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Ich bin sicher, darüber schon einmal gesprochen oder geschrieben zu haben. Jedoch drängt es mich heute, es wieder zu tun. Ich glaube fest daran, dass wir Teile in uns tragen, die wir so gut verstecken, wie wir nur können – das meiste davon ist uns unbewusst.

Jedoch lässt sich trainieren, sich Dinge bewusst zu machen – durch Beschäftigung mit unseren Träumen, mit guter Literatur, in der Liebe, in der Psychoanalyse, Kunsttherapie und Tiefentherapie. Lassen Sie mich Beispiele finden: Wenn wir etwa nichts mit Wohnungslosen zu tun haben wollen, noch nicht einmal genau hinschauen können oder wollen, weil wir zutiefst verabscheuen, was wir sehen: ein vollständig von der Gunst anderer abhängiges, bettelndes, schmutziges Wesen, das entweder in Sucht und/oder in Gedanken verstrickt, zu nichts nütze ist. Wie kann das sein, dass eigentlich so freundliche Wesen, wie wir es doch sind, dann auf solche Gedanken bar jeder Barmherzigkeit verfallen?

Fast das Gleiche lässt sich auch über Flüchtlinge sagen. Sie werden ja nicht in der Blüte ihres Lebens gezeigt, in ihrem Dorf, lachend, verbunden mit anderen, anständig gekleidet und einer sinnvollen Tätigkeit nachgehend, Musik machend, Babys versorgend, sondern auf oder nach der Flucht vor Krieg oder nach Situationen, in denen Menschen ihre Lage ausnutzten: verängstigt, vielleicht verfroren oder ausgehungert, mit schmerzenden Wunden und mehrmals knapp überlebt habend. Wenn wir ein paar Tage ohne Duschen, anständige Klos, Essen und fließendes Wasser leben müssen, sehen wir bald genauso aus.

Die Frage ist: Warum macht uns dieses Wissen nicht milder, mildtätiger? Ich glaube, dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen wollen wir nicht erinnert werden an das offensichtliche Elend anderer, weil wir unser Leben dann nicht mehr sorglos genießen können. Zum anderen fühlen wir uns schuldig, wissen ein wenig über soziale, politische Verstrickungen und Gewaltverhältnisse: Haben wir vielleicht unwissentlich dazu beigetragen? Wir fürchten die Frage, fürchten die Antwort. Meines Erachtens lautet die Antwort: Wir spiegeln uns in diesen ausgesetzten, verstoßenen, vielleicht unangenehm riechenden Menschen, und etwas in uns erinnert sich der Zeit, wo wir selbst ein gierig trinkendes, vollkommen abhängiges Baby waren, in unserer vollgekackten Windel liegend, bis jemand uns erlöste: schimpfend oder liebevoll. So abhängig, wie Menschenkinder es sind, reagieren wir auf jedes liebevolle, zärtliche Wort, aber auch auf jede vernichtende, abschätzige Äußerung: Unser Körper zieht sich zusammen, wir frieren, haben Angst. Wenn wir mehrfach lieblos behandelt werden, kann und wird es wahrscheinlich so weit kommen, dass wir uns bald selbst verabscheuen bzw. die unkontrollierbaren Regungen unseres Körpers und alles daran setzen werden, diese zu kontrollieren. Unverhältnismäßig viel Energie wird genau dahin fließen: nach außen die zu sein, die wir schon sein sollten, als wir es gar nicht konnten. Den Bedürfnissen der Großen angepasst, statt uns unseren eigenen Ausdruck zu verleihen. Dies bringt uns Anerkennung von vielen, vor allem von bestimmten Vorgesetzten, die unsere Sauberkeit, Unauffälligkeit, Bedürfnislosigkeit, Pünktlichkeit schätzen und uns dafür loben, wie gehorsam wir sind.

Ein eigentlich gutes Leben, könnte man meinen. Wenn da nicht ein Leiden an Unlebendigkeit wäre, man könnte auch sagen, an dem Gefühl, dass einem irgendetwas fehle …Und jetzt kommt es: Dafür werden die anderen jetzt verantwortlich gemacht. Die, die sich nicht beherrschen können, die ihr Leben nicht auf die Reihe kriegen. Die keinen Job machen, wie man es selber doch auch macht. Die Viel-zu-früh-Erwachsenen werfen den anderen vor, nicht erwachsen werden zu wollen. Sollen sich die Bettler doch einen Job suchen! Die Flüchtlinge zurückgehen in ihr Land und sich zufriedengeben, wie man es auch tat und tut. Sollen die Schmutzigen sich doch einfach mal waschen, aber wahrscheinlich stört es sie gar nicht, sie lieben eben den Schmutz, und wenn man sie berührte – o Gott: Man könnte angesteckt werden von tausend Krankheiten und sie noch auf Ideen bringen, sie hätten unsere Liebe verdient! Wir hatten sie ja selbst nicht verdient, diese Liebe, als wir Babys, Kleinkinder und Teenager waren! Als wir Dummheiten machten, um Verzeihung baten, uns in den Schlaf weinten!

Unberührbaren

Mir scheint, dass leider noch immer „Erziehungs“-Praktiken am Werk sind, die der Einfühlung für die ganz Jungen, für die Schwachen (Kranke, Alte, Fremde) völlig entbehren. Wenn uns dann eine*r begegnet und im „falschen Moment“, dann mag eine Säule von Aggressivität hochsteigen, von so lange unterdrückter Wut über die eigenen erlittenen Ungerechtigkeiten, dass wir innerlich oder äußerlich auf die langsame und unbeholfene Person vor uns schimpfen und sie antreiben, der bettelnden Person ein paar belehrende Ratschläge geben, der geflüchteten Frau einen verächtlichen Blick zuwerfen, weil sie ihr Leben einfach nicht im Griff hatte oder hat. Sind wir etwa Mutter Theresa? Wozu ist der Staat da?

Es geht hier nicht um Moral, oder höchstens in zweiter Linie. Worum es mir geht, ist zu erkennen, dass wir immer uns selbst sehen, irgendeinen gemobbten, tief beschämten Teil von uns. Einen, der Schuld auf sich geladen hat, über die wir niemals sprechen könnten. Einen, für den wir uns so schämen, weil niemand das von uns denken würde. Einen, der wie Hiob im Erdloch gehockt und Gott mit Rotz und Wasser angeschrien und angefleht hat, ihm endlich zu Hilfe zu eilen. (Aber Leute wie wir, wie diese frühen „Erwachsenen“, würden Religion eher ablehnen, weil sie etwas für Weicheier und Kleinkinder ist.)

Wenn wir fürchten, dass etwas von dem oben Beschriebenen auf uns zutreffen könnte, ist eine Beratung oder Therapie zu empfehlen. Warum, wir sind noch nicht verrückt? Stimmt – und auch nicht. Verrückt machend sind Erziehungsmethoden und traumatisierende Ereignisse, wie Verfolgung, Armut, Hunger, Folter, Krieg, weil sie oft in uns das Einfühlungsvermögen abtöten, gegenüber uns selbst und gegenüber anderen. Das mag uns nicht gefallen, ist aber trotzdem so. Psychologie ist eben auch eine Wissenschaft. Manche überleben damit leichter als andere. Eine Bilanz können wir jedoch erst am Ende unseres Lebens ziehen.

Wie steht es um uns? Halten wir uns selbst für unberührbar in den beschriebenen Lebensäußerungen? Glauben wir insgeheim, dass jede Gesellschaft ihre „Unberührbaren“ braucht und sie damit immer wieder selbst kreiert? Um sich höher, besser zu fühlen? Glauben wir aus tiefstem Herzen, dass es auch auf uns und unsere Kinder ankommt, wie viel Mitgefühl und Erbarmen wir auch für diejenigen aufbringen, die anders aussehen als wir, anders sprechen, anders essen, anders beten, anders leben?

Ich glaube, dass wir informieren können über solche Zusammenhänge und unsere Kinder schon früh mit unterschiedlichsten Menschen, Personen von verschiedenen Kulturen und Herkünften spielen und aufwachsen sollten, und wir selbst sind natürlich mit gemeint. Die nationalen Grenzen haben keinen Sinn mehr, liebe Freundinnen und Freunde, siehe COVID und Klimakatastrophe. Ich rufe hiermit das Jahrhundert der Berührbarkeit aus!

 

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Monika Winkelmann

Monika Winkelmann

Monika Winkelmann, geboren 1952, Mutter einer erwachsenen Tochter, geschieden seit 2019, hat 1980 mit 28 Jahren ihr erstes Meditationswochenende in Hamburg besucht. Diese tiefgreifende Erfahrung sowie ihr Leben als Alleinerziehende der Tochter Lisa, geb. 1984,  bewirkten, dass sie viele Jahre a...
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