Das ist für Männer oft noch schwerer zuzulassen als für Frauen. Obwohl: Mütter finden das auch schwer. Darf es sein, dass ich geistige Interessen habe, die mich am Ende ebenso fordern und einspannen wollen wie das leibliche Kind?
Kleinere oder größere Konflikte sind in jedem Fall zu erwarten. Konflikte von außen und von innen.
Die inneren Stimmen sagen (vielleicht schon lange): Was hast Du schon zu sagen? Was bildest Du Dir ein? Kannst Du nichts Anständiges machen? Etwas, das Geld bringt?
Hast Du vergessen, dass Du in Deutsch eine Vier auf dem Zeugnis hattest und was Dein Vater von Deinen journalistischen Ambitionen hielt? Und außerdem: Wer liest heute noch? Muss man dieser Bücherschwemme noch eins hinzufügen? Und so weiter und so fort. Irgendwie ahnt die schwangere Seele auch, dass Schreiben, zumal von etwas Längerem, freie Zeit erfordert, und wo soll die, bitte schön, herkommen?
Also drängen wir diese Bilder, in denen wir uns auf Hiddensee oder in der Hütte im Kellerwald sahen, schreibend und irgendwie glücklich, in den Untergrund.
Frauen haben auch ihr spezifisches Päckchen zu tragen. Lesen und Schreiben waren lange Zeit nur in Klöstern erlaubt, eine schulische Ausbildung schickte sich nicht für ein Mädchen, lohnte sich nicht, würde die Freier verschrecken und junge Frauen nur auf dumme Gedanken bringen. Hexenverfolgung und -verbrennung liegen nicht so weit zurück, wie man es sich wünschte, und auch das Erbe dummer Sprüche, Intellektuellenhass, Nazi-Gleichmacherei, wenig unterstützende Ehemänner und pure Existenznot hielten und halten immer noch vielfache Hindernisse bereit, Frauen an einer unbekümmerten schriftlichen Entfaltung ihrer Geistesgaben zu hindern.
Hinzu kommt, dass Schreiben immer Risiko ist, Mut erfordert, wie es bei jeder Neuschöpfung der Fall ist. Jeder neue Atemzug schenkt uns die Plattform zum Absprung, während der Sprung selber ein Abstoßen vom Grund ist. Bei den Schwangerschaften des Geistes können wir deren Länge nur erahnen. Doch es gelten verblüffend ähnliche Gesetze: Es empfiehlt sich, anfangs nichts über das Vorhaben zu sagen, bevor es sich nicht nur fest eingenistet hat, sondern erst dann, wenn man auch schon Notizen vorweisen kann wie einen sich rundenden Bauch. Mann oder Frau wächst langsam in eine andere Identität hinein: Man weiß es noch nicht, aber ahnt es, dass man nach dem Schreiben, nach der Veröffentlichung nicht mehr dieselbe oder derselbe sein wird. Nach der Geburt kann es zu einer Art Depression kommen, die lediglich sagt: Ich bin nicht mehr der oder die von vorher, und dies kann als Verlust erlebt werden.
Ich wurde öfter als Hebamme des Wortes bezeichnet. Ja, man sollte meinen, Schreiben sei doch eine Kulturtechnik und in unserem Land ganz selbstverständlich. Erstens stimmt das nicht ganz, die Kurse an Volkshochschulen für Analphabet*innen seien erstaunlich voll gewesen, las ich vor einigen Jahren. Und es ist etwas ganz anderes, ob wir uns kreativ ausdrücken möchten. Kreativ zu schreiben, heißt, selbst wenn wir das gar nicht bemerken, dass wir uns wie bei jedem künstlerischen Weg von Automatismen, Konditionierungen befreien, während wir den Stil anderer Schreibenden, Dichtenden nachempfinden, manchmal bewusst nachahmen, und moderne wie alte Schreibspiele üben und dabei immer neugieriger, offener, immer akzeptierender, loslassender werden, was unsere eigene Schreibe, unsere „Handschrift“, unsere Stimme angeht. Tatsächlich scheine ich zu spüren, nach einer Weile des Zuhörens, womit eine Person, die sich mir anvertraut oder mit der ich länger in vertrauten Räumen zusammen war, schwanger geht. Einer meiner wichtigsten Mentoren, mein Berufungslehrer B., war sehr erstaunt, als ich ihm sagte, welches Projekt meiner Meinung nach von ihm geschrieben werden wollte. Er bejahte meine Annahme, fügte jedoch an, dass er dies nicht schreiben wollte.
(Das war für mich der Schlüssel zu verstehen, warum B. zahllose Berufungsvorhaben exzellent begleiten konnte, nicht aber Schreibprojekte.)
Wir haben geheimnisvolle Verpflichtungen gegenüber unseren Berufungen, und ich glaube und habe es immer wieder bestätigt gesehen, dass wir sie (meist) leben sollen. Manchmal kommt es auf den richtigen Zeitpunkt an, und etwas muss vorher noch erledigt werden. Unsere Berufung, unser Projekt: Dies kann unser spezifischer Dienst für das Gemeinwohl sein, unser Geschenk an die Welt, unser „Baby“. Bauen wir ihm also ein Nest, zu gegebener Zeit.
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