begründet, sondern mit Höllenstrafe bedroht. Der Fokus der jüdisch-christlich-islamischen Tradition liegt also wahrscheinlich doch weniger auf Empfehlungen, Lebensregeln, sondern auf Geboten: Du sollst und wenn du es nicht tust, dann zürnt der Schöpfergott und stellvertretend für ihn zürnen schon mal wir, die wir die Guten sind, was uns am Gewaltmonopol des Schöpfergottes teilhaben lässt.

Hier die Hypothese: Falls es bei den Buddhisten tatsächlich eine weniger ausgeprägte fundamentalistische Fraktion geben sollte und somit auch nicht so viele, die die Lehre des Buddha als Rechtfertigung fürs Kriegführen missbrauchen, dann könnte das auch damit zu tun haben, dass der Buddhismus sich mit keinem Schöpfergott auseinandersetzt. So kann sich auch die Ansicht nicht so recht durchsetzen, man müsse den Willen dieses Schöpfergottes durchsetzen, um an seiner Herrlichkeit teilhaben zu können.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 96: „Buddha’s Way of Life"

UW96 COVER


Kriege erfordern Organisation, Organisation begünstigt Kriege.

Immerhin fällt ja auf, dass die großen monotheistischen Religionen erst ein paar tausend Jahre alt sind, somit parallel mit den ersten Großgesellschaften entstanden sind. Der christliche Himmel mit Gottvater als Chef, Engeln und Heiligen im mittleren Management, Klerus als Sachbearbeiter und Christenheit als Kundschaft ist nicht zuletzt ein Organisationsmodell für Großgesellschaften, das in kleinen Stammesgesellschaften nicht notwendig war und dort wohl deshalb auch nicht anzutreffen war. Der Mensch hat Gott nach seinem Willen erschaffen und die göttliche Firma gleich mit, könnte man sagen, wollte man die Christen ein wenig ärgern. Gautama Buddha hatte anscheinend mit der Organisation großer Gesellschaften nichts am Hut. Ihm ging es um Klarheit und um die Frage, mit welchen Übungen ein Mensch in seiner Not diese Klarheit erreicht, nicht so sehr um die Frage, wie man möglichst viele andere Menschen dazu bringt, so zu funktionieren wie man selbst.

Buddhismus als Modell für den Frieden? Schön wär’s. Kriege erfordern Organisation, Organisation begünstigt Kriege. Hochorganisierte Religionen eignen sich gut zum Kriegführen, sie eignen sich aber auch zum Organisieren von friedlichen Gesellschaften. Leider funktioniert auch der Friede nicht ohne Organisation. Deshalb ist der Rückzug aus allen Organisationsfragen noch kein Friedensmodell, sondern eben nur ein Rückzug.

Dr. Anselm Eder, geboren 1947 in Wien, hat bis 2012 als Universitätsprofessor am Institut für Soziologie mit Forschungsschwerpunkten unter anderem in den Bereichen‚ Medizinische Soziologie‘, ‚Körpersprache als Beobachtungsfeld‘ und ‚Simulation sozialer Interaktionen‘ gearbeitet. Seit 2012 macht er alles andere.

Bilder © Pixabay

Dr. Anselm Eder

Dr. Anselm Eder

Dr. Anselm Eder, geboren 1947 in Wien, hat bis 2012 als Universitätsprofessor am Institut für Soziologie mit Forschungsschwerpunkten unter anderem in den Bereichen ‚Medizinische Soziologie‘, ‚Körpersprache als Beobachtungsfeld‘ und ‚Simulation sozialer Interaktionen‘ gearbeitet. Seit ...
Kommentare  
# Sandra 2017-11-29 14:40
Religionen sollten frieden bringen, doch menschen verstehen das leider nicht...
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