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Diskurs

Was passiert, wenn man die Wahrheit über die Weltmacht USA sagt, und welche Konsequenzen muss man dafür tragen? Über drei Helden des 21. Jahrhunderts. Michael Sontheimer berichtet über Julian Assange, Bradley Manning und Edward Snowden.

 

In den ‚United States Disciplinary Barracks' in Fort Leavenworth im US-Bundesstaat Kansas ist Chelsea Manning inhaftiert, im August 2013 von einem Militärgericht zu 35 Jahren Gefängnis verurteilt, unter anderem wegen ‚Unterstützung des Feindes', konkret wegen der Weitergabe von geheimen Informationen der US-Streitkräfte an die Enthüllungsplattform WikiLeaks. In der Botschaft Ecuadors in London sitzt seit Juni 2012 Julian Assange fest, der Gründer von WikiLeaks. Gegen den australischen Netzaktivisten wird in den USA wegen Spionage ermittelt. Zudem hat die schwedische Regierung die Auslieferung von Assange beantragt, um ihn wegen angeblicher sexueller Delikte gegen zwei Schwedinnen zu vernehmen.
In Moskau temporäres Asyl genießt Edward Snowden, ein US-Computerexperte, der für die US-Geheimdienste CIA und die National Security Agency (NSA) arbeitete, bevor er im Juni 2013 in Hongkong zwei amerikanischen Journalisten mehrere hunderttausend Geheimdokumente, vor allem der NSA, übergab. Die Unterlagen zeigen, dass die NSA eine absolute Überwachung aller menschlichen Kommunikation anstrebt. Die Rede ist von drei teils sehr unterschiedlichen Männern, die doch Wichtiges miteinander verbindet. Die drei haben denselben Feind, die Regierung der Vereinigten Staaten, die Regierung des noch immer militärisch und wirtschaftlich stärksten Landes der Welt. Einen mächtigeren Feind gibt es nicht.

Die drei haben denselben Feind, die Regierung der Vereinigten Staaten.Einen mächtigeren Feind gibt es nicht.

 


Was sie deshalb auch verbindet, ist Mut. Sie wussten, dass sie sich die Weltmacht Nummer eins zum Feind machen würden. Aber sie hatten und haben ein Anliegen. Bradley Manning wollte Kriegsverbrechen der U.S. Army öffentlich machen, ebenso Julian Assange, der zusammen mit Journalisten des Guardian, der New York Times und des Spiegel die Folter und Ermordung von Zivilisten in Afghanistan und im Irak dokumentierte und mit dem Video ‚Collateral Murder' US-Kriegsverbrechen zeigte. WikiLeaks enthüllte auch Korruption und die Lügen und Machenschaften von US-Diplomaten. Und Edward Snowden schließlich warnte die Welt vor dem Weg in die totale Überwachung, vor dem drohenden Verlust jeder Privatsphäre. Die drei verbindet auch das Wissen, dass das US-Imperium sie unbarmherzig verfolgen würde. Ihnen war klar, dass sie nicht ungeschoren davonkommen würden. Aber sie haben Überzeugungen, die ihnen ermöglichten, ihre Furcht zu überwinden. Sie hatten Unrecht als Unrecht erkannt und wollten dafür sorgen, dass es nicht weiter geschieht. Sie leitete der Impetus, ohne den es keinen Fortschritt für die Menschheit geben würde.

Sie hatten Unrecht als Unrecht erkannt und wollten dafür sorgen, dass es nicht weiter geschieht.

 

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Als Erster auf die Bühne der Weltöffentlichkeit trat Julian Assange, der auch mehr als zehn Jahre älter ist als Manning und Snowden. Er wurde im Juli 1971 in Townsville, Queensland/Australien geboren. Seine Eltern hatten sich auf einer Demonstration gegen den Vietnamkrieg kennengelernt und bald wieder getrennt; er führte mit seiner Mutter ein Hippie-Nomadenleben; ein Heimcomputer, ein Commodore 64, war es, der eine schicksalhafte Leidenschaft bei ihm weckte, noch bevor es das Internet gab.
Julian Assange wurde ein Hacker, er wurde in Australien überwacht, verfolgt und verurteilt. Zu den Cypherpunks zählt er, die private Informationen verschlüsseln und öffentliche allen zugänglich machen wollen. Er bewegte sich in der internationalen Hacker-Community. In Berlin campierte er auf den Sofas der Clubräume des Chaos Computer Clubs, in Nairobi knüpfte er auf dem Weltsozialform der Globalisierungskritiker Kontakte.
Zusammen mit linken Aktivisten aus Melbourne und anderen Freunden begründete Assange Ende 2006 WikiLeaks als einen überwachungssicheren digitalen Briefkasten für geheime Dokumente aller Art. Ein Jahr später veröffentlichte die klandestine Truppe die ersten vertraulichen Berichte über Korruption in Kenia, dann Dokumente des deutschen Bundesnachrichtendienstes.
Im Jahr 2010 folgte für WikiLeaks ein Scoop auf den nächsten: das Video ‚Collateral Murder', Dokumente über die Kriege und Kriegsverbrechen in Afghanistan und im Irak, schließlich die 250.000 Depeschen von US-Diplomaten – bis die spektakulären Enthüllungen durch die Vorwürfe der Vergewaltigung von zwei Schwedinnen gegen Assange überlagert werden. Im amerikanischen Geheimdienst-Vokabular heißen solche rufschädigenden Vorwürfe ‚character assassination'.

 

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Schon während der Enthüllungen von WikiLeaks verhafteten US-Militärpolizisten am 26. Mai 2010 im Irak den Soldaten der U.S. Army Bradley Manning, den wichtigsten Informanten von WikiLeaks. Im Dezember 1987 im US-Bundesstaat Oklahoma geboren, hatte Manning eine harte Kindheit zwischen seinen Eltern, die sich scheiden ließen, zwischen Wales in Großbritannien und Oklahoma. Er wusste nicht, ob er schwul war oder nicht. Manning bewarb sich 2007 bei der U.S. Army, wurde als Nachrichtenanalyst ausgebildet und arbeitete seit Juni 2009 auf einem US-Stützpunkt 60 Kilometer östlich von Bagdad. Während seines Einsatzes im Irak stieß er auf Unterlagen, die Folter von Irakern durch Amerikaner dokumentieren sowie Kriegsverbrechen gegen Zivilisten. Insgesamt übergab er WikiLeaks eine dreiviertel Million amerikanischer Regierungsdokumente.

 

Amnesty International warf der US-Regierung die ‚unmenschliche Behandlung von Bradley Manning' vor.

 


Bradley Manning wurde zu einem Whistleblower, zu einem Menschen, der auf Unrecht und Verbrechen stößt, auf Verhältnisse, die verändert werden müssen; einer, der die Gesellschaft warnen will, mit seinem Pfiff. Der Whistleblower ist inzwischen eine traditionelle Figur der amerikanischen Politik. Daniel Ellsberg war ein prominenter Vorläufer Mannings, er veröffentlichte 1971 Geheimpapiere des US-Verteidigungsministeriums, die den verbrecherischen Charakter des US-Krieges in Vietnam offenbarten. Ellsberg, vom FBI illegal überwacht, wurde schließlich vor Gericht freigesprochen und unterstützt heute Assange, Manning und Snowden.
Das US-Militär hielt Manning zunächst in strikter Isolationshaft. Er durfte sich nicht einmal mit Gymnastik fit halten. Besucher, auch seinen Anwalt, konnte er nur hinter einer Panzerglasscheibe empfangen. Amnesty International warf der US-Regierung die ‚unmenschliche Behandlung von Bradley Manning' vor. Nachdem mehr als eine halbe Million Menschen eine Protesterklärung unterzeichnet hatten, wurden die Haftbedingungen gelockert. Doch rechten Republikanern in den USA gefiel das gar nicht. Sie forderten die Todesstrafe für Manning.
Um noch jemals lebendig aus dem Gefängnis zu kommen, bekannte sich Manning in zehn von 22 Punkten der Anklage für schuldig. Er wollte ‚die wahren Kosten des Krieges' im Irak offenlegen, sagte er zu seiner Verteidigung. Philip J. Crowley, der Sprecher von US-Außenministerin Hillary Clinton, wagte es, die Behandlung von Manning öffentlich zu kritisieren; er musste zwei Tage später sein Amt zur Verfügung stellen.
Ein U.S. Army-Gericht in Fort Meade, wo auch die NSA ihr Hauptquartier unterhält, verurteilte Bradley Manning am 21. August 2013 zu 35 Jahren Haft. Knapp zehn Jahre wird er davon mindestens absitzen müssen.
Schon Ende April 2010 schrieb Bradley Manning seinem Vorgesetzten in der U.S. Army, Paul Adkins, dass er an ‚gender identity disorder' leide. Er fügte ein Selfie von sich bei, das ihn mit geschminkten Lippen und Augen sowie einer blonden Perücke zeigt. Gute drei Jahre später erklärte er: „Ich bin Chelsea Manning. Ich bin weiblich." Was Manning und Assange geschah, welche Wirkungen ihre Enthüllungen hatten, das beobachtete ein junger Amerikaner namens Edward Snowden sehr genau. Die Verfolgung der beiden durch die US-Regierung schreckte ihn nicht ab. Am 3. Juni 2013 führte er zwei Landsleute in sein Zimmer im Mira-Hotel in Hongkong: die Dokumentarfilmerin Laura Poitras und den Juristen und Journalisten Glenn Greenwald, die beide bereits kritisch über die Überwachung durch die NSA berichtet hatten.

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Snowden, 1983 im Bundesstaat North Carolina geboren, in Maryland aufgewachsen, erzählte ihnen seine Geschichte. Wie er einen Job als IT-Experte bei der CIA in Genf annahm, wie er langsam Bedenken bekam, wie er seine Bedenken gegen die ausufernde Überwachung Vorgesetzten mitteilte und von denen abgewimmelt wurde. Schließlich fasste er den Plan, möglichst viele Beweise für die Überwachung im Internet zu sammeln und sie an die Öffentlichkeit zu bringen.
Snowden arbeitete in Japan für die NSA und schließlich für Booz Allen Hamilton, einen privaten Dienstleister für die NSA, auf Hawaii als Systemadministrator. Nach eigenen Angaben kopierte er rund 1,7 Millionen Dokumente, die meisten als ‚secret' oder ‚top secret' eingestuft. Zu Glenn Greenwald sagte er: „Ich möchte nicht in einer Welt leben, in der alles, was ich tue und sage, aufgezeichnet wird." Er habe es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren können, von der Überwachung zu wissen und sie nicht öffentlich zu machen. In einem von Laura Poitras in Hongkong aufgenommenen Video begründete er seinen Geheimnisverrat mit einer Klarheit und Überzeugungskraft, die einem 29 Jahre alten Mann kaum zuzutrauen sind. Er wirkte und wirkt bei anderen Interviews und Reden deshalb so überzeugend, weil er mit sich selbst im Reinen ist. Er ist seinem Gewissen gefolgt, er hat sich nicht mit Unrecht abgefunden, sondern es publik gemacht. Denn nur so kann der uferlosen Überwachung ein Ende bereitet werden.

 

Das Bild von den USA als wohlwollender Führungsmacht des Westens, als Garant für Freiheit und Demokratie, hat hässliche Flecken bekommen.


Am 23. Juni 2013 flog Snowden nach Moskau, wo er vom internationalen Flughafen aus Asyl in Ecuador und anderen Ländern beantragte. Die US-Regierung demonstrierte ihre machiavellistische Attitüde, indem sie Snowdens Pass für ungültig erklärte und der Regierung des Andenstaates drohte, bei einer Gewährung von Asyl für den Whistleblower Handelserleichterungen zu streichen. Zahlreiche Regierungen, auch die Deutschlands und Österreichs, lehnten zum Teil aus formalen Gründen ein Asyl für Snowden ab, er bekam schließlich zunächst für ein Jahr Asyl in Russland und konnte anschließend weitgehend unbehelligt in Moskau leben.
Die Informationen, die Glenn Greenwald und Laura Poitras derweil aus dem Snowden-Archiv veröffentlichten, hatten es in sich. Die NSA, so zeigten Dokumente, hatte den E-Mail-Verkehr der brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff und ihrer engsten Mitarbeiter ebenso ausgespäht wie ein Mobiltelefon der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel abgehört.Das Bild von den USA als wohlwollender Führungsmacht des Westens, als Garant für Freiheit und Demokratie, hat hässliche Flecken bekommen. Die allermeisten Politiker der mit den USA offiziell befreundeten Länder nehmen das imperiale Auftreten der Regierung in Washington D.C. weiter hin, aber das Wissen darum, ausspioniert zu werden, hat Verbitterung hinterlassen. Die Mehrheit der Nutzer des Internets verdrängt die Möglichkeiten und den Willen der amerikanischen Regierung, alle und alles aufzuzeichnen und zu überwachen. Doch eine Minderheit hat verstanden, dass das Recht, unüberwacht zu kommunizieren, ein entscheidendes Freiheitsrecht ist. Es sind noch wenige, die ihre E-Mails verschlüsseln, die Google oder Facebook nicht mehr nutzen und den politisch-wirtschaftlichen Komplex der USA, der die informelle Weltherrschaft anstrebt, boykottieren. Doch es werden mehr.

Die drei Helden des Kampfes um informationelle Selbstbestimmung.

 


Die drei Helden des Kampfes um informationelle Selbstbestimmung – Assange, Manning und Snowden – haben ihre Freiheit aufs Spiel gesetzt und in unterschiedlichem Ausmaß verloren. Das Imperium hat die drei zu Staatsfeinden erklärt und versucht, sie zu neutralisieren. Mögliche weitere Whistleblower sollen abgeschreckt werden. Es ist an uns allen, dies nicht zuzulassen und sie zu unterstützen. Die drei sind Vorbilder, sie sind Helden des 21. Jahrhunderts.

 

Michael Sontheimer, 1955 in Freiburg im Breisgau geboren, arbeitete für ‚tageszeitung', ‚die ZEIT' und schreibt seit 1995 für ‚den SPIEGEL'. Sontheimer hat zudem zehn Bücher zu politischen und historischen Themen veröffentlicht und ist Mitglied im Kuratorium der taz Panter Stiftung.
 
 
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Kommentare  
# Musicus 2015-12-12 14:45
Es gibt doch noch Helden in der Masse der Mitläufer, in der die menschlichen Werte immer wieder verachtenden Welt. Man sollte sie ehren. Die Shizphrenie ist in den USA stark ausgeprägt.
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