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„Von der Offenlegung des japanischen militaristisch missbrauchten Zen über das Zen für Führungskräfte zum nüchternen ‚Alltags-Zen‘“

Das EGO

Als ich jung war, wusste ich nicht, dass ich ein „Ich“ hatte. Ich war einfach ich. Erst später, mit der Begegnung mit den freudschen Theorien, kam so etwas wie eine Ahnung auf. Es entstand etwas wie Gewissheit, als ich mit spirituellen, religiösen Kontexten in Berührung kam. Da erfuhr ich, dass ich ein Ich habe – besser gesagt, ein EGO – und dass dieses neurotisch, minderwertig und mit Schuld beladen sei. Jedenfalls sollte ich es unbedingt loswerden, weil es angeblich immer im Weg steht, die Sicht auf die Wahrheit verstellt und daran schuld ist, dass ich nicht loslassen kann. Aber ich konnte dieses EGO nicht ausmachen, es war nicht zu finden. Ich konnte nur die Folgen von diesem EGO spüren, was unter anderem darin bestand, dass die Gewissheit wuchs, dass ich mich nicht genügend anstrengte. Ich lernte, auf das EGO zu schauen. als wäre es ein Ding in mir. Das EGO steht im Weg zur Erlösung am „anderen Ufer“, im Weg zurück zur „reinen oder wahren Quelle“, zum Paradies. Es will festhalten, will beharren und damit beweisen, dass es der Herr bzw. die Herrin im Haus ist. Allen Lehren, dass es ein Ich nicht gibt, zum Trotz.
„Wo EGO war, soll Nicht-Ich werden.“ Grundsätzlich scheint zu gelten: „Die Negation des Schlechten wird per se das Richtige ergeben.“ Vom EGO zum „Nicht -Ich“ ergibt das „gute Ich“. Das „gute Ich“, das „wahre Selbst“ oder wie dieses Erlöstsein im Terminus der Erlösungs- und Erleuchtungsfahrzeuge sonst noch gern genannt wird, hat die Eigenschaft, sich selbstlos unterzuordnen. Die Erfindung von Begriffen wie „Nicht-Ich“, „Nicht-Denken“, „Großer Tod“ und Ähnlichem ist ein Versuch, das Unsagbare und damit nicht Denkbare zu benennen. Wer das erkennt, der erkennt, dass sein Leben spirituell auf null gestellt ist. Das bedeutet, völlig nackt zu sein, wie eben erst geboren und damit völlig offen den dominierenden Verhältnissen ausgeliefert zu sein.

Die Entstellung

Das „nackte Zen“ lässt sich ohne Mühe in jede religiöse Form einpassen, und damit lässt sich eben diese als absolute Form legitimieren. Wie später zu zeigen ist, lässt sich dieser Satz ebenso leicht als spirituelle Wahrheit in ideologische, politisch nationalistische Erregtheit fugenlos einfügen. Wo „Nicht-Ich“ geworden ist, herrscht Befreiung von Leben und Tod. Wo diese Befreiung erreicht worden ist, kann man seinen Mann/ihre Frau im Kampf und furchtlos im Krieg stehen. Speziell in der japanischen Zen-Schulung kam und kommt die militärische Menschenformung zu ihrer vollkommenen Ausprägung.
Brian Daizen Victoria, ein in Japan ordinierter Soto-Zen-Priester, hat in einer aufsehenerregenden Studie die Verquickung des japanischen Zen mit Nationalismus und Krieg nachgewiesen. Unter dem Titel „Zen, Nationalismus und Krieg“ ist das Buch 1999 in deutscher Übersetzung im Theseus Verlag erschienen. Das Titelfoto zeigt Mönche des Eiheiji, einem der beiden Soto-Haupttempel, in ihren Mönchskutten mit geschultertem Gewehr bei ihrem militärischen Training. Die Idee der „Aufopferung des Selbst“, als Konzentrat des buddhistischen Beitrags zum Geist Japans, wirkt bis heute fort. In der Metamorphose des Zen vom „Kodo Bukkyo“, des kaiserlichen Weg des Zen, bis zum heutigen „Zen für Manager“ wird sichtbar, dass Zen immer wieder instrumentalisiert wird zur Formung und Erziehung des Menschen für die Einpassung in ein bestimmtes gestähltes, selbstloses Menschenbild. Dieses Manager-Zen schloss sich 1945 in Japan nahtlos an das Soldaten-Zen an und schlug im Westen, namentlich in den USA, aber auch in Europa, schnell Wurzeln.
Wenn man in Google einen Begriff wie zum Beispiel „Zen für Führungskräfte“ eingibt, wird man überrascht sein, wie viele Angebote es gibt, wie viel Geld dafür verlangt wird.
Es ist wichtig, auf dieses Phänomen aufmerksam zu machen, da das, was die meisten von uns unter „Zen“ zu verstehen gelernt haben, mit diesen Entwicklungen nichts zu tun hat. Ein dem Zeitgeist entsprechendes lukratives Zentrum für ein Unternehmer-Zen hat mit Absichtslosigkeit nichts mehr zu tun. Dieses findet seinen Ursprung im japanischen Werdegang des Zen, sowohl des Soto als auch des Rinzai.
„Selbstaufopferung beinhaltet die Aufgabe dessen, was der Buddhismus als das Kleine Selbst bezeichnet, zum Wohle einer größeren Sache …“ (ebd. S. 95) Dazu Shaku Soen (* 1860), ein Roshi der Rinzai-Schule: „Die Kraft, die durch das Zen-Training entsteht, kann in militärische Macht, in eine gute Regierung und dergleichen mehr umgewandelt werden. Sie lässt sich praktisch bei jeder Art von Vorhaben nutzen.“ (ebd. S. 146) Aussagen von Persönlichkeiten wie Dogen wurden mit Leichtigkeit in das kaiserliche Zen eingebettet. Das bekannte Dogen-Wort: „Das Buddha-Dharma zu studieren bedeutet, das Selbst zu studieren. Das Selbst zu studieren bedeutet, das Selbst zu vergessen. Das Selbst zu vergessen bedeutet, Körper und Geist zu vergessen.“ (Shobogenzo, „Genjokoan“) Auch der alte chinesische Meister Nan-chüan (jap. Nansen, 748–835) wurde eingespannt mit dessen Satz „Der gewöhnliche Geist ist der Weg“ hin zu „Das eigene Leben zu opfern, um die Rebellen zu vernichten, ist der gewöhnliche Weg. Sich für den Kaiser zu opfern, ist der gewöhnliche Geist.“ Hier wurde die klösterliche Zen-Übung zu einem Kaiser-Zen und sogleich zu einem Soldaten-Zen transformiert. Erst 1992 entschuldigte sich die Soto-Schule für ihre Rolle während des Krieges, während die Rinzai-Schule bis heute nicht bereit ist, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen (vgl. Daizen Victoria, „Zen, Nationalismus und Krieg“).
Dies betrifft übrigens jede Form organisierter Religion. Die Friedensbemühungen blieben und bleiben bestenfalls Randerscheinungen der Geschichte. Keine Religion, auch die buddhistische nicht, ist frei von fundamentalistischen und gewaltsamen kriegerischen Ausbrüchen. Gebetsnächte, Zazen-Perioden für den Frieden in der Welt sind romantische Übungen, die Trost für die Praktizierenden spenden in dem Glauben, sie wirken tatkräftig mit, eine bessere Welt zu schaffen. Tatsächlich hat das bis heute nichts am Ausmaß des Leids der Welt geändert. Was es aber bewirken kann, auch das ist wichtig zu betonen, ist die Befriedung des eigenen „Selbst“.

Übendes Zen-Leben

Für jemanden, der durch ein „Nicht-Tor“ im „Nicht-Irgendwas“ angekommen ist, werden alle „Nichtse“ bedeutungslos und überflüssig, unwichtig. Wie eine Gehhilfe, die man in die Ecke stellt, wenn man sie nicht mehr braucht. Für alle anderen sind diese Begriffe wie Nebelgranaten. Allein die semantischen Schwierigkeiten, die sich beim Übersetzen der Schriftzeichen aus dem Chinesischen ins Deutsche ergeben, besonders wenn man weiß, dass das gleiche Schriftzeichen je nach Kontext Unterschiedliches bedeuten kann, ergeben vage Begriffe. Die „Nicht-XXX“-Begriffe sowie der in Mode gekommene Brauch, überhaupt Begriffe aus fremden Sprachkulturen zu benutzen, sorgt für eine Pseudoinsiderkommunikation.
Wie schon im Mu Gen Nr. 54 zitiert „Überlasse dich der innersten Natur … sei mit deinem ganzen Herzen dabei …“, geht es um alltägliches Leben. Es geht darum zu begreifen, dass das Leben eine kreative Handlung ist, unabhängig davon, wie schwierig und herausfordernd die Umstände auch sein mögen.
Übendes Zen-Leben ist zu verstehen als alltäglich zu übende Praxis im Sitzen, Stehen und Liegen, also in meiner Lebenspraxis. Statt so vor sich hinzuleben, wird das Leben plötzlich lebendige Praxis, und alles ist schon da, vor Augen, wie es heißt. Jedoch nicht getrennt von mir, sondern als mein eigenes Leben, meine eigene Welt, die jeden Augenblick neu entsteht. Dazu braucht es keine „Geheimsprache“, keine Verklausulierungen und keine Konzepte. Dazu gehören auch die Konzepte von Transzendenz oder Mystik.
„Zen-Weg“, mir scheint, dass es unerlässlich ist, immer wieder darauf hinzuweisen, diesen als Lebenspraxis der Besinnung, Vertiefung, Verinnerlichung und Meditation des alltäglichen Lebens zu verstehen und nicht als religiöse Methode zur Erreichung eines wie immer gearteten transzendenten Ziels.
Aus dieser Perspektive lässt sich der „Zen-Weg“ als das lange Ringen um eine erträgliche Ankunft auf dem Boden der Tatsächlichkeit beschreiben – mit einem Mehr an mitgebrachter Durchlichtung. Wofür? Um die Dinge, wie sie sind, erfassen zu können, sich ihnen zu stellen und die unvermeidlichen Lebensvollzüge auszuführen, wie sie in der eigenen Lebenspraxis eben auszuführen sind, ohne wieder tiefer in die alltägliche Verdunkelung der eigenen Meinungen zu geraten.
Joshu fragte seinen Meister Nansen: „Was ist der wahre Weg?“
„Der alltägliche Weg ist der wahre Weg“, erwiderte Meister Nansen. (Wu-Men Kuan, Beispiel 19)
Immerhin – das als Erlösung oder Erleuchtung definierte Ziel fungiert gleich einem Magnet, der vom leidvollen und gequälten Hier der inneren Verhältnisse zum erlösten unmittelbaren Dort der Gegebenheiten zu ziehen vermag. Welcher Mensch würde es sonst auf sich nehmen, aus den zwar verblindeten, aber immerhin gewohnten eingespurten alltäglichen und mit allen möglichen Schutzstrategien ausgestatteten Verhältnissen auszuscheren und einen neuen, nicht weniger mühevollen Kurs einzuschlagen. Einen mühevollen Kurs mit ungewissem Ausgang, aber dafür mit einem übervollen Konto an Erlösungshoffnungen und genügend Wegzehrung an Ermunterungen verschiedenster Art, welche die begleitenden Bergführer in Sachen Gewissheit ihnen allzeit zukommen lassen werden.

Zen

Die Durchlichtung

Dogen selbst schrieb „Nichts könnte falscher sein, als dies eine ‚Schule des Zen‘ zu nennen. Dumme Menschen lamentieren (…), weil sie sich nicht orientieren können. Dies entspricht nicht dem Weg des Buddhismus. Niemand hat ihn je ‚Schule des Zen‘ genannt.“ (vgl. Shobogenzo „Butsudo“ – Der buddhistische Weg – Gesamtausgabe Angkor Verlag, 2008, S. 367). Auch zu Beginn des japanischen Rinzai-Zen verwendete dessen „Geburtshelfer“ Eisai nicht den Begriff „Zen“, sondern er sprach von der „der Schule des Geistes“.
Wohin führt mich das nun?

  1. Zu einer Wachsamkeit gegenüber der Verführung von organisierter „Spiritualität“ durch deren Vertreter und Institutionen.
  2. Zu einer Achtsamkeit mir selbst gegenüber. Wie, warum und wodurch mache ich mich verführbar. Die Übung, sich an nichts zu binden, und in Selbstvertrauen jeden Schritt neu zu tun, jeden Tag neu zu verlebendigen.
  3. Wenn es heißt, wie im Beispiel 57 des Cong-Rong-Lu, der 2. jüngeren Beispielsammlung nach dem Bi-Yän-Lu, „Leg es ab, ein für alle Mal!“ bzw. „Lass ab von allem!“, dann bleibt nichts mehr.
  4. Dieses Einüben oder Integrieren des „da bleibt nichts mehr“ in das eigene Alltagsleben, den alltäglichen Geist.
  5. So wie man immer wieder ein Fenster öffnet, um die Räume zu durchlüften, führt das Zazen zur Durchlichtung des Geistes und nimmt dem „da bleibt nichts mehr“ seinen Schrecken.

Das Nachwort

Nur zu groß ist die Gefahr, dass wir uns in eine spirituelle innere Enklave flüchten angesichts der äußeren Bedrohungen durch Ereignisse wie die gegenwärtige Pandemie und der russische Krieg vor unserer Haustür in der Ukraine. Diese Ereignisse, die menschlichen Tragödien, die sie mit sich bringen, dürfen wir nicht „wegzazenisieren“. Sonst droht erneute Verblindung! Auch hier gilt das „Stelle dich der dir jeweils gegebenen Situation“. Sowohl der äußeren als auch der inneren, wenn ich diese fragwürdige Unterscheidung treffen darf. Es ist zwar nicht alles eins, aber auch nicht voneinander getrennt. Ich bin ein Teil der Welt, und Krieg betrifft mich daher auch! Während ich dies schreibe, sterben einige Hundert Kilometer von hier Menschen im einem nicht für möglich gehaltenen Krieg. Das macht mich atemlos und treibt mir die Tränen in die Augen. Ebenfalls betreffen mich die Coronaerkrankungen in meiner Umgebung. Das alles und noch mehr gehört zu meinem übenden Leben in dem Sinn, diese Gefühle und Gedanken nicht in mir festzuhalten und jeden Tag neu zu leben und mich den mir jeweils gegebenen Situationen zu stellen.

Der Ausblick

Alter Kirschbaum, dürr und kahl.
Ganz oben zwei drei Äste.
Im Frühling – welch weißer Blütenschmuck.
Tanzende Blütenblätter – spurlos im Wind.
Später süße Kirschen.
Bienen und Vögel freuen sich daran.

Henry Vorpagel

Bilder © pixabay

Henry Vorpagel

Henry Vorpagel

Geburtsjahr 1949  in Deutschland. Übersiedlung nach Österreich 1973. 1975 Beginn der Zazen Praxis. Die nächsten 10 Jahre Aufbau meines Lebensmittelpunktes in Österreich. Zazen als Rückgrat meines Lebens. Ausbildung zum Sozialpädagogen. Arbeit mit verhaltensbehinderten Jugendlichen. ...
Kommentare  
# Dr. Jörg Wolters 2022-03-22 09:30
"Diese Ereignisse, die menschlichen Tragödien, die sie mit sich bringen, dürfen wir nicht 'wegzazenisieren'."
Das stimmt wohl! Es braucht Aktivität realer Hilfe. Doch zur Schulung von Mitgefühl ist Zazen sicher eine gute Methode.
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# Henry 2022-03-26 09:44
Lieber Jörg Wolters, so ist es. Nicht nur zur Schulung sondern durch die Befriedung der eigenen Lebenspraxis, sodass das Mitgefühl erst entstehen kann. Ich sitze seit über 40 Jahren , es gehört zu meiner aktiven Lebenspraxis. Ich habe Ihren Beitrag gelesen und stimme Ihnen zu. Ich kenne einige
Schüler dieses Wege und weiß, das auch dieser Pfad schmal ist. Herzlichen Dank für Ihren Kommentar.
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# Otto 2023-09-17 17:49
Späten Danke, Henry, für diesen Artikel! Karl Baier
hat auch kürzlich die Achse Zen- westliche Mystik in der NS Zeit aufgearbeitet! Sehr beeindruckend! L.G.Otto
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