Meine Mutter hat eine ganz gute Intuition. Leider folgt sie ihr nicht immer. Weshalb ich es auch nicht tun kann. Doch wenn ich einmal einen Impuls von ihr bekomme, schaue ich schon mal, wohin er mich führt.
„Hast du das Interview von Harry gesehen?“, schreibt sie mir. Und auch wenn ich Harry gern habe auf eine distanzierte, tabloidartige Art und Weise, verfolge ich doch kaum die Berichterstattung über ihn und seine Frau. Klar, die beiden sind aus dem englischen Königshaus ausgetreten, schwanger und jetzt wohnhaft in Kalifornien. So weit, so informiert. Doch für das Bewusstsein, dass es ein Interview für die breite Masse gibt, brauche ich meine Mutter. Sie hat Meghan schon seit geraumer Zeit auf dem Kieker – die Liste der vermeintlichen Mängel würde diesen Rahmen hier sprengen. Und ganz entgegen meiner Gewohnheit, den Dingen bis zur Wurzel zu folgen, habe ich nie wirklich hinterfragt, warum das Glamourleben von London eine Frau in einem verhöhnten österreichischen Bundesland ärgert.
Und jetzt also dieses Interview, das ich mir – dem Impuls meiner Mutter folgend – anschaue. Warum ich Oprah mag, kann ich leichter sagen, weshalb ich mich schon einmal freue, dass sie das Gespräch führt. In ihrer empathischen, aber durchaus strengen und direkten Art und Weise. Ihr gegenüber eine junge Frau in einem teuren Kleid, die mir bei aller Hollywood- und Windsor-Attitüde fast leidtut. Ich erfahre, dass sie keine Ahnung hatte, in welchen Verein sie da hineinheiratet, dass sie keinen hatte, der mit ihr die britische Nationalhymne oder den royalen Knicks einübte. Dass keiner sie beschützt hat. Und auch Harry fühlte sich ausgeliefert, gefangen zwischen der alten und der neuen Welt. Als Autorin merke ich, dass er sich mittendrin in seiner ganz persönlichen Heldenreise befindet, irgendwo zwischen der Begegnung mit der Göttin und der Frau als Versucherin. Als Nächstes steht die Versöhnung mit dem Vater an, was Harry ja auch angekündigt hat. Nichtsdestotrotz: Er ist erst in der Mitte des Weges, da kann noch einiges kommen. Was Meghan angeht, kann ich weniger sagen, denn ihren Werdegang kenne ich kaum. Vielleicht sollte ich meine Mutter fragen. Doch was mir schon aufstößt, und zwar nicht angenehm: ihre Unbedarftheit.
Seit Jahren wundere ich mich, dass Menschen in Situationen kommen, die man relativ leicht vorhersehen und abwenden hätte können. Da lassen sich Völker aufwiegeln, weil sie sich nicht informieren; da lassen sich Völker einsperren, weil sie sich nicht informieren; da lassen sich Völker manipulieren, weil sie sich nicht informieren. Und offenbar passiert das auch einer simplen amerikanischen Schauspielerin. Die wenigstens so ehrlich ist, vor sich und der Welt einzugestehen, dass sie naiv war. Jetzt bin ich ja eine große Freundin von Naivität, weil sie bedingungslose Offenheit signalisiert und Wunder möglich macht. Meghans Wunder ist wohl noch ausständig, auch aus eigenem Verschulden. Und doch kann ich das irgendwie nachvollziehen.
Ich hatte einmal eine Affäre mit einem Mann, der mich so fasziniert hat, dass ich mir selbst nach der fünften Nennung seines Vornamens denselben nicht merken konnte. Fast wie ein Zauberspruch verschwand sein Name aus meinem Gedächtnis, sobald ich ihn gehört hatte. Ich stieg in den Flieger, um ihn zu besuchen, ohne seinen Nachnamen zu kennen, geschweige ihn gegoogelt zu haben. Meinen besorgten Freundinnen schickte ich dann vom Ziel aus die Adresse, damit sie mich im Fall des Falles „herausholen“ konnten. Eine von ihnen kennt sie heute noch, ich habe sie bereits vergessen. Ja, der Trip blieb einzigartig, das Erlebnis ebenfalls. Doch genauso stelle ich mir Meghan vor, die sich einfach Hals über Kopf in Harry verliebt hat und dachte, dass alles gut wird mit dem Einen an ihrer Seite. Dass man alle Unwägbarkeiten überwinden könne und am Ende alles gut wird. Hollywood lebt von Happy Endings. Und wir sind zu einem gewissen Grad von Hollywood geprägt. Auch ohne selbst Schauspielerinnen zu sein. Frauen sind für dieses Happy End ja besonders anfällig, egal wo auf diesem Planeten.
Jetzt sitzt Meghan also in ihrem Designerkleid neben Harry und vor Oprah und wundert sich, dass alles so gekommen ist, wie sie es nun ausbadet. Sich zu beklagen, dass man keinen Personal Trainer für die Nationalhymne und den Knicks zur Seite gestellt bekommen hat, regt mich schon ein bisschen auf. Als Schauspielerin müsste ihr das Rollenstudium doch durchaus vertraut sein. Meine Vorbehalte gegenüber Frauen tauchen immer dann auf, wenn ich das Gefühl habe, dass sie sich nicht um ihre eigenen Befindlichkeiten kümmern, sondern diese lieber delegieren. Und trotzdem: Sie tut mir leid, auch wenn sie aus ihrer Wolke Sieben auf ein mit Millionen Pfund gestopftes Kissen gefallen ist. Denn jeder Traum, aus dem man erwacht, schockiert, verletzt, deprimiert. Egal ob Herzogin oder Hosenverkäuferin. Und daran ändern eben auch ein Prinz, Millionen oder ein weltweites Interview nichts. Harrys Heldenreise hingegen bleibt spannend.
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