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Eigentlich wollte ich ja über das Thema Bewertungen schreiben, doch nun wurde in den Raum gestellt, dass ich eventuell überfordert sein könnte. Was mich im Grunde doch wieder zum Bewerten bringt.

Ich freue mich immer über die Rückmeldungen zu meinen freitäglichen Ergüssen, denn ins Schwarze, wahlweise Blaue hinaus zu schreiben, ist nur bedingt zufriedenstellend. Schließlich sind Blogbeiträge Einladungen zum Exkurs, entweder sprachlich oder zumindest gedanklich. Entweder zwischen Lesern und Schreiberin oder auch gerne im inneren Monolog. Und irgendwie wusste ich es in den letzten beiden Wochen, dass meine Zeilen auf Resonanz stoßen würden.

Erinnern wir uns an meine sprachlichen Ausschweifungen über das zusammenpassende Unterwäscheset. Während mein lokales soziales Umfeld mit viel Humor darauf reagierte, lösten meine Zeilen anderswo Stirnrunzeln und Geringschätzung aus. Eine Leserin meinte, ich hätte den Text für eine Frauenzeitschrift verfassen können, aber doch nicht für eine Plattform für buddhistische Perspektiven, auf der seit 2016 der FREITAG original erscheint. Vor Jahren hatte mir einmal jemand angeboten, seine Beziehungen spielen zu lassen, damit ich bei einer der heimischen hochglänzenden Frauenzeitschriften schreiben könnte. Damals habe ich das abgelehnt, weil mir eine Jobvermittlung durch die Einnahme von Vitamin B schon immer zuwider war. Wenn ich heute höre, dass ich wie eine der Hochglanzkolleg*innen schreibe, bin ich so gelassen geworden, dass ich das durchaus als Gewinn sehe, dass ich zumindest zielgruppengerecht schreibe. Stichwort Gelassenheit: Für mich ist das eine Eigenschaft, die ich durch die Beschäftigung mit buddhistischen Perspektiven durchaus kultivieren konnte. Insofern bin ich doch nicht so falsch an diesem virtuellen Ort.

Weniger gewinnbringend, dafür umso wertender empfand ich eine Aussage über das unterirdische Niveau meines FREITAGs. Nun muss ich sagen, dass sich gerade halb Österreich über einen Fernsehmoderator echauffiert, dessen Sakko spannend geschnitten war und eben spannte. Ich habe mir die Nachrichtensendung nicht angesehen, doch ich bin sicher, dass es zwischen dem ersten Anblick des gespannten Sakkos und dem Abspann, wo der Moderator ankündigte, ein bisschen weinen zu gehen, doch einiges an Informationen gab, die den einen oder die andere betroffen hätten machen können. Und doch wirbelte das Moderatorensakko unglaublich viel virtuellen Staub auf. Ich könnte in diesem Zusammenhang auch sagen, dass manche Menschen wirklich keine größeren Probleme haben, als ihren Modegeschmack beleidigt zu sehen. Ich könnte den Moderator bewerten, zu dem ich natürlich eine Meinung habe. Ich könnte aber auch den Kopf schütteln und mich den Dingen zuwenden, die ich für wichtig erachte. Und genau das ist der Punkt. Wir Menschen verteilen unsere Wichtigkeiten nach unserem persönlichen Gutdünken. Für die einen bricht eine Welt zusammen, wenn auf einen heißen Tag ein Gewitter folgt. Für die anderen bricht sie zusammen, weil sie statt fünf Sorten Tomaten nur drei in den Supermarktregalen vorfinden. Und die Dritten ärgern sich über Flüchtlinge, Amokläufe und die mangelnden Maßnahmen gegen den Klimawandel. Wenn wir uns lieber darauf beschränken, andere und ihr Tun zu bewerten, als eigenes in die Welt zu bringen, wird bald nichts mehr passieren. Oder die Gesellschaft wird in Aktive und Passive gespalten, was dem großen Ganzen mitnichten dient.

Bewertungen

Spaltung war in der vergangenen Woche das Thema meiner verschriftlichten Gedanken. Und diese Ausführungen haben offenbar dazu geführt, dass ich überfordert rübergekommen bin. Der erste Gedanke war: „Ich bin nicht überfordert!“, doch den ersten Gedanken sollte man in meiner Welt gleich einmal verwerfen. Denn da spricht das Ego, das sich angegriffen fühlt, weil sich jemand ein Urteil erlaubt hat. Und ja, jemanden als überfordert einzuschätzen, hat einen bewertenden Charakter. Doch der zweite Gedanke war einer, der mit den Anregungen konstruktiv umgehen wollte. Der dem Gegenüber sachlich begegnen wollte, weil in dem Kommentar – übrigens dem eines Mannes – sehr viel Freundlichkeit steckte. Ich mag es, wenn Männer eine wöchentliche Kolumne lesen, die sich mit dem Alltag einer 56-jährigen Frau beschäftigt. Und ja, diese 56-jährige Frau ist tatsächlich manchmal überfordert. Treue Leserinnen und Leser werden das immer wieder zwischen den Zeilen gelesen haben. Denn unsere Welt fordert uns. Sie fordert uns auf, ihr zu begegnen, uns mit ihr auseinanderzusetzen, sie in unser Inneres zu implementieren. Nicht alles, aber vieles. Und das ist anstrengend, vor allem, weil es nicht immer gleich flutscht. Eine vierte Impfung ist für mich genauso wenig ein handlungsmäßiger Selbstläufer wie Zeitmanagement oder eine Fernbeziehung. Auch die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine, mangelnde Achtsamkeit oder eine Krankheit von geliebten Menschen schlüpfen nicht einfach in mein System. Da muss ich nachdenken, da muss ich verstoffwechseln, da will ich einen Weg finden. Und das ist fordernd, manchmal auch überfordernd. Weil die Zeit oft nicht reicht, das abzuarbeiten, was vor den eigenen Füßen passiert UND gleichzeitig das große Ganze zu behirnen.

Der einzige Weg aus dieser temporären Überforderung ist, manchmal alle Fünfe gerade sein zu lassen. Manchmal ein Thema oder eine Aufgabe auf morgen zu verschieben oder eine Herausforderung auszusitzen. Kurz: Gelassenheit zu kultivieren. Denn was frau mit 56 tatsächlich braucht, ist Zeit zum Durchatmen. Und das Atmen ist ja auch aus buddhistischer Sicht ein gutes Werkzeug, um sich zu distanzieren. Von den eigenen Gedanken, aber auch jenen der anderen. Und vor allem, wenn man versucht ist, andere zu bewerten. Schließlich sollte man erst in den Schuhe eines anderen Menschen gehen, um sich eine Meinung erlauben zu können. Und selbst wenn man das getan hat, ist Freundlichkeit immer noch das Gebot der Stunde. Denn in meiner Welt gibt es keine schlechten Menschen, sondern höchstens fragwürdige Verhaltensweisen. Und mit Fragen hat sich schon vieles geklärt. Was mir am Buddhismus immer sehr gut gefallen hat, ist: Es gibt so viele Möglichkeiten, in der Praxis zu üben. Und diese Praxis sieht eben für jeden Menschen anders aus.

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Bilder © Pixabay

Claudia Dabringer

Claudia Dabringer

Studium der Germanistik und Publizistik in Salzburg mit allem, was zu einer Studentenzeit dazugehört. Mehrjährige Konzentration aufs Radiomachen, bis alles durchexerziert war und das Schreiben wieder im Kopf präsent wurde. Seitdem freie Journalistin und als Fachtrainerin & Schreibpädagogin...
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