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Wie kann ich mich davor schützen, immer Ja zu sagen, und trotzdem offen bleiben?

MoonHee beantwortet hier Fragen des alltäglichen Lebens oder Fragen, die ihr schon immer einmal stellen wolltet. In ihrem ersten Beitrag „Wie geht es dir heute? Danke, gut!“ findet ihr mehr Informationen dazu.

Antwort MoonHee:

Zu den größten Problemen und Herausforderungen unserer heutigen Gesellschaft gehört sicherlich die Ambivalenz zwischen Abgrenzung und Offenheit. Die Spannung zwischen Individualität und Konformität, zwischen Selbstverwirklichung und dem Wunsch, allen gerecht zu werden, ist deutlich zu spüren. Unzufriedenheit, Überforderung, Selbstbezogenheit, Burn-out, Depression, asoziales Verhalten, Verschwörungstheorien, Angststörungen und Süchte im Allgemeinen nehmen extrem zu. Unser modernes Leben pendelt zwischen Passivität (Konsum, Übergewicht, Netflix, soziale Medien, Gleichgültigkeit und Desinteresse) und Aktionismus (Extremsport, Gesundheitswahn, Selbstoptimierung, Gedankenkarussell, Schlaflosigkeit, Gier und Verschwendung) hin und her. Auf der einen Seite setzen wir uns selbst unter Druck, sind kaum zufrieden mit dem, was wir sind und haben, und vergleichen uns stets mit anderen; auf der anderen Seite neigen wir zu Selbstgefälligkeit und Ignoranz, wissen vieles besser und die anderen sind die Bösen oder Blöden. Hin und hergeworfen leben wir ein Leben zwischen Minderwertigkeitskomplexen und Überheblichkeit.

In unserer Zerrissenheit bilden Inneres und Äußeres kein harmonisch sich bereicherndes Miteinander mehr, sondern stehen in direkter Konkurrenz zueinander. Wenn das eine, dann nicht das andere. Die Angst, zu kurz zu kommen, in der Masse unterzugehen oder übervorteilt zu werden, wiegt gleich schwer der Befürchtung, nicht dazuzugehören, nicht anerkannt oder nicht geliebt zu werden. Wie oft sagen wir Ja zu etwas, was wir eigentlich nicht wollen, oder sagen Nein zu etwas, was wir eigentlich wollen? Das Gleiche gilt für unser Handeln und Fühlen. Wir tun Dinge, die wir nicht wollen, und tun Dinge nicht, die wir wollen. Ebenso kreieren wir Gefühle, die uns nicht guttun, und versperren uns Gefühlen, die es täten.

Die moderne Welt scheint global und offen. Doch der Mensch in ihr ist es nicht. Verzweit und gefangen in sich selbst ist der moderne Mensch weder frei noch offen. Da Offenheit und Freiheit einander bedingen, kann es ohne das eine das andere nicht geben. Nur in einer offenen Freiheit oder freien Offenheit können wir wahrhaftig – selbstbestimmt und authentisch – entscheiden und agieren. Alles andere ist nicht Freiheit und Offenheit, sondern Unfreiheit, Zwang und Einschränkung. Das Resultat ist Angst.

Nein sagen

Angst, ganz gleich, wie sie sich ausdrücken mag, ist immer Verschlossenheit und Begrenzung: Die Begrenzung unseres Selbst, unserer Potenziale und Fähigkeiten, unseres Glaubens, unseres Vertrauens etc. Sich zu ängstigen, bedeutet, Grenzen zu ziehen! Oder anders gesagt: Angst gleich Trennung, gleich Abspaltung. Dort, wo die Angst regiert, sind wir Teile und nicht Einheit. Aus diesem Grund fühlen wir uns klein, unvollkommen und minderwertig. Doch ist es gerade die Angst, die uns aufzeigt, dass uns etwas fehlt – nämlich Ganzheit. Statt Ganzheit herrscht das Gefühl des Mangels. Und dieser macht uns glauben, dass wir uns schützen müssten. Das Bedürfnis nach Schutz und Abgrenzung wächst proportional mit dem Gefühl der eigenen Entfremdung, der Trennung zu sich selbst, die wiederum die Entfremdung zu anderen nach sich zieht. Selbstentfremdung führt zu Beziehungsstörungen. Denn leben wir keine gute Beziehung zu uns selbst, so bleiben wir auch anderen gegenüber unverbindlich.

Auch wenn die Angst auf etwas im Außen gerichtet ist, sind es immer wir, die Angst haben, und wir sind es, denen die Angst gilt – da wir in der Angst in uns selbst gefangen sind. Gefangen in uns selbst leben wir ein selbstbezogenes, von unserer Umwelt distanziertes Leben. Aus Selbstbegrenzung wird Selbstbezogenheit. Was paradox erscheint, ist jedoch der ganz normale Versuch, wieder ganz zu werden; dort zu füllen, wo Leere ist, nur auf eine fehlgeleitete, entfremdete Weise. Denn was begrenzt ist, kann nur durch Aufhebung von Grenzen und Trennungen wieder ent-grenzt werden. Ganzwerdung geschieht durch Einheit und nicht durch Teilung und Abspaltung. Da Einheit unsere ursprüngliche Selbstnatur ist, ist unser Dasein auf Fülle und Verbundenheit ausgerichtet. Der Weg der Fülle ist jedoch nicht der Weg des Hedonismus oder des Egoismus, es ist der Weg des Einklangs. Hier gibt es weder Einseitigkeit noch Ablehnung. Einklang bedeutet ein Ja und kein Nein. Solange wir jedoch noch schutzbedürftig sind und Grenzen ziehen, meinen wir nicht wirklich Ja, sondern Nein. Das Problem unserer Probleme ist, dass wir uns offener geben, als wir es tatsächlich sind. Hinter einem Ja versteckt sich allzu oft ein Nein. Würden wir uns selbst und unser Leben aufrichtig bejahen, verspürten wir kein Verlangen, uns vor anderen zu schützen. Aber da wir nicht eins mit uns selbst sind, sind wir es auch nicht mit der Welt. Einheit und Ganzheit schließen den anderen ein und nicht aus.

Sicherheit und Souveränität erringt man nicht durch Abwehr, vielmehr sind sie gegeben, wenn wir dem Leben und der Welt mit offenen Armen, ohne Vorbehalte und Misstrauen, entgegentreten. Erst indem wir Grenzen und Trennungen loslassen, schwinden auch unsere Ängste, und nur dann – jenseits von Selbstbegrenzung – erfahren wir uns wahrhaftig selbst. Im wahren Selbstsein oder Ganzsein erkennen wir: Es gibt nur ein Selbst; mein Selbst ist universelles Selbst. Hier ist wirklich eins, was eins sein sollte. Damit wird jeder Schutz hinfällig. Denn wenn Einheit ist und alles mit allem verbunden, wer muss sich dann vor wem schützen?

Dass wir unsere eine Selbstnatur nicht als solche empfinden, liegt daran, dass unser Ja noch kein absolutes ist. Vielleicht wird alles viel-leichter. Doch wollen wir Gewissheit und dauerhafte Leichtigkeit in unserem Leben, so muss aus dem Nein, Vielleicht oder Jein ein bedingungsloses Ja werden – zu uns selbst und somit zur Welt. Denn das eine bedingt das andere. Trennungen sind nicht Wirklichkeit. Sie sind lediglich die Schatten unserer Ängste. Lassen wir von ihnen los, bleibt nichts als Offenheit – in der wir uns in allem, was ist, immer selbst begegnen.

Weitere Fragen & Antworten von MoonHee Fischer finden Sie hier.

Sie haben eine Frage? Schreiben Sie an m.fischer@ursachewirkung.com

Bilder Teaser und Text© Pexel
Bild Header © Sigurd Döppel 

Dr. phil. MoonHee Fischer

Dr. phil. MoonHee Fischer

„Was eines ist, ist eines. Was nicht eines ist, ist ebenfalls eines.“ (Zhuangzi) Jenseits eines dualistischen Denkens, im Nichtgeist, gibt es weder das Eine noch ein Anderes. Wo das Eine sich von einem Zweiten abgrenzt, ist keine Einheit, sondern Zweiheit. Die Erfah-rung des Einen – ich bin al...
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