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Wie Sie vielleicht gemerkt haben, bin ich ein ziemlich zuverlässiger Mensch. Und wenn die Zuverlässigkeit Pause macht, steckt meistens Meteoriteneinschlag oder Tod dahinter. In der vergangenen Woche leider Letzteres.

Mein Vater ist gegangen. Angeschlossen an Maschinentürme und einen Monitor mit Countdown. Acht Stunden habe ich auf diesen Monitor gestarrt, der mir minütlich gezeigt hat, dass ich in absehbarer Zeit die Hand dieses Mannes loslassen werden muss, der mich so maßgeblich geprägt hat. Über zehn verschiedene Medikamente, eine Nierenreinigung und Sauerstoff waren zu wenig, um seinen Blutdruck zu stabilisieren, seinen Herzschlag in akzeptable Höhen zu wuchten. Zwei versagende Systeme in einem Körper sind zu viel für einen Menschen, der sich aufgrund von Vorerkrankungen ohnehin zunehmend nutzlos gefühlt hat.

Während ich mich dieser acht Stunden in sein Gesicht vertieft habe, war ich präsent wie selten zuvor in meinem Leben. Mein Kopf war nahezu leer, all mein Sein war fokussiert auf diese Hand, die ich gehalten und die mich gehalten hat. Gerne würde ich erzählen, welche Erlebnisse durch meinen Kopf gehuscht sind, was ich ihm noch hätte sagen wollen oder wie groß meine Trauer war, nachdem die Ärzte meine Mutter und mich auf sein Weggehen vorbereitet hatten. Doch da war nichts.

Keine der Reisen, die wir miteinander unternommen haben. Kein besonderes Gespräch, dessen Inhalt mir die Erinnerungen präsentiert hätten. Kein Geruch, kein Lied. Was allerdings im Übermaß vorhanden war: Liebe. Als liefe sie auf unsichtbaren Bahnen zwischen ihm und mir hin und her, ungeachtet der Tatsache, dass das schwache Herz schwächer und schwächer wurde. Wenn ich ein paar Minuten die Intensivstation gegen Frischluft eintauschte, fühlte ich mich kraftloser als an seinem Sterbebett. Und mir wurde klar: Das war sein letztes Geschenk an mich.

Liebe

Mein Vater war ein Mann der alten Schule. Was er sich vorgenommen hatte, behielt er im Blick. Dazu zählte seine Familie, aber auch seine Patienten und Überzeugungen. Seine Meinung änderte er nur selten und mit Zähneknirschen. Er war für viele Menschen ein Fels, privat wie beruflich. Was er sagte, hatte Hand und Fuß. Wenn er weder das eine noch das andere bieten konnte, zog er sich auf einen neutralen Boden zurück – oder er kniete sich in die Materie so hinein, bis er Hand und Fuß fand. Oder jemanden, der es für ihn tat. Niemand ging ohne Rat von ihm weg, wenn er oder sie ihn aufgesucht hatte. Darauf konnte man sich verlassen.

An Parkinson stirbt man nicht, hat mein Vater immer tröstend gesagt, doch dass er einem Menschen die Tatkraft und damit zunehmend auch die Aufgaben im Leben nimmt, hat er verschwiegen. Weil er kein Jammerer war und lieber sagte, dass es ihm gut ging. Vergleichsweise. Es ärgerte ihn fürchterlich, dass er keine Glühbirne mehr in die Fassung drehen, meiner Mutter beim Entladen des Autos nicht mehr helfen oder beim Baumschnitt nicht mehr aktiv sein konnte. Und auf den Ärger folgte die Stille. Das Abfinden damit, dass eben kaum mehr etwas ging. Außer die Grundbedürfnisse zu befriedigen und den Kater zu streicheln. Das ist selbst für einen geduldigen, demütigen Menschen wie meinen Vater ein bisschen wenig, auch wenn ich ihn immer wieder motivieren wollte, zumindest sein Gehirn mit diversen Fragestellungen zu beschäftigen. Ich hatte den Parkinson unterschätzt, er vermutlich auch.

Als ich meinen Kopf auf seine Hand gelegt hatte, um den Zeitpunkt zu erspüren, an dem er uns verließ, war nicht nur seine Liebe, sondern auch seine Ruhe auf mich übergegangen. Er hatte mir alles gegeben, was ein Vater einer Tochter schenken kann – und noch viel mehr. Und ich war dankbar für diese Wurzeln, aus denen ich treiben konnte und treiben kann. Und auch wenn ich manchmal eins und eins anders zusammengezählt habe als er, wusste ich doch immer: Wir konnten miteinander, vieles.

Mein Vater hat mein Männerbild geprägt wie kein anderer, es aber auch geklärt. Mir gezeigt, was ein Mann im besten Fall sein kann, aber auch im schlechtesten, wenn er versucht, mit sich selbst klarzukommen, vieles mit sich selbst auszumachen. Hilfe abzulehnen, wo sie vielleicht angebracht gewesen wäre und einiges verbessert hätte, nur weil das Glaubenssystem ein anderes war. Mit meinem Vater ist ein Mann mit Prinzipien gegangen. Was für mich – neben seiner Liebe – bleibt: Prinzipien dann zu hinterfragen und notfalls über den Haufen zu werfen, wenn es das Leben oder der nahende Tod es erfordern. Nichts ist so lange in Stein gemeißelt, bis der eigene Namen auf dem Grabstein aufscheint. Für meinen Vater ist es leider zu spät, für den Rest gibt es Hoffnung – immer.

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Bilder © Pixabay

Claudia Dabringer

Claudia Dabringer

Studium der Germanistik und Publizistik in Salzburg mit allem, was zu einer Studentenzeit dazugehört. Mehrjährige Konzentration aufs Radiomachen, bis alles durchexerziert war und das Schreiben wieder im Kopf präsent wurde. Seitdem freie Journalistin und als Fachtrainerin & Schreibpädagogin...
Kommentare  
# Sabine 2023-03-03 08:50
Mein herzliches Beileid!
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