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Mich berührt ein kleines Büchlein des Dalai Lama, es heißt „Ratschläge des Herzens“. Seit einiger Zeit hat es seinen Platz nicht zufällig auf dem kleinen, runden Tisch, auf dem auch mein Telefon steht.

Ja, längere Telefonate führe ich immer noch am liebsten von dort aus: in meinem bequemsten Sessel sitzend. Er ist so groß, dass ich in angedeutetem Schneidersitz dort verbringen kann, das heißt in der Haltung, die ich am liebsten einnehme. Keine andere schenkt mir so viel Wachheit, Präsenz und Ausdauer in Situationen, wo nun einmal das Sitzen, wie in Beratungssituationen oder Telefonaten mit lieben Menschen, Voraussetzung ist.

Öfter als früher lese ich einen Satz oder mehrere daraus vor, wie auch aus einem Büchlein von Thich Nhat Hanh und einem anderen von Nossrat Peseschkian. Auch Ajan Brahm schreibt entzückend kurz, saftig, verständlich, was er an buddhistischer Weisheit gerne weitergibt, und sein Büchlein wandert in meiner Wohnung umher.

Heute ist es dieser Absatz, den ich vom Inhalt schon kenne, aber gerade jetzt brauche und gerade jetzt auch öfter weitergebe.
„Die Menschen, die wir als Feinde betrachten, sind uns nicht seit ihrer Geburt feindlich gesinnt. Die werden es erst durch gewisse Gedanken und Verhaltensweisen. Dann titulieren wir sie als ‚Feinde‘. Verändert sich ihre Haltung uns gegenüber, können sie plötzlich ‚Freunde‘ sein. Ein und dieselbe Person ist also einmal ‚Feind‘ und einmal ‚Freund‘. Das ist absurd.“

Dalai Lama

Ich finde, das sind Aussagen, mit denen es sich leben lässt. Ebenso erscheinen wir selber natürlich anderen einmal als „Freund“, ein anderes Mal als „Feind“. Fühlt sich eine Person dauerhaft schlecht, wenn sie uns sieht oder an uns denkt, können wir kaum etwas daran ändern, jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Aber ich übe, mich von einer feindlichen Vorstellung, wenn zum Beispiel ein Mensch offensichtlich keinen Kontakt (mehr) mit mir möchte, zu lösen. Und zwar radikal. Der Grund, warum jemand von uns nichts mehr wissen möchte, kann ganz allein mit diesem Menschen zu tun haben. Vielleicht schämt er sich, wenn er oder sie an uns denkt. Scham, so lehrt uns die Psychologie, ist ein sehr schwer auszuhaltendes Gefühl, man tut alles, um es NICHT zu fühlen. Nah bei der Scham ist der Neid. Ebenfalls ein schwer auszuhaltendes Gefühl, das sich gerne als Ärger tarnt. Ergänzen können wir diese beiden noch durch die Angst. Scham, Neid, Angst – ein Trio Infernale, wenn sie verdrängt werden, eine Quelle von Verbindung zu unserer Menschlichkeit, wenn wir diese Emotionen spüren und aussprechen können. Diese Emotionen, nicht erfühlt, erschaffen Feinde. Es ist also nicht immer so, dass wir jemanden verletzt hätten; man hat es uns nicht mitgeteilt und auf einmal sind wir ein Feind geworden. Nein, wir tun auch etwas mit uns selbst, erniedrigen uns, sprechen abfällig mit uns, beschimpfen uns.

In der Meditationspraxis, den Zeiten stiller Reflexion, tauchen in mir – und sicherlich auch in Ihnen – derartige Einsichten auf. Wie reagieren wir auf solche Einsicht, dass zum Beispiel jemand sich schlecht in unserer Gegenwart fühlt, sie uns neidet? Wir könnten uns so richtig ärgern, dauerhaft. Womit wir dann zwei Parteien hätten, die sich beide gegenseitig als „Feinde“ sehen. Wir können aber auch üben, die andere Person aufrichtig mit Mitgefühl zu bedenken. Wie eine Freundin, die sich in etwas Irreales verrannt hat. Wir können erkennen, dass das, was die andere Person und ich gerade durchmachen, einfach „nur“ Leiden ist, genau das also, von dem Buddha immer spricht. Wenn wir uns kleiner fühlen in Gegenwart eines anderen, kann es sein, dass er oder sie sich aufbläst. Das muss aber nicht sein. Oder dass wir uns unnötig und schon aus Gewohnheit kleiner machen, als wir sind.
So handelnd, sind Begegnungen zwischen Freunden schwierig und wenig erfüllend.

Wie also begegnen wir diesem Leiden auf allen Seiten, uns selbst eingeschlossen?
Indem wir üben. Praktizieren. Es geht nicht anders. Der Dalai Lama steht dafür täglich, auch mit über achtzig Jahren in aller Morgenfrühe auf. Nicht nur Zähneputzen und Duschen sind wichtig als Hygienemaßnahmen, sondern auch regelmäßige Zeit für unsere geistige, seelische Hygiene. Das soll, kann auch wie nebenbei geschehen, doch damit es wie nebenbei geschieht in unseren komplexen Beziehungen mit dem Planeten selber und allen seinen Geschöpfen, erfordert es Raum und Zeit, um sich unseren Geist zum Freund zu machen.

Und Freundschaft will nun einmal geehrt und gepflegt sein.
Mit tiefen Verbeugungen vor dem Lebenswerk von Seiner Heiligkeit.

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Bilder © Unsplash  

Monika Winkelmann

Monika Winkelmann

Monika Winkelmann, geboren 1952, Mutter einer erwachsenen Tochter, geschieden seit 2019, hat 1980 mit 28 Jahren ihr erstes Meditationswochenende in Hamburg besucht. Diese tiefgreifende Erfahrung sowie ihr Leben als Alleinerziehende der Tochter Lisa, geb. 1984,  bewirkten, dass sie viele Jahre a...
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