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Es ist an der Zeit, das verhängnisvolle Lebensmodell des ewigen Mehr infrage zu stellen.

Mit dem Wachstum kann es so nicht mehr weitergehen. Es geht schlicht nicht auf. Insbesondere ein exponentielles Wachstum – auf so vielen Ebenen – wird der Mensch, die Erde insgesamt, nicht mehr lange verkraften. Um dem entgegenzuwirken, müssen Rückkopplungsmechanismen, Wachstumsbremsen und andere Instrumente zum Einsatz kommen. „Wachstum im Außen führt nicht zu Glück“, sagt der buddhistische Mönch Bhante Nyanabodhi. Ein einfaches und natürliches Leben dagegen – achtsam, auf einem inneren Weg – ließe jeden finden, was er in der Außenwelt sucht.

Rauchen, Fehlernährung, Übergewicht oder Bewegungsmangel – sie alle bedingen eine Zunahme von relevanten Erkrankungen. Diese gehen regelmäßig auf einen Überkonsum zurück – auf zu viel von dem, was uns nicht guttut. Auf ein Fehlverhalten. Ähnliches gilt für Stress und die stressassoziierten sowie die lebensstilassoziierten Erkrankungen: Könnte jeder unmittelbar spüren, wie sehr man sich durch das Verhalten jeweils selbst schädigt, so würden es viele bestimmt ändern.
Verhaltensänderungen sind anstrengend, sie sind Arbeit, kosten eine Initialenergie – was man engstirnig zu vermeiden versucht, weil doch „gelernt“ wurde, dass Energie die teuerste biologische Währung ist. So dürfen sich die Zivilisationskrankheiten durch eine Überdosis an Konsum weiter vermehren. Wie bei einer Krebserkrankung zerstören sie die eigenen Grundlagen. Das betrifft alle und alles – auf der Ebene des Einzelnen und auf der ganzen Erde. Dabei wäre so viel geholfen, wenn das Prinzip des Gleichgewichts wieder mehr Berücksichtigung finden würde. In der Medizin, auch bezüglich des Glaubens, in der Wirtschaft, in der Umwelt, genauso hinsichtlich der planetaren Gesundheit: Es sollte nur so viel hineingegeben werden, wie entnommen wird. Stattdessen wird an Symptomen herumgedoktert. Die Menschen werden vom vermeintlichen Mainstream usurpiert, nehmen die Medizin als Pflaster für all die aufgebrochenen Leiden. Man nennt das einen Teufelskreis, in der Medizin wird von „Pathophysiologie“ gesprochen: Das Zuviel im Konsum führt nicht nur zu mehr Krebs, Bluthochdruck, Schlaganfällen, Herzinfarkten, mit all ihren Geschwistern (bedingt etwa durch die pathophysiologisch verengten Blutgefäße), sondern genauso zu mehr Allergien und einer generell gestörten Immunabwehr. Eine überschießende Abwehr bedingt auch mehr Entzündungen, mehr Schmerz, mehr Depressionen. Dagegen hilft wieder – die Medizin! Jeder nimmt, was er kann, jeder nimmt sich, was ihm passt. Wir eskalieren die Therapieoptionen und holen schließlich die richtig schweren Geschütze hervor. Es geht auch anders! Es braucht intelligentere Lösungen. Mehr davon. Und diese Lösungen werden irgendetwas mit „weniger“ zu tun haben. Jede Wette.

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Joy of Missing Out
Die FOMO – Fear of Missing Out (die Angst, etwas zu verpassen) – treibt heute viele Menschen um. Sie treibt sie und ihr Umfeld mitunter in den Wahnsinn: Eine ständige Entwertung des eben Erlebten, des gerade Verabredeten tritt ein, weil schon die nächste „Sau durchs Dorf“ getrieben wird, das nächste Event kommt, der nächste – vermeintlich noch bessere – „Thrill“ blüht. Nie ist man wirklich da. Doch gibt es heute einen wachsenden Gegentrend: JOMO – Joy of Missing Out (die Freude des Verpassens). Es handelt sich hier um eine Form der Freude durch das Kappen von Verbindungen zu digitalen Technologien und sozialen Medien. Eine virtuelle Entsagung, ein digitales und soziales Fasten, wobei es weniger darum geht, überhaupt keine Kontakte mehr zu haben, als vielmehr darum, jene auf das Wesentliche zu begrenzen und stille Freude darin zu empfinden, all die anderen Dinge gehen lassen zu können: das Vorbeiziehen-Lassen, Nicht-Tun, als Lustgewinn. JOMOs emanzipieren sich von der FOMO, so könnte man sagen.

Meditation wirkt!
In einer Zeit jedoch, wo einen Stress überall umgibt und nicht nur in seiner individuellen Bedeutung, sondern mit zum Teil dramatischen Konsequenzen für alle wirklich zugenommen hat, wirkt Achtsamkeit wie ein Wundermittel. Wie eine Beruhigungspille, die verspricht, den allgegenwärtigen Schmerz zu lindern. Der gegenwärtige Run auf Meditation hat einen ganz profanen Grund: Sie ist wirksam. Sie verschafft Linderung bei den quälenden Symptomen unserer Zeit. Meditation erhöht die Aufmerksamkeit und verbessert vor allem ihre Kontrolle; sie verstärkt die Fähigkeit zur Regulation von Emotionen; schließlich verbessert sie das Körpergewahrsein, also ein Körpergefühl oder, im übergeordneten Sinn, die Selbstreferenz – gemeint ist das Gefühl, in sich selbst und im eigenen Körper zu Hause zu sein. Hinzu kommen die allgemeine Funktion zur Entspannung und Stressreduktion sowie eine erhöhte Fähigkeit zu Empathie und Altruismus. Einige Meditationstechniken fördern diesen Bereich mehr als andere – gerade die Mitgefühlsmeditationen, die Meditationen der liebevollen Güte, tun sich hier hervor.

Ein neues Paradigma
Freiheit muss schließlich stärker als Prinzip im Inneren erkannt und gelebt werden. Darin auch das Prinzip eines „Weniger“: Diese Form der Freiheit ist letztlich unverkäuflich – oder kostenlos. Hier geht es darum, sich von der Fülle, vom Konsum und vom Außen zu lösen, sich stärker davon zu emanzipieren, zumindest aber das Innen und Außen in ein vernünftiges Gleichgewicht zu bringen. Genauso die Zustände von Fülle und Leere. Dabei ist von besonderer Bedeutung, für sich selbst zu wissen, was wirklich wichtig ist: „Was ist die Essenz? Die Essenz des Lebens an sich, die Essenz meines Lebens?“ Auf längerer Strecke wird zugleich das Prinzip der Reifung, eines inneren Wachstums, bedeutsamer werden. Hört man auf Menschen, die schon maßgeblich Lebenszeit hinter sich gebracht haben, die lebensklug Ratschläge und Erfahrung vermitteln, wird deutlich, dass das zentrale Momentum innerhalb eines persönlichen Reifungsprozesses und Lebenswegs jenes der Verbundenheit ist. Darin auch die generationenüberbrückende Verbundenheit oder, nennen wir sie beim Namen, die Liebe. Letztlich geht es im Leben genauso darum, das Loslassen als Prinzip zu lernen – im Sinne einer erlernten Transzendenz, eines lebendig erfahrenen Übergangs vom Ich zum Wir und schließlich zum unpersönlichen großen Ganzen. Denn das ist wohl das große Ziel von allem. Das eine ist jedem sicher: Irgendwann werden alle gehen müssen. Es scheint daher geboten, dieses Prinzip frühzeitig zu erkennen und allmählich zu internalisieren. Schritt für Schritt, nicht überfordernd, nicht angstvoll, sondern mit einem ausgewogenen Maß an Inspiration und Freude, zumindest jedoch mit Akzeptanz. Ist man mit sich dabei im Reinen? Kann man bei sich selbst ankommen, in sich selbst zu Hause sein? Kann der Konsum auf das begrenzt werden, was wirklich notwendig ist? Wenn man das tut, zugleich gesundheitsförderlich leben, weniger abhängig ist vom „äußeren Arzt“, sich dagegen regelmäßig bewegt, Zeiten der Entspannung und inneren Einkehr einplant, sich nachhaltig, ausgewogen und gesund ernährt, selbstfürsorglich handelt und die Selbsthilfekompetenz, den „inneren Arzt“ stärkt, dann wird es auch eher für alle reichen: mehr durch weniger. Und das Schöne daran: Alle werden zufriedener sein!

Univ.-Prof. Dr. med. Tobias Esch ist Neurowissenschaftler, Gesundheitsforscher und Allgemeinmediziner. Seit 2016 ist er Institutsleiter und Professor für integrative Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung an der Universität Witten/Herdecke. Im Jahr 2019 hat er die dort ansässige Universitätsambulanz für Integrative Gesundheitsversorgung und Naturheilkunde gegründet. www.uniambulanz-witten.de.

 

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Dr. Tobias Esch, Mehr Nichts! Goldmann Verlag 2021

 

Bilder © pixabay
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