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Auf dem spirituellen Weg kommt leicht der innere Anspruch auf, perfekt sein zu müssen. Wie kann ich diesem Druck entgehen und mehr Leichtigkeit finden, ohne zu verflachen?

MoonHee beantwortet hier Fragen des alltäglichen Lebens oder Fragen, die ihr schon immer einmal stellen wolltet. In ihrem ersten Beitrag „Wie geht es dir heute? Danke, gut!“ findet ihr mehr Informationen dazu.

Antwort MoonHee:

Im Tai Ji Quan heißt es: „Solide wie ein Berg, nicht zu greifen wie das Wasser und leicht wie eine Feder.“ Diese Eigenschaften beschreiben einen spirituellen Menschen vortrefflich. Doch braucht es nicht nur auf dem spirituellen Weg Disziplin und Standfestigkeit, Anpassungsfähigkeit und Leichtigkeit in gleichen Maßen, sondern in allen Dingen, die wir meistern möchten.

Menschen wollen perfekt sein. Aber weniger, weil wir den Anspruch haben, tadellos und ohne Fehler zu sein. Vielmehr versprechen wir uns durch die Perfektion die Freiheit von negativen Gefühlen. Wir glauben, wenn wir perfekt seien, hätten wir ein leichteres Leben. Unser Streben nach Perfektion entspricht dem Wunsch nach einem befreiten Leben, einem Leben ohne Leid. Wir setzen Perfektion mit Glück und Leidfreiheit gleich.

In diesem Sinne kann es aber kein perfektes Leben oder einen perfekten Menschen geben. Auch ein zutiefst spiritueller Mensch ist demnach niemals perfekt. Altern, Krankheit, Verlust und Tod erleidet auch der Erwachte. Leid gehört zum Leben wie die Nacht zum Tag. Sich dieses Leids – seines eigenen und dem der anderen – zu stellen und ihm nicht zu entrinnen, darin liegt ein perfektes Leben.

perfekt

Das Perfekte am Perfekten ist, dass es nichts braucht, um perfekt zu sein. Es muss nicht getan werden – es ist. Könnte man ihm etwas ihm hinzufügen oder etwas hinwegnehmen, so wäre es nicht perfekt. Halb perfekt oder 99 % perfekt ist nicht perfekt. 115 % perfekt ist ebenso nicht perfekt. Nicht zu wenig, nicht zu viel, das Treffen des richtigen Maßes oder der Mitte scheint perfekt; (100 %) perfekt ist keine quantitative Maßeinheit, sondern eine qualitative, die durch Ausgewogenheit natürlich gegeben ist. Denn es ist das harmonische Zusammenspiel von scheinbaren Gegensätzen, die Ausgewogenheit von Himmel und Erde, die alles perfekt ins Sein setzt. Perfektion und Harmonie sind natürliche Phänomene, die immer schon sind – solange man nicht in den natürlichen Lauf der Dinge eingreift. Der Unterschied zwischen natürlich und künstlich ist der, dass das Natürliche an sich ist und nichts von außen bedarf. Ganz im Gegenteil schadet ihm ein Mehr von außen – das Natürliche wird dann künstlich.

Da der Mensch glaubt, tun zu müssen, um zu sein, neigt er zu einem Mehr statt einem Weniger. In seinem Mehr- und Optimierungstrieb zerlegt und spaltet er – er sieht Grenzen und Trennungen, wo keine sind. Hierzu gehört auch die Trennung von Weltlichem und Heiligem, von Alltag und Spiritualität. Der spirituelle Weg ist keine Beigabe zur Welt, der durch ein Mehr von außen gegangen wird, vielmehr sind Weg und Welt eins. Die allumfassende Einheit von Weg und Welt erschließt sich nicht durch ein Hinzufügen, sondern durch Wegnahme. In der Tilgung des Zuviels, der Entleerung von Vorstellungen, Meinungen, Begrenzungen und vor allem Trennungen sind die Dinge harmonisch – nicht mehr und nicht weniger – das, was sie sind. Spiritualität ist nichts Exklusives, sondern reine innere Natürlichkeit. Indem die Dinge natürlich sie selbst sind, sind sie perfekt.

Die Disharmonie oder Unausgeglichenheit, die der Mensch mit sich selbst empfindet, entsteht dadurch, dass er sich nicht innerhalb, sondern außerhalb seines Selbst befindet – nur im Selbstsein ist alles so, wie es von selbst, ohne ein Eingreifen sein sollte. Im Selbstsein, die Selbsterfahrung ist, erfahre ich mich als der Weg selbst. Dabei werden mir alle Dinge zum Weg. Spirituelle Selbstmeisterung oder Selbsterfahrung ist Selbstbewegung. Indem ich mich selbst bewege – ohne jedoch einen Schritt zu tun (nichts hinzufügen) –, bin ich solide wie ein Berg, nicht greifbar wie Wasser und leicht wie eine Feder. Das I Ging, das Buch der Wandlungen, sagt in Vers 40 über die Befreiung: „Ohne fortgegangen zu sein, ist das Zurückkommen glückverheißend; das heißt, man erlangt die Ausgewogenheit der Mitte.“ Vom Standpunkt der Mitte sind alle Wege gleich lang oder gleich kurz. Disziplin und Standfestigkeit, Anpassungsfähigkeit und Leichtigkeit sind wesentlich ein und dasselbe. Nur außerhalb unserer Wesensnatur erscheinen die Dinge unterschiedlich – mal schwer, mal leicht.

Weitere Fragen & Antworten von MoonHee Fischer finden Sie hier.

Sie haben eine Frage? Schreiben Sie an m.fischer@ursachewirkung.com

Bilder Teaser und Text© Pexel
Bild Header © Sigurd Döppel 

Dr. phil. MoonHee Fischer

Dr. phil. MoonHee Fischer

„Was eines ist, ist eines. Was nicht eines ist, ist ebenfalls eines.“ (Zhuangzi) Jenseits eines dualistischen Denkens, im Nichtgeist, gibt es weder das Eine noch ein Anderes. Wo das Eine sich von einem Zweiten abgrenzt, ist keine Einheit, sondern Zweiheit. Die Erfah-rung des Einen – ich bin al...
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