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Diskurs

Meine Hauskatze, ein Kater namens Carlo, ist es gewohnt, von mir regelmäßig um 17 Uhr gefüttert zu werden. Auch ohne die Fähigkeit, eine Uhr lesen zu können, weiß er fast auf die Minute genau, wann dieser Zeitpunkt erreicht ist.

Und ich halte mich aus ‚pädagogischen' Gründen sehr genau an diese Routine. Manchmal versucht er dennoch schon vor der Zeit, mich zu einer Fütterung zu bewegen. Dazu streicht er mit erhobenem Schwanz und gespreiztem Schwanzfell um meine Beine und stößt ein charakteristisches kurzes Miauen aus. Normalerweise ignoriere ich sein Betteln und schiebe ihn nur sanft zur Seite.

Aber als ich einmal vor meinem Laptop in einen Text vertieft am Tisch saß, sprang er zu mir hinauf, setzte sich direkt vor mich und ließ einen kurzen Laut vernehmen. Dann blickte er mir direkt in die Augen und legte mir mit einer menschlich anmutenden Geste seine Pfote auf die Schulter. Was hatte Carlo in diesem Moment gedacht? Welches Gefühl hatte ihn bei dieser Handlung angetrieben? Verhalten sich Katzen auch untereinander so oder habe ich in diesem Moment nur eine menschliche Empfindung in eine zufällige Pfotenbewegung hineininterpretiert?

Diese Art von Erlebnis und emotionaler Erfahrung haben die meisten Menschen im Lauf ihres Lebens im Umgang mit Haustieren oder bei einem Zoobesuch gemacht. Da wir Schwierigkeiten haben, tierisches Verhalten mit anderen Mitteln als unseren eigenen Empfindungen zu interpretieren, nehmen wir in solchen Situationen an, dass auch andere Lebewesen so empfinden und denken wie wir. Das ist in gewisser Weise ein Fortschritt, denn seitdem sich vor Jahrtausenden unsere westliche Kultur aus einem animistischen Verständnis der Welt gelöst hatte, galten Tiere nur mehr als unbeseelte Lebewesen. Auch die Wissenschaft sah in ihnen nur Reiz-Reaktions-Maschinen und versuchte bis ins späte zwanzigste Jahrhundert hinein, Tieren jegliches emotionale Erleben abzusprechen. Verhaltensforscher nahmen bei ihren Beobachtungen nie Gefühle bei anderen Lebewesen wahr, sondern sprachen nur von positiven oder negativen ‚Tönungen'.

Mittlerweile gibt es viele Belege dafür, dass auch Tiere eine Vielzahl unterschiedlicher Empfindungen besitzen. Doch lassen sich menschliche Gefühle auf Tiere übertragen? Erleben diese neben den sehr urtümlichen Emotionen wie Angst und Aggression auch Sorge, Glück oder Schuld? Diese Frage ist nicht nur philosophischer Natur, denn das Verständnis der Gefühlswelt bietet einen Zugang zum Intellekt, dem Bewusstsein und – in einem erweiterten organismischen Verständnis – der Seele von Lebewesen. Stand der wissenschaftlichen Diskussion ist es, dass Tiere über Gedanken und Gefühle verfügen. Beim Verständnis, was jedoch Tiere denken und fühlen, hilft ein Blick auf das Umfeld, in dem sich die Evolution der jeweiligen Tierart abgespielt hat. Alle Tiere besitzen mentale ‚Werkzeuge' zur Lösung von Problemen in ihrer natürlichen und sozialen Umwelt. Manche dieser Denkwerkzeuge sind universal und wir finden sie bei Insekten, Vögeln und Säugetieren, einschließlich des Menschen. Drei davon sind ganz zentral: Alle höher entwickelten Tiere müssen andere Gegenstände erkennen, die Anzahl von Dingen erfassen und sich zielgerichtet bewegen können.

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Manche der Werkzeuge sind spezielle Anpassungen an die jeweilige Umwelt eines Lebewesens. Fledermäuse, die im Dunkeln jagen, verfügen über ein Ultraschallpeilsystem zur Orientierung. Haie, die in lichtlosen Meerestiefen schwimmen, können die elektrischen Felder ihrer Beute wahrnehmen. Über beide Fähigkeiten verfügen Menschen nicht und wir können daher auch nicht beurteilen, wie sich diese Sinnesreize ‚anfühlen'. Dafür können Menschen als besonders soziale Lebewesen Hunderte von Gesichtern an kleinsten Unterschieden voneinander unterscheiden. Andere soziale Tiere, wie zum Beispiel Honigbienen, haben überhaupt kein Sensorium für mimische Merkmale, erkennen ihre Stockgenossinnen aber an feinsten Duftmerkmalen.

Für den Menschen ist das Wahrnehmen von Gesichtern von besonderer Bedeutung, da bei uns die Fähigkeit, andere individuell erkennen zu können, eine evolutive Überlebensnotwendigkeit war. Infolgedessen haben wir jene Areale im Gehirn weiterentwickelt, die uns jene oft nur winzigen Differenzen zwischen einzelnen Gesichtern erkennen und verarbeiten lassen. Wollen wir verstehen, wie und was Lebewesen denken, dann müssen wir ihr Verhalten aus dem Blickwinkel einer evolutiven Entwicklung und Anpassung an besondere Lebensumstände betrachten. Dazu sind sowohl unsere intuitiven Eindrücke über tierisches Verhalten erforderlich als auch die objektive, experimentelle Überprüfung.

Dazu möchte ich auf das von mir eingangs beschriebene Erlebnis mit meinem Kater zurückkommen. Als Carlo mir seine Pfote auf die Schulter legte, empfand ich seine Geste wie ein kumpelhaftes Schulterklopfen unter Menschen. So, als ob ein Freund sagen wollte: „Hallo du, gibt's du mir eine Runde aus?" Was sagt uns diese Pfotengeste über die Gefühle der Katze? Dazu müssten wir einen Blick darauf werfen, wie sich Katzen untereinander verhalten. Legen sie beim Betteln um Futter auch ihren Artgenossen die Pfote auf? Und welche physiologischen Veränderungen finden im Körper dabei statt? Treffen wir Freunde, dann weiten sich unsere Pupillen, wir ziehen die Augenbrauen hoch, heben die Mundwinkel und empfinden ein Gefühl der Freude und Verbundenheit. Dies alles findet reflexartig und unbewusst statt. Bewirkt wird dies – so der naturwissenschaftliche Zugang – durch eine Vielzahl neuronaler Impulse, die wiederum die Ausschüttung verschiedener Botenstoffe und Hormone zur Folge haben. Bei einem experimentellen Vergleich der Gefühlszustände von Mensch und Katze in einer bestimmten Situation müsste man die subjektiven Wahrnehmungen mit einer Analyse der physiologischen Zustände beider Lebewesen vergleichen.

Dies klingt zugegebenermaßen sehr mechanistisch und scheint den vielfältigen Dimensionen des Bewusstseins von Lebewesen nicht gerecht zu werden. Doch gerade in der vergleichenden Verhaltensforschung ist es leicht, sich vom Schein trügen zu lassen. Denn nehmen wir vertraute Signale wahr, dann tendieren wir dazu, dahinter bekannte Erfahrungen und Gedanken zu sehen. Bei der Erforschung des Denkens scheint es oftmals darum zu gehen, die Krone der Schöpfung im Tierreich zu lokalisieren. Meist fand dieser Vergleich zwischen Tier und Mensch statt. Der US-amerikanische Sprachphilosoph Hilary Putnam formulierte es sehr treffend: „Unsere Welt ist eine Menschenwelt, und was Bewusstsein und was kein Bewusstsein hat, was Empfindungen und was keine Empfindungen hat, was wem qualitativ ähnlich und was wem unähnlich ist, ist letztlich samt und sonders von unseren menschlichen Urteilen über Ähnlichkeit und Verschiedenheit abhängig."

Es ist gängige Meinung, dass Tiere von ihren Trieben gelenkt werden, Menschen hingegen durch ihren Geist. Wir sind rational, Tiere irrational. Für Menschen gilt der Spruch des französischen Philosophen René Descartes ‚Ich denke, also bin ich', während Tieren ein ‚Ich fühle, also reagiere ich' zugeschrieben wird. Wir setzen uns sehr anmaßend an die Spitze einer intellektuellen Pyramide, ohne Kriterien für diese Einstufung anzuführen. Und diese Position ist damit gleichermaßen wenig geistreich, weil sie Unterschiede im Denken ignoriert und nicht danach fragt, wie die unterschiedlichen Facetten des Geistes im Lauf der Evolution entstanden sind.

Anfang der 1940er Jahre löste der Biologe Donald Griffin das Rätsel, wie Fledermäuse mittels Ultraschall navigieren. Er ließ in seinen Vorlesungen gerne zwei Fledermäuse frei fliegen, um deren Fähigkeiten zu demonstrieren. Der Philosoph Thomas Nagel besuchte ihn einmal und war von Griffins Ausführungen so beeindruckt, dass er einen Essay darüber schrieb: ‚Wie fühlt es sich an, eine Fledermaus zu sein'. Er postulierte darin, dass eine objektive Wissenschaft grundsätzlich nicht in der Lage wäre, solche subjektiven Fragen zu klären. Ebenso wenig wie wir sagen können, wie es sich für diese Tiere anfühlt, das Echo von Ultraschallsignalen zu empfangen, ebenso wenig können wir wissen, wie es sich für Thomas Nagel anfühlte, diese Fledermäuse über sich fliegen zu sehen. Wir haben der Erde durch unseren Geist zweifelsohne einen erkennbaren Stempel aufgedrückt, aber wir sollten nie vergessen, dass wir diesen Planeten mit anderen ebenfalls denkenden Lebewesen teilen.

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Dr. Peter Iwaniewicz

Dr. Peter Iwaniewicz

Peter Iwaniewicz ist Biologe, Journalist und Kulturökologe. Er unterrichtet an der Universität Wien Wissenschaftskommunikation und ist Autor zahlreicher Bücher.
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