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Was bedeutet: Das Ego überwinden? Unsere Dharma-Lehrer und Dharma-Lehrerinnen beantworten Ihre Fragen.

„Ich beschäftige mich seit Kurzem mit Zen-Buddhismus. Ich habe mich noch keiner Gruppe fest angeschlossen, sondern schaue hier und dort mal rein und lese viele Bücher. Überall höre ich, man muss sein Ego überwinden. Das verstehe ich nicht. Ich habe viele Jahre gebraucht, um mir eins anzuschaffen, und es fühlt sich gut an. Ich war lange ein sehr introvertierter Typ. In der Familie immer das brave Mädchen. Bei der Arbeit habe ich mich nie beschwert, auch wenn es mir oft zu viel war. In Beziehungen habe ich immer zurückgesteckt. Heute habe ich diese Verhaltensweise überwunden, auch mit therapeutischer Hilfe. Ich habe gelernt, meine Bedürfnisse klar zu formulieren. Mir scheint das nicht richtig, das wieder aufzugeben.“
Jutta Schmidt

500mal250 unsplash Dharma-Lehrer


Liebe Jutta Schmidt, als Mensch geboren zu sein, ist faszinierend und kostbar! Im Laufe unseres Lebens lernen wir, die eigene Persönlichkeit in einer Weise zu entfalten, die sowohl die Sorge für uns selbst als auch die Berücksichtigung der Bedürfnisse anderer umfasst. Sie beschreiben anhand eines persönlichen Beispiels, wie wichtig eine gesunde psychologische Balance ist. Und auch, wie viel Arbeit es sein kann, diese zu finden oder wiederherzustellen. Ein solcherart gesund ausgeprägtes Selbst, Ich oder Ego, das am rechten Ort Grenzen zu setzen oder auszuweiten weiß, bildet die Ausgangslage für eine umfassende spirituelle Praxis, wie es die buddhistische ist. Dass Sie diesen wichtigen Entwicklungsprozess wertschätzen und nicht missen wollen, ist auch ganz im Sinne des Zen-Buddhismus.


Es bedarf einer stabilen Persönlichkeit, um die Funktionsweise des Lebens und des eigenen Seins grundlegend zu erforschen und sich der Frage zuzuwenden: „Wer bin ich?“ Spontan antworten wir auf diese Frage vielleicht: „Ich bin eine Frau/ein Mann, eine Physikerin/ein Maurer, eine Christin/ein Buddhist …“. Dies sind Beschreibungen und Konzepte, die im täglichen Leben praktisch sind. Nur zu häufig erhalten solche Bestandteile unseres Selbstbildes allerdings eine Bedeutung, die weit über die praktische Orientierung hinausgeht: Wir beginnen, oft ohne uns dessen bewusst zu sein, sie als Mittel der Identifikation zu nutzen, für oder gegen sie zu kämpfen und sehr viel Zeit und Energie darauf zu verwenden, sie aufrechtzuerhalten. Beispiele von Problemen, die daraus entstehen, finden wir etwa in Form von Rassen- und Genderdiskriminierung oder familiären, beruflichen und religiösen Konflikten aller Art.


Hier setzt die buddhistische Perspektive an: Nicht das Selbst, Ich oder Ego an sich ist es, was uns und anderen Schwierigkeiten bereitet, sondern unsere Identifikation damit beziehungsweise unser Festhalten daran. Dadurch reduzieren wir unser Potenzial auf einige uns vertraute Eigenschaften, die uns Sicherheit geben.
Die Frage reicht also aus buddhistischer Sicht tiefer und lautet: „Wer bin ich wirklich?“ Wer dies meditativ ergründet, entwickelt ein umfassendes Verständnis für den Prozess des Lebens und kommt zu tiefgründigeren Antworten, als es intellektuell möglich ist. „Nichtselbst“ und „Leerheit“ als zentrale buddhistische Begriffe wenden sich also nicht gegen ein psychologisch gesundes Selbst. Direkt zu erfahren, dass alles Leben und unsere eigene Existenz in vielfältiger Weise miteinander verbunden sind, führt vielmehr dazu, über das konventionelle Verständnis des Selbst/Ego hinauszugehen und damit die „Ich-Illusion“ zu durchschauen.


Ich wünsche Dir bei der Praxis weiterhin den Mut, kluge Fragen zu stellen und sich auf den Prozess des tiefen Schauens einzulassen.
Herzlich, Dagmar Jauernig

 

Dagmar Jauernig ist autorisierte Sati-Zen-Lehrerin in der Linji-(Rinzai-)Zen-Tradition. Sie ist Koleiterin des Haus Tao in der Schweiz und ausgebildete Yogalehrerin BDY/EYU. Sie praktiziert Zen und Vipassana seit über 25 Jahren. www.haustao.ch www.zenstille.ch
 
Unsere Dharma-Lehrer und Dharma-Lehrerinnen beantworten Ihre Fragen, gerne auch anonym unter: fragen@ursachewirkung.com
„Dharma“ [Sanskrit धर्म, Pali Dhamma धम्म], zentraler Begriff im Buddhismus = Lehre des Buddha
 
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Kommentare  
# Adalbert Batmunkh 2021-03-10 19:00
Die geschilderte Individuation ist ein wichtiger Schritt im Aufbau der Persönlichkeit, denn dann ist man zentriert und hat seine "Mitte" gefunden. Doch muß man dann darüber hinausgehen, sich als bedingt entstanden verstehen und als ein vergängliches Phänomen wie etwa das Abendrot. Nicht das Anhimmeln anderer Phänomene oder Vorstellungen ist der Sinn des Lebens, sondern die Weitergabe der Gene und die Weiterentwicklung der Kultur. Das "Ich" ist nur ein Personalpronomen wie "du" und "wir" und zur Kommunikation notwendig. Hakuin verglich den Menschen wie das Eis am Meer - es bildet sich und geht wieder in diesem auf. Realistisch gesehen ist nur die Gegenwart real, realistisch gesehen ist nur unser Tun und Empfinden im Hier und Jetzt gestaltend und daher sinnvoll. Darüber hinaus ist alles Spekulation.
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# Matthias 2021-03-11 01:03
Danke!
Sehr, sehr gut nahe gebracht!
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# Elisen Spies 2022-01-18 14:08
Manche Schüler hatten schon ein zu sanftes Ego, also passte ein Plan dieser Art.
Manche Lehrer verwendeten den Plan dieser Art, um das schlechte Gewissen dieser so und so sanft Selbstgesicherten zu fördern.
Diese sich dann gar nicht mehr auskannten, was ihrem Ego zustehen darf.
Andere Lehrer hiesiger Prägung wurden so arrogant, dass ihr Ego die Schüler überstrahlte und diese sich nicht frei entwickeln konnten.
FF
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