Buddha verlangte als erste menschliche Selbstverpflichtung, sich des Tötens lebender Wesen zu enthalten, und diese Maxime schließt - anders als in der christlichen Religion - auch Tiere mit ein, denn Tiere haben Rechte.
Bedenkt man, dass es in den etwa hunderttausend Jahren der menschlichen Existenz überwiegend eine intensive, magisch- mythische Verschränkung der Lebenswelten von Tier und Mensch gegeben hat, dann erscheint einem die Entwicklung in den letzten viertausend Jahren durchaus seltsam: Tiere sind rechtlich Objekten gleichgestellt, haben den Status seelenloser Produktionsmittel und finden in den monotheistischen Weltreligionen keinen besonderen Schutz. Im Gegenteil, in der jüdisch-christlichen Tradition findet sich der bekannte Herrschaftsauftrag: „Macht euch die Erde untertan und herrscht über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht.“ Wie kam es in der Menschheitsgeschichte zu dieser verachtenden Einstellung und warum findet sich im Buddhismus eine ganz andere Beziehung zu lebenden Wesen?
Hier der Versuch, die Entwicklung dieser Beziehungsgeschichte in einer Nussschale zu fassen.
Die erste Dokumentation dieser Beziehung lässt sich aufgrund der Abbildungen von Tieren in der Höhle von Altamira in Spanien nachvollziehen. Der französische Prähistoriker Henri Breuil bezeichnete diesen Ort auch als ‚Sixtinische Kapelle der Eiszeit’. Darin finden sich fast lebensgroße Abbildungen von Bisons, Wildpferden, Wildschweinen und Hirschen. Ganz offenbar kreiste das Leben vor mehr als 15.000 Jahren nicht nur spirituell, sondern auch im Alltag um die großen Säugetiere und ihre Jagd. Diese Tiere lieferten Nahrung, Häute für die Kleidung, Knochen für Werkzeuge und Schnitzarbeiten. Menschen zogen sich in magischen Ritualen die Felle ihrer Beute über, um so die Kraft dieser Lebewesen auf sich zu übertragen. Die Forschung geht davon aus, dass es sich bei den am häufigsten abgebildeten Tieren in dieser und anderen kultisch genutzten Höhlen um Totemtiere des jeweiligen steinzeitlichen Clans handelt. Ein Totemtier ist durch Jagd- und Essverbot geschützt und die Clan-Mitglieder glaubten an verwandtschaftliche Beziehungen zwischen ihren und den Seelen der jeweiligen Tierarten.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 83: „Buddha"
Am Übergang von der Steinzeit zur Neuzeit begannen Menschen erstmals, Pflanzen und Tiere zu domestizieren. Diese Epoche gehört zu den am besten erforschten historischen kulturellen Veränderungen. Wir wissen genau, wo und wie die Landwirtschaft begann, doch bis heute gibt es die unterschiedlichsten Theorien darüber, weshalb dieser Wandel überhaupt stattgefunden hat. Vergleichende Untersuchungen bei heute lebenden Jäger- und Sammlerkulturen zeigen, dass diese nur drei bis vier Stunden am Tag für ihren Unterhalt arbeiten müssen, während in einer (nichtmotorisierten) Landbewirtschaftung mindestens acht bis zehn Stunden täglichen Einsatzes erforderlich sind. Außerdem belegen fossile Knochenfunde von Steinzeitbauern mehr Zeichen von Mangelernährung und Krankheiten als die von Jagdgesellschaften. Ob es nun die Folgen der damaligen Klimaerwärmung und der damit einhergehende Verlust offener (Jagd-)Landschaften waren oder eine Populationskrise, die zur Sesshaftigkeit zwang, unbestritten ist, dass die sogenannte neolithische Revolution durch Landbewirtschaftung und Tierhaltung Überschuss erzeugte. Dies erlaubte es, auch solche Sippenmitglieder zu ernähren, die nicht unmittelbar an der Nahrungsbeschaffung beteiligt waren. Erstmals wurde damit menschliches Potenzial frei, das den jungen Zivilisationen ‚intellektuellen Luxus’ ermöglichte: Erste Proto-Schriften wurden entwickelt, Richter, Verwalter und ‚Fachberufe’ wie Töpfer und Schmied entstanden. Schamanen wurden von ‚nebenberuflichen’ Heilern und spirituellen Leitern zu ‚hauptamtlichen’ Priestern, die mit Tieropfern die Naturmächte zu beeinflussen versuchten. Der Mensch erhob sich somit vom ebenbürtigen Antagonisten im Überlebenswettlauf zum Besitzer der Tiere.
Welche Tiere haben Rechte?
Gleichermaßen interessant wie irritierend ist die Opferung als wesentliches Glaubenselement aller alten Religionen. Kaum etablierten sich die ersten großen Zivilisationen wie die sumerische, ägyptische oder chinesische, da finden sich Hinweise auf rituelle Tier- und Menschenopfer. Während Fische, Vögel und kleine Säugetiere für den profanen alltäglichen Verzehr frei waren, war der Genuss des Fleisches großer Tiere ein religiöser Akt. Auf einem herdartigen Brandaltar wurde das Tieropfer dargebracht, von dem die Götter den aufsteigenden Duft und die Menschen das Fleisch erhielten. Durch diese Einschränkung des Fleischkonsums auf kultische Opferfeste und das Teilen mit den Göttern wollte man Entschuldung für das Töten der an sich unverletzlichen Tiere erlangen, schreibt der Archäologe Harald Mielsch. Interessanterweise bedurfte die Tötung von Wildtieren, wie zum Beispiel Hirschen, keiner religiösen Begründung, da sie – im Gegensatz zu den mit dem Menschen in Gemeinschaft lebenden Haustieren – als eine Gefährdung der menschlichen Ordnung angesehen wurden.
Der Genuss des Fleisches großer Tiere war ein religiöser Akt
Vor allem ein Kult taucht in allen jungen Religionen Europas, Afrikas und Asiens auf: die Verehrung des Stiers und der ‚Große Göttin’. Jacques Cauvin, der führende Archäologe für die Erforschung des Nahen Ostens, ortete darin den Übergang von der Tier- und Geisterverehrung zu ersten Formen der Götteranbetung. Die menschliche Frauengestalt wurde in agrarischen Gesellschaften zur Göttin der Fruchtbarkeit und ihr Partner, der Stier, stand sowohl für das männliche Prinzip als für auch die Unbezähmbarkeit der Naturkräfte. In Jäger- und Sammlergesellschaften wurden bis dahin nur Frauen und das Mysterium der Geburt verehrt. Zum ersten Mal in der menschlichen Ideengeschichte wurde im Stiersymbolismus Virilität gefeiert und – so Cauvin – ‚der Wunsch nach Beherrschung des Tierreichs verwirklicht’.
Der Kult breitete sich rasch von Anatolien über den ganzen Nahen Osten bis tief nach Asien hinein aus. So war in der frühen vedischen Gesellschaft das rituelle Schlachten von Rindern die zentrale Aufgabe der Brahmanenkaste. Ein geradezu verschwenderischer Fleischkonsum begleitete alle spirituellen und profanen Anlässe: Geburten, Heiraten, Begräbnisse, Vorbereitungen zu Kriegszügen und Siege auf dem Schlachtfeld. Als die Bevölkerung wuchs, Weideland von Pflügen durchgeackert wurde und die halbnomadische Lebensweise einer intensiven Landwirtschaft weichen musste, ging diese Periode zu Ende. Rinder begannen mit den Menschen um pflanzliche Nahrung zu konkurrieren und Rindfleisch wurde zu teuer, um es bei öffentlichen Festen verteilen zu können. In solchen Situationen erfolgt oft seitens der religiösen Autoritäten eine Tabuisierung dieses Nahrungsmittels, so zum Beispiel das hebräische Verbot, Schweinefleisch zu essen, das einem nomadisch lebenden Volk das Überleben sicherte. Denn die feuchtigkeitsliebenden Schweine wären nicht in der Lage gewesen, große Wanderungen in heißem Klima zu ertragen.
Doch in Indien konnte man die Rinderhaltung nicht einfach beenden, denn die Bauern brauchten Ochsen als Zugtiere für ihre Pflüge. Tieropfer belasteten in diesen Zeiten die Lebensverhältnisse der Landbevölkerung zusätzlich. In diesem schwierigen sozialen und ökonomischen Umfeld erschien Buddha. Angesichts der Not des Volks richteten sich seine Hauptlehren direkt gegen die damaligen hinduistischen Praktiken und er verbot die Tötung jeden Lebens. Lambert Schmithausen, Professor für Indologie in Hamburg, schreibt dazu: „Der Buddhismus nimmt sowohl für den Menschen wie auch für das Tier ein sich ständig wandelndes geistiges Kontinuum an. Dieses geistige Kontinuum kann beim Menschen zwar höhere Fähigkeiten als beim Tier entfalten, aber in beiden Fällen setzt es sich nach dem Tode einfach und gleichermaßen fort.“
Das Aufkommen des Buddhismus war junktimiert mit der Not der Volksmassen und der Erschöpfung der natürlichen Ressourcen. Bezeichnenderweise entstehen zu dieser Zeit in Indien mehrere andere kleinere Religionen, die ebenfalls Tieropfer verbieten. In der bekanntesten dieser Bewegungen, dem Dschainismus, wird in aufwendiger Art und Weise das Töten jeglichen lebenden Wesens vermieden: Priester müssen den von ihnen begangenen Weg mit Besen reinigen, damit nicht einmal winzige Insekten zertreten werden. Neunhundert Jahre lang rivalisierten Buddhismus und Hinduismus, bis am Ende die Brahmanen ein rigoroses Tötungsverbot als Prinzip übernahmen und sich sogar als Beschützer der Rinder positionierten. Buddhisten hingegen durften weiterhin Fleisch essen, solange sie nicht für den Tod des Tieres verantwortlich waren. Die gottähnliche Verehrung der Rinder war bei der Bevölkerung sehr beliebt und gewann so gegenüber dem Buddhismus gegen Ende des 8. Jahrhunderts unserer Zeit in Indien zunehmend Anhänger.
Der heutige Tierschutz ist ein Produkt der Aufklärung und der Romantik
In Europa hingegen verdrängte das dominierende Christentum jegliches freundliche Interesse an der Tierwelt. Der Kirchenvater Augustinus erklärte explizit, dass die Qualen der seelenlosen Tiere den Menschen nichts angingen und es Aberglaube wäre, Tiere nicht zu töten. Und auch heute noch ist es offizielle katholische Lehre, dass Menschen keine Verpflichtung Tieren gegenüber besitzen. Daher weigerte sich Papst Pius IX. noch in den 1950er Jahren, einen Tierschutzverein in Rom zu befürworten.
Die Idee unseres heutigen Tierschutzes ist ein Produkt der Aufklärung und der Romantik. Man empfand nicht nur mit anderen geknechteten Menschen, sondern auch erstmals in Europa mit Tieren und erhob sie langsam zu ‚Mitsubjekten’. Die ersten Tierschutzvereine wurden erst im 19. Jahrhundert gegründet. Der österreichische Historiker Peter Dinzelbacher hält dies für keinen Zufall. Denn wie hätte in den vorhergehenden Epochen, die kein Mitleid mit Menschen anderer Hautfarbe kannten, sondern sie als Sklaven hielten, mit Tieren Mitgefühl entwickelt werden sollen? Bezeichnenderweise folgte auf die Sklavenbefreiung in Amerika die Entwicklung der Tierschutzbewegung. Aber das ist eine andere Geschichte.
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