Menschen, die dramatische Ereignisse, wie zum Beispiel den Tsunami im Jahre 2004, überlebt haben, Opfer von Gewalt oder Missbrauch sind, eine schwere Krankheit durchmachen und zur Verarbeitung dieser Erfahrungen Hilfe suchen, weil sie alleine damit nicht klarkommen, leiden an den Folgen eines Traumas.
Wir alle kennen diesen Ausdruck, aber was ist ein Trauma? Die Münchner Ärztin und Traumatherapeutin Dr. Amanda H. Weber, die seit vielen Jahren in ihrer Praxis Betroffene behandelt, liefert uns folgende Definition: „Ein Trauma entsteht, wenn unser Organismus in seiner Fähigkeit, Erregungszustände zu regulieren, überfordert ist und wir uns deswegen hilflos und ängstlich fühlen, nicht mehr adäquat reagieren und uns auf irgendeine Weise schützen können.“ Bleibt ein erlebtes Trauma unaufgelöst, wird die Übererregung im Körper gespeichert und es können sich verschiedene physische und psychische Symptome entwickeln. Karin M. aus Rosenheim berichtet, dass sie immer wieder mit unerklärlichen diffusen Ängsten zu kämpfen hatte, deren Ursachen erst im Verlauf der Traumatherapie ans Tageslicht gelangten. Nach Dr. Weber entsteht eine Übererregung durch eine andauernde Aktivierung des vegetativen Nervensystems unter Beteiligung höherer Gehirnareale wie des Hypothalamus und der Hypophyse, der Nebennieren und der Stresshormone. Wie mittlerweile aus der Stressforschung bekannt ist, bleibt der Stresspegel immer dann hoch, wenn er nicht abgebaut werden kann, wie es im Zuge eines Kampfes oder einer Flucht zu beobachten ist. Die Ausschüttung von Stresshormonen dient allen Lebewesen als Selbstschutz und trägt zum Überleben bei. Dr. Weber weiß außerdem, dass die Reaktionen auf ein traumatisches Ereignis in erster Linie instinktiv ablaufen und vom Stammhirn kontrolliert werden. Dieser Teil des Gehirns unterliegt nicht der bewussten Kontrolle, erst recht nicht, wenn die Erregung sehr hoch ist. Klaus M. aus Frankfurt, der unter einem gewalttätigen Vater zu leiden hatte, fühlte sich viele Jahre wie ein verletztes Tier und führte deshalb ein Leben auf der Überholspur. Dass sein Organismus immer noch auf die traumatischen Erfahrungen reagierte, obwohl die entsprechenden Situationen über 30 Jahre zurücklagen, erkannte er erst im Verlauf seiner Traumatherapie.
Da jeder Mensch eine individuelle körperliche und seelische Disposition aufweist, geht jeder mit Situationen individuell um und verarbeitet sie auch auf individuelle Art und Weise. Nicht alle zerbrechen an einer gewaltvollen Kindheit oder leiden unter den Folgen eines Tsunami. Neurologische Untersuchungen an Mönchen haben ergeben, dass manche von ihnen langjährige Folterungen unbeschadet überstanden haben, während sie andere körperlich und seelisch nicht verkraften konnten. Festzuhalten ist, dass es keine traumatisierenden Ereignisse gibt, sondern lediglich Menschen, die unter den Folgen solcher Erfahrungen leiden. Man spricht dann von posttraumatischen Belastungsstörungen. Die Dänin Marianne Bentzen, eine erfahrene Traumatherapeutin, die seit vielen Jahren auf innovative Weise mit Kindern und Erwachsenen arbeitet, die schwerste Schock-Traumata überlebt haben, meint hierzu: „Es gibt Situationen, die jeder als traumatisch betrachtet, wie ein Zugunglück, bei dem viele Menschen umkommen und man selbst schwer verletzt wird. Aber nicht jeder Mensch, der eine solche Situation durchmacht, zeigt traumatische Symptome.“ Auch Peter Levine, der Begründer von ‚Somatic Experiencing’ geht davon aus, dass ein Trauma nicht in der Erfahrung liegt, sondern im Nervensystem eines Menschen stattfindet, der mit dieser Erfahrung konfrontiert wird.
Gemeinsamkeiten bei der Verarbeitung
Vielen Menschen, die unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden, ist jedoch gemein, dass sie keine Worte finden, um auszudrücken, was sie körperlich oder emotional erfahren und damit wahrgenommen haben. Sie sitzen ihrem Traumatherapeuten gegenüber und sind nicht imstande darzulegen, was ihnen widerfahren ist. Nach Ansicht von Dr. Weber ist dies darauf zurückzuführen, „dass durch die massive Stressreaktion, die durch ein Trauma ausgelöst wird, genau der Teil unseres Gehirns, der sachliche Zusammenhänge speichert, nämlich der Hippocampus, nicht mehr richtig funktioniert und somit unser episodisches Gedächtnis, das ‚Archiv’ für die gemachten Erfahrungen, abschaltet. Im Rahmen der Stressreaktion werden auch andere neuronale Verbindungen, wie etwa die Verbindung zum Sprachzentrum, unterbrochen. Dies kann zur Folge haben, dass die traumatische Situation nicht verbalisiert werden kann.“ Die Münchner Traumaexpertin erlebt bei Betroffenen häufig ein ‚sprachloses Entsetzen’ verbunden mit einer fragmentarischen Erinnerung an das belastende Ereignis: „Manchmal wird auch das Raum/Zeit-Erleben beeinträchtigt und der Betroffene erinnert sich nur ungenau, so dass eine präzise Beschreibung des Erlebten unmöglich ist und viele Betroffene nicht ernst genommen oder sogar als Lügner oder Hypochonder verurteilt werden. Mancher gibt dann resigniert auf in dem Versuch, sich mitzuteilen – nach dem Motto: Mich versteht sowieso keiner.“ In der Arbeit mit Patienten sieht sich Dr. Weber auch immer wieder vollkommener Sprachlosigkeit gegenüber, meist dann, wenn die Scham über das Erlebte als zu groß empfunden wird. Maren K. aus Berlin brauchte mehrere Monate, bis sie die entsprechenden Worte für ihre körperlichen Empfindungen fand. Erst nach und nach gelang es ihr, ihre Emotionen wiederzugeben.
Achtsamkeit als Schlüssel zur Heilung
Nur selten lassen sich posttraumatische Erfahrungen allein durch spirituelle Praxis verarbeiten. Eine besonders achtsame Herangehensweise bietet in diesem Kontext das sogenannte ‚Somatic Experiencing’, in dem Dr. Weber den Schlüssel zur Traumaheilung durch Schulung der ganzheitlichen Beobachtung sieht: „Wenn es dem Betroffenen mehr und mehr gelingt, seine Erregungsmuster mit weniger Angst wahrzunehmen und seine instinkthaften Selbstschutzmechanismen, die in der ursprünglichen Situation nicht wirksam werden konnten, nachzuerleben und zum Abschluss zu bringen, verringert sich die aufgestaute innere Ladung allmählich.“
Neue Nervenverbindungen können sich im Gehirn ausbilden, Blockaden lösen sich auf und verloren geglaubte Fähigkeiten und/oder Erinnerungen kehren wieder. Ein Gefühl von Gesundheit, Sicherheit und Handlungsfähigkeit stellt sich ein. Das Sprachzentrum wird wieder zugänglich, die Körperwahrnehmung differenzierter. Ein traumatisierter Mensch erlebt seinen Körper aufgrund der unangenehmen Empfindungen als negativ und es fällt ihm anfangs schwer, die Aufmerksamkeit für längere Zeit auf somatische Eindrücke zu richten. Eine Schulung der Achtsamkeit kann hier unterstützend wirken und den Heilungsprozess beschleunigen. Trotzdem ist eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Traumabehandlung unabdingbar: Geduld. Übererregung kann nur in kleinen Schritten abgebaut werden, sonst wird das Nervensystem neuerlich überfordert. Dorothea I. aus Krefeld empfand die ersten Monate als anstrengend: „Geduld ist nicht gerade meine Stärke! Erst nach einem guten halben Jahr konnte ich sehen, dass ich große Fortschritte gemacht habe. Das hat mir einiges abverlangt.“
Die verschiedenen Facetten der Sprache
Geduld und Vertrauen sind nötig, um die eigene Sprache wiederzugewinnen und einen differenzierten Zugang zu seinen Empfindungen zu erhalten. Nur langsam stellt sich ein Gefühl von Heilung ein. Das kann auch Dr. Matthias Ennenbach bestätigen, der als Psychotherapeut arbeitet und buddhistische Elemente in seine Behandlungsmethoden integriert. Er beobachtet, dass sich Patienten rasch an die in der Therapie verwendete Sprache gewöhnen, sie nachzuahmen versuchen und damit Erfahrungen sammeln. Andererseits bemüht sich laut Ennenbach natürlich auch der Therapeut darum, sich auf die Sprache des Gegenübers einzustimmen und einzulassen: „So finden wir uns irgendwo in der Mitte.“ Die Bildsprache stellt dabei ein wichtiges und hilfreiches Medium dar. Ennenbach vermittelt den Patienten das Bild vom ‚inneren edlen Kern’, der jedem Menschen innewohnt, der etwas Heiles war, ist und immer sein wird. Hier zeigt sich der große Unterschied zur westlich orientierten psychiatrischen Sicht, die davon ausgeht, dass die innere Struktur durch das Ereignis gestört und damit deformiert wurde, so dass dort nichts oder nur mehr wenig heil geblieben ist. Die positiven buddhistischen Bilder, zum Beispiel dasjenige vom ‚inneren edlen Kern’, sind dagegen schnell kommunizierbar und werden auch gespürt. Die Patienten erzählen dann von einem inneren Strahlen, dem inneren heilen Kern, aber auch von zahlreichen Schutzschichten, die diesen umhüllen.
Die Sprache als Brücke
Achtsamkeit und Sprache sind wesentliche Elemente der Therapie. Besonders die Sprache ist in der Lage, zur Heilung von posttraumatischen Erfahrungen beizutragen. Für Dr. Ennenbach wird sie zum Ausdruck der Beziehung, wodurch ihr übergreifende Bedeutung zukommt: „Ich behandle sowohl in meiner Praxis als auch in der Klinik Menschen aus unterschiedlichsten Kulturen. Nicht wenige von ihnen sind im Umgang mit der deutschen Sprache unsicher. Aber die buddhistische Lehre hat so einen Reichtum an Bildersprache, körpersprachlichen und praktischen Techniken, dass es nicht nur die verbale Sprache braucht.“ Er erachtet die Bildersprache sogar für wirksamer als das gesprochene Wort, weil mit ihr tiefer liegende Strukturen erreicht werden, so dass eine heilende Einwirkung stattfinden kann. Oft trifft er Menschen nach mehreren Jahren wieder und hört dann von ihnen: „Das Bild von dem ‚inneren edlen Kern’, das Sie mir damals gegeben haben, daran habe ich immer denken müssen!“
Dass die Bildsprache eine so heilsame Wirkung hat, hängt damit zusammen, dass wir Bilder laut Dr. Ennenbach bereits sehr früh wahrnehmen: „Als kleines Kind können wir die Mutter lange, bevor Wörter da sind, wiedererkennen. Aus diesem Grund arbeite ich so gerne mit Bildern. Es ist eine unglaubliche Ressource, nicht nur die verbale Sprache zu haben. Aber neben den Visualisierungsarbeiten, der Nutzung von bildhaften Vergleichen, ist natürlich die Körpersprache sehr spannend. Schließlich sind 95 Prozent der Kommunikation reine Körpersprache.“ Tagtäglich erfährt Dr. Ennenbach in der Arbeit mit seinen Patienten, dass die Art, wie wir sprechen, wie die Mimik aussieht oder wie der Körper sich verhält, mehr mitteilt als tausend Worte. Für ihn ist es ein Geschenk, auf so vielen verschiedenen Ebenen mit einem Patienten kommunizieren und dadurch zu einer tiefen Heilung beitragen zu können!
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