Heini Staudinger, österreichischer Unternehmer und Rebell, im Gespräch über sein Leben, seine Werte und warum wir alle weniger konsumieren sollten.
Sie sind Unternehmer, Verleger, Autor und Kommentator. In Österreich haben Sie aufgrund einer Auseinandersetzung mit dem Staat hohen Bekanntheitsgrad erlangt. Wie kam es dazu?
Mein Konflikt mit der Finanzmarktaufsicht FMA, die in Deutschland BaFin heißt, hat einen unheimlichen Schub in Bezug auf meine Bekanntheit ausgelöst. Der Konflikt hat eine banale Ursache. Seit 2003 haben wir nämlich den Großteil des Geldes, das wir für die Entwicklung unserer Firma gebraucht haben, nicht von Banken, sondern von Freunden, Verwandten, Mitarbeitern und Kunden geliehen. Das ist neun Jahre lang gut gegangen, bis die Finanzmarktaufsicht auf uns aufmerksam geworden ist. Sie hat mir vorgeworfen, dass ich bankähnliche Geschäfte ohne Lizenz tätige, was mit einer Strafe von bis zu 50.000 Euro zu ahnden sei.
Aber es hat doch kein einziger Ihrer Geldgeber jemals einen Euro verloren?
Korrekt, das ist ja gerade das Verrückte an der Sache. Die Banken verweigern uns das für die anstehenden Entwicklungen der Firma benötigte Geld. Und nicht nur uns, denn so wie mir ergeht es 10.000 anderen Klein- und Mittelbetrieben in Österreich.
„Wie es ansteckende Krankheiten gibt, so gibt es auch ansteckende Gesundheit.“
Und wie ist der Prozess ausgegangen?
Nach jahrelangen Auseinandersetzungen kam es zu einer Anklage der FMA vor dem sogenannten Unabhängigen Verwaltungssenat. Kurz vor der Urteilsverkündung habe ich in einem stillen Moment zum Richter gesagt: „Finden Sie das nicht seltsam, bei mir geht es um drei Millionen Euro und keiner hat einen Cent verloren, alle sind zufrieden. Andererseits verlieren die Banken Milliarden, sie bleiben unangetastet, aber gegen mich wird verhandelt.“ Da hat der Richter gemeint: „Was soll ich tun, ich kann nicht anders, die Gesetzeslage zwingt mich dazu.“ Darauf habe ich geantwortet: „So sagen es alle, ich kann nicht anders, den einen zwingt die Gesetzeslage, den anderen zwingt ein anderer Sachzwang, weil wir alle diesen Zwängen folgen und nicht unserem Herzen, deshalb haben wir eine Welt, die eigentlich nicht so ist, wie wir sie ersehnt hätten.“ Dann hat es einen melancholischen Augenblick zwischen uns gegeben und wir haben uns in melancholischer Freundschaft verabschiedet. Die Geschichte ist so ausgegangen, dass aus allen Strafdrohungen 2.000 Euro übrig geblieben sind und die zahle ich seit einem Jahr nicht.
Woher nehmen Sie den Mut, diesen jahrelangen existenzbedrohenden Konflikt mit der Finanzmarktaufsicht auszufechten?
Am Anfang hat es mir sehr zugesetzt, denn es wusste ja keiner, wie das ausgehen wird. Ich habe jedoch relativ schnell gespürt, dass die Bevölkerung nahezu geschlossen hinter mir steht. Das hat mir ohne Zweifel geholfen, mutig zu sein. Wie es ansteckende Krankheiten gibt, so gibt es auch ansteckende Gesundheit. Wie Angst ansteckend sein kann, so kann auch Mut ansteckend sein. Alleine zur Verhandlung sind 250 Menschen gekommen, die mich unterstützt haben, die haben gar nicht alle in den Gerichtssaal gepasst und der Großteil musste draußen im Foyer warten.
„Wie Angst ansteckend sein kann, so kann auch Mut ansteckend sein.“
Wie ist eigentlich die Marke GEA entstanden?
Ich habe 1980 mit einem Schuhgeschäft angefangen, 1983 wurde dann die Marke GEA (Anmerkung: Göttin der Erde) gegründet. 1991 bin ich durch einen Zufall in die Waldviertler Schuhwerkstatt hineingeschlittert. Die Schuhwerkstatt war in der Krise und ich mit meinem Schuhgeschäft der wichtigste Kunde. Anfangs war ich nur Teilhaber, 1994 wurde ich dann Geschäftsführer der Waldviertler Schuhwerkstatt. Damals war die Firma zwölf Leute groß und jetzt sind wir 170 im Waldviertel und noch einmal 110 in den Geschäften, die wir selbst betreiben.
Wann begann Ihre Erfolgsgeschichte?
Nach vielen Krisen und Rückschlägen mussten wir uns zu Einsparungsmaßnahmen aufraffen. Da ich aber keinen meiner eigenen Arbeiter entlassen wollte, dachte ich mir, lass uns doch bei den Werbeagenturen einsparen, die kosteten Unsumme an Geld. Von da an haben wir unsere eigene Werbung gemacht. Angefangen haben wir mit dem GEA-Album, das mittlerweile viermal im Jahr mit einer Auflage von nahezu zwei Millionen erscheint. Vor zehn Jahren kam dann das Kundenmagazin ‚Brennstoff‘ dazu, es soll ,Brennstoff für Herz und Seele‘ liefern. Darin finden sich hauptsächlich Artikel und kaum Werbeeinschaltungen – das kommt bei unseren Kunden extrem gut an. Mittlerweile erscheinen wir viermal im Jahr und bringen es auf eine Auflage von 200.000 Stück. Jetzt haben wir also drei Marken: GEA, die Waldviertler und den ,Brennstoff‘.
„Ich glaube, wenn man seine Wünsche reduziert, dann hat man bessere Chancen auf Glück.“
Wo stehen Sie heute?
Was mich freut, ist die Tatsache, dass wir Schuhe und Möbel nicht als das Wichtigste auf der Welt erachten – das Wichtigste ist immer noch das Leben selbst. Und wenn man in diesem Leben schon Schuhe macht, dann ist es natürlich eine höchst vernünftige Entscheidung, gute Schuhe zu machen. Die Waldviertler haben was, sie widersetzen sich dem Konsumistischen. Mit einem Service zwischendurch halten sie bis zu zehn Jahre.
Viele Unternehmer klagen über Fachkräftemangel, wie geht es Ihnen damit?
Der Fachkräftemangel ist natürlich ein riesiges Problem, sowohl in Deutschland wie auch in Österreich. Allerdings bilden wir bei uns in Schrems ein Drittel aller österreichischen Schuhmacherlehrlinge aus. Da kann doch etwas nicht stimmen im System, wenn alle handwerklichen Berufe kaputtgehen.
„Wir als Gesellschaft müssen einfach lernen, bescheidener zu leben, was aber nicht bedeutet, dass wir deswegen ein schlechteres Leben haben müssen, ganz im Gegenteil.“
Wie sieht Ihr religiöser oder ethischer Zugang aus?
Mein Elternhaus hat die christlichen Werte sehr ernst genommen. Ich glaube jedoch, dass dort, wo die Reise in die Tiefe geht, die Weltreligionen sich alle wahnsinnig ähnlich sind. Dann hatte ich noch ein zweites prägendes Erlebnis. Ich war in einem christlichen Internat, in der 6. Klasse haben wir einen Priester als Präfekt bekommen, der sich viele Gedanken darüber gemacht hat, wie ein idealer Erzieher auszusehen hätte. Er nahm sich Gott zum Vorbild und überlegte sich, welches Werkzeug Gott bei der Erziehung junger Leute einsetzen würde. Da dachte er sich: „Das Vertrauen.“ So hat er sich vorgenommen, dass das Vertrauen sein wichtigstes Erziehungswerkzeug sein sollte. Das katholische Internat hat sich in diesen Jahren vom totalen Zuchthaus zur Freiheit gewandelt. Mit dem Geist der 68er ist die Öffnung gekommen. Wir mussten um unsere Freiheit kämpfen und wussten daher, welch wertvolles Gut sie war, das es zu schützen galt. Für uns war Freiheit etwas Heiliges. Für diese Erkenntnis bin ich heute noch dankbar.
Sie haben einen sehr umstrittenen Leserbrief zu den Attentaten in Paris geschrieben. Was hat Sie dazu bewegt?
Ich habe lediglich auf die Aussendung der Grünen reagiert. Die ließen unmittelbar nach den Anschlägen verlauten, dass es jetzt darum ginge, die Demokratie und die Pressefreiheit zu verteidigen. Ich habe mir gedacht: Um Gottes willen, jetzt geht es einmal ums Innehalten. Es geht nicht darum, mein Recht zu verteidigen, viel wichtiger ist es, dass man sich zusammensetzt. Es braucht ein Milieu des Verzeihens. In so einem Milieu entsteht Frieden und nicht dort, wo jeder auf sein Recht pocht. Im Moment wird auf den Islam ja nur hingeschlagen. Man sollte aber das Liebenswürdige und das Humane im Islam (be-)achten, wie etwa, den Armen zu geben – was viele Muslime mit einer Konsequenz machen, die in unseren Breiten ihresgleichen sucht. Ich habe in diesem Brief Rumi, den persischen Mystiker und Dichter, zitiert: „Jenseits von Gut und Böse ist ein Ort, dort werden wir uns begegnen.“
Wie sahen die Reaktionen auf diesen offenen Brief aus?
Eine Welle von Beschimpfungen ist über mich hereingebrochen. Da ist natürlich kein Dialog möglich. Auf einer von uns betriebenen Facebook-Seite ist es recht brutal zugegangen. Ich habe nur einmal kurz zu den Kommentaren eine Antwort gegeben, nämlich das, was mein Vater bei Konflikten gerne gesagt hat: „Nicht nachlegen, wenn es schon brennt.“
Wie kann man Ihrer Meinung nach sein Glück finden?
Das Gemeine an der Konsumgesellschaft ist ja, dass sie dir ununterbrochen verspricht, dass deine Chancen auf Glück mehr werden, wenn du etwas kaufst. Wir als Gesellschaft müssen einfach lernen, bescheidener zu leben, was aber nicht bedeutet, dass wir deswegen ein schlechteres Leben haben müssen, ganz im Gegenteil. Ich glaube, wenn man seine Wünsche reduziert, dann hat man bessere Chancen auf Glück. Konsumverweigerung ist eine wertvolle Übungsfläche.
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