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„Man muss das Ende gestalten“, sagte ich im Fluss meiner Rede. Und meine neue Bekannte sagte: „Notier dir das! “.

Wir saßen stundenlang in meinem Lieblingsbistro „Extro“, ganz nah an der bezaubernden, wenn auch nur nachgemachten Basilika St. Elisabeth sowie nahe der Südstadt, die mir während der Pandemie besonders ans Herz gewachsen ist. Bis zur Südstadt zu laufen, wo zumindest der REWE, DM und der Café-Roller Alte Pharmacie sowie meine Apotheke geöffnet hatten. Ich hatte extra die Apotheke gewechselt, weil man sich hier während der ganz harten Zeiten im Lockdown wie zu Hause fühlen konnte. Das Extro lässt sich gut zu Fuß, mit dem Fahrrad und auch mit der Bahn erreichen, und: Man ist von dort zu Fuß in fünfzehn Minuten am Hauptbahnhof, in zehn Minuten am Rhein.

Wir kamen ins Gespräch, R. und ich, und hörten für eine ganze Weile nicht mehr damit auf. Ein magischer Vormittag, ich blieb länger, als ich vorgehabt hatte. Während des Gesprächs, in dem sie ihre schwierige Ursprungsfamilie nur andeutete, die sie jetzt hinter ein schweres Eisentor verbannt hatte, welche zum Keller führte, fiel von mir der Satz, man muss das Ende gestalten, den mein Gegenüber sich in ihr Notizheft schrieb. Danach schrieb ich ihn mir auf, weil sie tatsächlich recht hatte, er war gut, er war richtig gut.
Ruth Cohn, meine grandiose Lehrerin im Gruppenleiten, hatte uns diese Weisheit gelehrt. Immer und immer wieder wurde auf die Wichtigkeit des Beendens hingewiesen, und beim Leiten von Gruppen auch auf den Beginn, der weit vorher beginnt, als die Gruppe zusammenkommt, es beginnt während der ersten Überlegungen und hört noch nicht einmal mit der Schlüsselübergabe auf, wenn man die gemieteten Räume wieder verlassen hat.

Notier

Ihr, meine Leser und Leserinnen, hört schon an diesen wenigen Zeilen, wie intensiv darüber reflektiert wird bei der themenzentrierten Interaktion, so heißt diese Schule des Leitens, wie Frau oder Mann das Ende eines Prozesses gestaltet. Gut beendete Prozesse reichen bis weit in das Leben der Gruppenteilnehmer*innen hinein, sie verlangsamen und strukturieren die Zeit und tragen der Tatsache Rechnung, dass Menschen sensible Wesen sind, die auf alles reagieren, das sie umgibt und das in ihnen selbst lebendig ist. Dass es in jeder Gruppe bewusste und unbewusste Themen gibt, von denen manche zu Beginn, manche erst in der Mitte und andere erst gegen Ende auftauchen.

Zum Beispiel Trauer. Mit dieser meist ungeliebten, gesellschaftlich eher verdrängten Emotion beschäftigten wir uns intensiv. Ich war schon, bevor ich zur TZI gestoßen war, ein Fan von Trauer, vielleicht von ihr besessen, nach der Ausbildung war ich es noch mehr und habe mich in vielen Bereichen bewegt, in denen ich weiter lernte. Zum Beispiel, ohne Trauer keine Freude, lernte ich, und umgekehrt. Es ist ein bisschen platt, so gesagt, aber wahr. Entweder sind wir voll lebendig, dann sind auch alle Emotionen in uns lebendig, oder wir sortieren aus. Wenn wir von dem Blumengarten der Emotionen einige aussortieren, fehlt diese Energie in der Gesamtkomposition. Und da Verlust und Tod sehr gerne verdrängt werden, hat diese Ungeübtheit, mit den natürlichen Gefühlszuständen nach Verlust umzugehen, eine schädigende Wirkung auf unser ganzes Leben, auf die gesamte Gesellschaft.

Wie gestalten wir also das Ende? Wir setzen uns aus, üben in geschützten Räumen wie Kirchen, Trauergruppen, Weiterbildungen, Therapien, spirituellen Kontexten. Sitzen in Kreisen, wie ich es als Leitende meiner Gruppen tue, und etablieren Gruppenregeln. Wir sitzen in Stille, hören uns und einander vom Herzen her zu und lassen alles gelten, solange die Spielregeln eingehalten werden.
Wir sprechen persönlich und von uns selbst aus eigener Perspektive, während wir Zeugnis ablegen. Wir diskutieren und kommentieren nicht, auch die, die leitet, kommentiert sehr zurückhaltend. Wir vertrauen der Weisheit des Kreises, des Feldes.

Wenn es ans Ende einer Gruppe geht oder jemand ausscheidet oder wir es selber sind, die gehen muss oder möchte, dann wird Trauer kultiviert. Wir ehren damit das, was war, alle, die dabei waren, die Leitung, den Ort, einfach alles. Wir wissen, diese Gruppe, diese Erfahrungen, die wir machten, sind unwiderruflich vorbei. Erstaunt stellen wir fest, dass wir Menschen lieb gewinnen konnten, mit denen wir außerhalb der Gruppe niemals zusammengekommen wären. Dass wir ein Gefühl von Zugehörigkeit entwickelten, uns jede*r Einzelne fehlte, wenn er oder sie nicht da war. Alle sorgen gemeinsam für ein Fließgleichgewicht. Wir kümmerten uns um die, die fehlten. Manche von uns lernten zum ersten Mal, wie es sich anfühlt, in einer funktionalen Gruppe zu sein. Das heißt, in einer Gruppe, in der Sicherheit, Vertrauen und Vertraulichkeit großgeschrieben sind, in der alle Gefühle und Gedanken ausgesprochen werden können, ohne Angst, niedergemacht oder ausgeschlossen zu werden. Einer Gruppe, in der alle gleich wert sind und die Gruppe von allen getragen wird. Ruth Cohn lehrte so viel, aber hier sei nur noch gesagt, dass es ihr wichtig war, und mir, dass jede*r ihr eigener Coach ist. Dass Störungen Vorrang haben (das ist sehr anders als in den buddhistischen Gruppen, wo wir üben, die Störungen ganz zu uns zu nehmen und durchzuarbeiten). Ich würde jedoch auch Mischformen begrüßen aus Council und anderen Kreisen, in denen sich auch auseinandergesetzt werden kann, in einer Art und Weise, wie es vor allem Thich Nhat Hanh und Sister Chang Kong vorgeführt haben.

Ich habe unendlich viel über das Abschiednehmen gelernt und eben so viel über das Willkommenheißen, was beides einander bedingt. Wenn ich voll bin mit nicht vollzogenen Abschieden, bin ich nicht frei und offen für neue Beziehungen bzw. für ein frisches Mich-Einlassen auf die Herausforderungen des Lebens. Verzeihen zu können hat vielleicht viel zu tun mit diesem natürlichen Prozess von Gehenlassen, Freigeben, sagen, was zu sagen ist, segnen, mich umdrehen und meinen Weg fortsetzen. Aber, wo lernt man es schon, das „Segnen“? Danke, Elisabeth Reiter.

In meinem beruflichen und privaten Leben, die ich als kaum voneinander getrennt ansehe, da ich liebte und liebe, was ich tat und tue und keine Trennung mit meinen zugrunde liegenden Werten vollziehen musste, durfte ich üben, üben, üben, noch mehr als die Teilnehmer*innen, weil ich als Leitende strengeren Gesetzen unterworfen war und bin als die Teilnehmer*innen. Begrüßen, Abschied nehmen, Begleiten, Begrüßen, Abschied nehmen … das findet in jeder Coachingstunde statt, bei jeder Begleitung. Ob ich mich auf das letzte große Abschiednehmen damit vorbereitet habe? Ich glaube, ja. Ich brauche meist wenig Zeit, um mich durch die Ängste vor oder in krisenhaften Situationen durchzuatmen. Manchmal hingegen brauche ich unendlich viel Zeit und Hilfe. Das Nichtwissen, das große Unbekannte, kann niemals gewusst, daher nicht antizipiert werden, jedoch ein öffnendes Gewahrsein, neugierig und still präsent zu verweilen, trotz und in großen Schmerzen vielleicht, das kann definitiv geübt werden.

So kann beides zusammenfallen, am Gott-Punkt – diesen Begriff habe ich von meinem Lehrer erfahren, wer weiß, ob ich ihn richtig verwende – Abschied nehmen und begrüßen, Trauer und Freude.

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Bilder ©  Unsplash

Monika Winkelmann

Monika Winkelmann

Monika Winkelmann, geboren 1952, Mutter einer erwachsenen Tochter, geschieden seit 2019, hat 1980 mit 28 Jahren ihr erstes Meditationswochenende in Hamburg besucht. Diese tiefgreifende Erfahrung sowie ihr Leben als Alleinerziehende der Tochter Lisa, geb. 1984,  bewirkten, dass sie viele Jahre a...
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