Nach einigen Jahren ohne Jugend in meinem Haus komme ich nun in den Genuss, wieder in die Erlebniswelt junger Menschen eintauchen zu dürfen. Und ich kann gar nicht glauben, wie schnell sich manche Dinge in nur relativ kurzer Zeit verändern können.
Als ich meine Kinder begleiten durfte, lag mein Hauptfokus darauf, ihnen etwas zu vermitteln, was Bestand haben könnte. Denn durch meine eigene Erziehung hatte ich festgestellt, dass manche der Werte, die meine Eltern mir mitgegeben hatten, nur mehr bedingt von Nutzen waren. Das war keineswegs ihr Fehler, denn Eltern handeln immer nach bestem Wissen und Gewissen. Doch die Welt hatte sich während meines Heranwachsens so rasend schnell zu drehen begonnen, dass neue Vorgehensweisen angebrachter erschienen.
Im Alter von 19 Jahren feststellen zu müssen, dass es auch andere Sichtweisen auf das Leben gibt, als ich sie aus meiner gebirgigen Wachstumsregion mitgebracht hatte, war anfangs ziemlich spannend. Denn in diesem Alter kann man sich noch einigermaßen an Neues anpassen, sucht es häufig auch. Schließlich will der eigene Horizont erweitert werden, speziell wenn er von Bergen begrenzt war wie in meinem Fall. Und es ist natürlich auch eine Art von Rebellion, Dinge anders zu sehen und zu tun, als sie gelehrt wurden. Tirol ist schließlich nicht überall – glücklicherweise.
Im Laufe meines Lebens stellte ich allerdings fest, dass ich sehr wohl Werte vermittelt bekommen hatte, die es wert waren, weitergegeben zu werden. Speziell, als die Kinder in mein Leben kamen. Nach der rebellischen Phase meines eigenen Erwachsenwerdens wurden die Tugenden durch die neue Generation wieder auf den Prüfstand gestellt. Und vieles hielt. Zum Beispiel, dass man mit jungen Menschen tunlichst im Gespräch bleiben sollte. Geduld und Leidensfähigkeit werden dabei gehörig auf den Prüfstand gestellt, denn ich habe mir vieles angehört, was mich mit keiner Phase meines Herzens interessiert hat. Ich hatte es nie mit Computerspielen oder anderen modernen Spielzeugen, empfand mich nicht als besonders kreativ und war auch niemand, der Action viel abgewinnen konnte. Und doch nahm ich mir die Zeit dafür, weil es mir egal war, worüber die Kinder mit mir reden wollten – Hauptsache, sie redeten. Und das galt vor allem für die Burschen, die generell ja kein besonders ausgeprägtes Rede-Gen haben. Meine reden bis heute, können sich ausdrücken und mögen den Austausch.
Jetzt muss ich sagen, dass ich Glück hatte. Denn die größte Strafe für mich wäre gewesen, wenn meine Bemühungen um Kommunikation gescheitert wären. Die Kinder stumm zu erleben, unfähig, Worte für ihre Befindlichkeiten und/oder Gedanken zu finden, auch unsicher, ob das, was sie ausdrücken möchten, wohlwollend aufgenommen wird – das alles hätte mich buchstäblich mit dem Kopf gegen die Wand schlagen lassen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie bedrückend es sein kann, wenn man für die eigenen Gefühle und Gedanken keine Worte findet. Da stapelt sich etwas im Inneren, was einer die Stimmung vergällt, den Hunger dämpft, die Lebenslust massiv beeinträchtigt. Und je länger man keinen Ausdruck dafür findet, umso gefährlicher wird die emotionale Gemengelage. Ich habe glücklicherweise für mich Werkzeuge gefunden, diesen Zustand nach einer überschaubaren Anzahl von Tagen zu beenden. Doch junge Menschen haben ihren Werkzeugkasten vielfach noch nicht so gefüllt wie eine Voll50-Frau.
Deshalb glaube ich, dass einer der immergrünen Werte, die man jungen Menschen vermitteln kann, jener ist, dass Menschen miteinander im Gespräch bleiben sollten. Wohlwollend, wertschätzend, offen. Und das fällt vor allem dann schwer, wenn man zu wissen glaubt, wen man vor sich hat. Denn Schubladisierungen sind immer trügerisch. Das merke ich häufig im Gespräch mit meinen Eltern, die ich natürlich immer noch gerne als jene Gesprächspartner sehen würde, die ich als junger Mensch erlebt habe. Doch inzwischen sind Jahrzehnte vergangen, und die Herausforderung für mich war, auch ihnen Entwicklung zuzugestehen. Den Menschen in unserer nächsten Umgebung versagen wir das manchmal, weil wir einfach daran festhalten wollen, dass es wenigstens etwas gibt, das bleibt. Das ist wie mit der Religion, die für viele Menschen auch ein Feld ist, das ihnen Stabilität gibt. Doch das ist wieder eine andere Geschichte.
Anzuerkennen, dass sich unsere Kinder entwickeln, gerade in der Pubertät ihre Persönlichkeit erforschen, und immer wieder einen neuen Blick darauf zu legen, was aktuell anders ist – das ist mir durch das konstante Kommunizieren mit den Kids leichter gefallen. Weshalb dieser Wert im Umgang mit der Jugend allgemein für mich der wichtigste ist. Als Erwachsene sind wir es, die Verantwortung für unsere eigenen Gefühle und Handlungen übernehmen sollten – vor allem, wenn wir mit den Youngsters sprechen. Sie sind oft in den Stürmen ihrer Existenz gefangen, zugebenermaßen auch scheinbar egozentrisch. Doch ist es nicht nachvollziehbar, dass, wenn das Innere unaufgeräumt ist, das Äußere unweigerlich in Mitleidenschaft gezogen wird?
Kindern Werte zu entwickeln, bringt uns Erwachsene automatisch in die Situation, uns selbst zu überprüfen. Und festzustellen, dass sich manches, was wir als selbstverständlich angenommen haben, vielleicht gar nicht mehr vertretbar ist. Weil sich unsere kleine und große Welt stillschweigen weitergedreht hat, während wir noch versuchen, die Dinge zu regeln, die wir vielleicht unhinterfragt übernommen haben. Unsere Kids zwingen uns manchmal sogar dazu, das zu überprüfen, was wir ihnen an Stabilität zu bieten gewillt sind. Weil sie vielleicht etwas anderes brauchen. Die Frage ist: Können wir das? Sind wir bereit, mit dem Flow zu gehen und uns damit in eine Situation zu bringen, die auch uns in eine Art Pubertätsmentalität versetzt? Wenn wir unsere persönlichen Wertepflöcke gesetzt haben, können wir dieses Risiko ruhig eingehen.
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