Das gleichnamige Buch von Thích Nhất Hạnh* ist vielleicht das, was mir zurzeit die meiste Sanftheit, das tiefste Staunen, die größte Ehrfurcht eingibt. Atem – gibt es etwas Subtileres? Und wie kann unser Leben von etwas derartig Subtilem wie dem Atem abhängen?
Was unterscheidet unseren Atem eigentlich von der uns umgebenden Luft? Wird die Luft zum Atem, sobald sie in atmende Wesen eintritt, aus ihnen wieder austritt? Was ist es, was uns sagen lässt, hier kann ich frei atmen? Der Autor des kleinen Büchleins – wir sind noch auf den ersten fünfzig Seiten – ermutigt uns zu einem liebevollen und geduldigen Umgang mit dem Atem. Unser Atem wird zu nichts gezwungen, auch nicht streng aufgefordert, er darf so sein, wie er ist. Die Aufmerksamkeit, die ihm durch uns zuteilwird, wirkt wie die ruhige Aufmerksamkeit in der Begegnung mit einem (jungen) Kind: zärtlich einladend.
Wir widmen uns also diesem Kind, unserem Atem, in dem Geist völliger Annahme, was den meisten von uns bei jungen Kindern oft noch leicht fällt, weil diese so ohne Argwohn und völlig abhängig von uns sind. Also nähern wir uns dem Atem wie den ganz jungen Kindern, umarmen ihn, sind ganz für ihn da. „Es ist wundervoll, jedes Einatmen, jedes Ausatmen bewusst wahrzunehmen, und jeder Mensch kann sich darin üben“, lesen wir. Vor diesem Buch war ich mir gar nicht so gewahr, dass es vor allem diese Konzentration auf den Atem, und dann auf den Körper, ist, die mein Sitzen, sofern ich nicht mit starken Schmerzen, Gedankenfülle, Emotionen zu tun habe, so rasch mit Freude und Glück erfüllen kann. Und nicht nur die Übung, sondern mich selber, meinen Tagesbeginn oder das Ende meines Tages. Fast hätte ich geschrieben, „das Ende meiner Tage“. Wie ungeheuerlich. Aber warum. Wir üben doch auch dafür, die Samen der Gelassenheit, des Mitgefühls, der Verbundenheit und Güte aufgehen zu lassen, und zwar unter allen Umständen, und zu den Umständen gehört auch der nahende Tod.
Manchmal gelingt es schon, wie von Zauberkraft, dass etwas einsetzt, das wir früher mit „über den Schatten springen“ bezeichnet hätten: Ein gestern noch unvorstellbarer Schritt auf etwas oder jemanden zu – das kann auch eine hohe, edle Vision sein! – wird plötzlich frei, wird getan. Die Richtung unseres Weges ändert sich, ein Feld des Nichtwissens hat sich aufgetan. Ohne Zäune, grenzenlos.
* Thích Nhất Hạnh: Das Wunder des bewussten Atmens. Theseus Verlag
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