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Eine Freundin hat kürzlich erzählt, dass sie versucht, an jedem Tag ihres Lebens etwas Neues zu erleben. Während ich sie dafür verbal bewunderte, fragte ich mich gleichzeitig, inwieweit mir das gelingt. Am vergangenen Wochenende war es dann so weit.

Treue Leser und Leserinnen dieser Zeilen wissen bereits, dass ich an Samstagen und Sonntagen gerne Podcasts höre. Normalerweise bringe ich mich durch aktuelle Beiträge auf den aktuellen Stand, vor allem in den Themenbereichen, die mir nahe sind: Spiritualität, menschliches Miteinander, Kulturelles, Musik. Und glücklicherweise kann ich dabei aus dem Vollen schöpfen, denn es gibt wirklich zu allem ein Hörstück, das weiterbilden oder unterhalten will.

Am vergangenen Wochenende wollte ich mich tatsächlich unterhalten lassen. Und während ich noch darüber nachdachte, ob es vielleicht der richtige Zeitpunkt wäre, endlich nach Wochen der Abstinenz wieder einmal einen Film zu schauen, stand ich schon an meiner Stereoanlage, wo in Form eines Mobiltelefons die große, weite Welt der Podcasts lockte. Ich suchte natürlich in den Bereichen, die meine Homebase sind, doch dann wurde mir eine Art Doku-Krimi vorgeschlagen, der in meinem geografischen Umfeld spielte. Und da fiel mir meine Freundin wieder ein, und ich dachte mir: ‚Warum nicht ein Doku-Krimi?‘

Also tippte ich auf die erste Folge und legte mich auf die Couch. Normalerweise liebe ich es, mich vom Radio ins Land der Träume transportieren zu lassen, doch in diesem Fall blieb ich wach. Es war gut gemacht, spannend aufgebaut, interessante Dramaturgie. Auf Episode eins folgte Nummer zwei und drei – seitdem weiß ich, was Menschen mit dem Binge-Watching-Syndrom umtreibt. Nämlich der Drang, jede Episode einer Serie – egal ob für die Augen oder die Ohren – einfach am Stück zu konsumieren. Nach sechs Folgen war der Doku-Krimi fertig erzählt, und ich hatte in den drei Stunden auf dem Sofa eine neue Erfahrung gesammelt.

Mensch

Wäre ich nicht so ein positiver Mensch, würde die erste Erfahrung lauten: Der Mensch ist des Menschen Wolf. Vor Jahren hatte ich diesen Spruch des Philosophen Thomas Hobbes in Wittenberg an eine Wand gesprüht gesehen und mir damals versucht, auszumalen, wie das konkret aussehen könnte. Nun: Nach dem Doku-Krimi weiß ich es. Die zweite Erfahrung: Themen wie diese sind höchst süchtig machend. Denn wenn man erst einmal auf der Welle des Verdachts, der Lüge, der Ungewissheit surft, hält man irgendwann alles für möglich. Und will mehr darüber wissen. Einen Tag nach meinem Binge-Abend griff ich wieder zum Handy und stieß bei der Suche auf einen Beitrag über Whistleblower. Sie wissen schon, diese Menschen, die Geheimnisse von Firmen oder Staaten oder Menschen an die Öffentlichkeit tragen, weil sie einen Beitrag zur Beseitigung von Missständen leisten wollen. Ich tippte den Beitrag an, und schon ging es wieder los mit dem Mensch, der des Menschen Wolf ist. Und ich dachte mir: Ist es wirklich das, was ich brauche? Die Antwort kam schnell: NEIN!

Man mag mich eine Eskapistin schimpfen, die der Wirklichkeit nicht ins Auge sehen möchte, die nicht wahrhaben will, was im Namen von Staaten, Institutionen, Unternehmen verbrochen wurde und wird. Natürlich finde ich es unglaublich, wozu Menschen fähig sind, wenn sie ihrem Ego nachgeben. Beispielsweise im Sudan, wo zwei Männer eine Revolution durchbringen und bei den anschließenden Verhandlungen, wie man das Land auf die Beine stellen könnte, so ins Streiten kommen, dass es aktuell einen Bürgerkrieg im Sudan gibt, vor dem nach Angaben des UN-Flüchtlingswerks bis zu 800.000 Menschen flüchten. Da kann man als halbwegs gesunder Mensch nur den Kopf schütteln, weil es den handelnden Personen offenbar vollkommen egal ist, wer den Preis für ihre persönlichen Egotrips zahlt.

Weder beim Inhalt des Doku-Krimis noch bei der Angelegenheit im Sudan, dem Konflikt in der Ukraine oder den Details über den inhaftierten Julian Assange kann ich tatsächlich irgendetwas ändern, weil ich weder die Hintergründe kenne, noch – würde ich sie kennen – verstehen würde, wie sich ein Mensch oder eine Gruppe so verhalten kann. Daraus können Sie schließen: Ich bin keine Spielerin. Ich interessiere mich weder dafür, Menschen zu manipulieren, noch sie anzulügen oder sie hinters Licht zu führen. Körperliche Gewalt ist ebenfalls nicht die Waffe meiner Wahl. Ich bin für Reden und Zuhören, für Verständnis und Mitgefühl. Und wenn irgendwo auf der Welt jemand austickt, bin ich überzeugt davon, dass hier jemand zu wenig Gehör und Anteilnahme bekommen hat.

„Der Mensch ist des Menschen Wolf“ ist nur die halbe Wahrheit, denn Thomas Hobbes schreibt zuerst davon, dass der Mensch dem Menschen ein Gott ist. Und meint damit, dass der Mensch mit Gerechtigkeit und Nächstenliebe die Tugenden des Friedens in sich trägt, die ihn gottähnlich werden lassen. Für mich bedeutet das stets: Wir Menschen haben die Wahl. Wir können uns für das Gute oder das Schlechte entscheiden, für das tägliche Paradies oder die tägliche Hölle. Und selbst wenn es mich fasziniert hat, im Doku-Krimi kurzfristig Teil der Hölle anderer Menschen zu sein, habe ich es doch in der Hand, abzubiegen. Und mich statt für die Whistleblower für das Paradies zu entscheiden. Und bei aller Liebe für neue Erfahrungen: Das wird auch künftig so bleiben.

Weitere Beiträge von Claudia Dabringer finden Sie hier.

Bilder © Pixabay

Claudia Dabringer

Claudia Dabringer

Studium der Germanistik und Publizistik in Salzburg mit allem, was zu einer Studentenzeit dazugehört. Mehrjährige Konzentration aufs Radiomachen, bis alles durchexerziert war und das Schreiben wieder im Kopf präsent wurde. Seitdem freie Journalistin und als Fachtrainerin & Schreibpädagogin...
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