„Im Zen gibt es keine Wahrheit, kein transzendentes Verständnis, das nur uns zuteilwird. Alles, was wir haben, sind unser Leben und unser volles Engagement mit diesem Leben."
„Das ist die einzige Wahrheit, die wir haben, und sie gilt für alle gleich. Wenn wir mit der Zen-Praxis beginnen, betreten wir unser Leben in so tiefer Weise, wie wir können, tiefer, als wir es taten, bevor wir Zen fanden, weil Praxis unser Leben heilt.“
Dies ist ein Zitat, das ich dem gerade erschienenen Buch „Mountains and Rivers Sutra – Teachings by Norman Fischer“ („Berge und Flüsse Sutra – Belehrungen von Norman Fischer“) entnommen habe. Für mich ist es eine der einfachsten, schönsten und treffendsten Beschreibungen von Zen, die ich bislang gefunden habe, obwohl ich über Wahrheit und Zen nichts hätte schreiben können. Aber die Wahrheit dessen, was Zen-Lehrer und Dichter Fischer hier sagt, kann ich bezeugen. So habe ich zum Beispiel das „Berge und Flüsse Sutra“ vor einigen Wochen überhaupt noch nicht verstanden, soweit man von Verstehen in diesem Zusammenhang sprechen kann. Zen-Meister Dogen hat diesen Begriff eingeführt, und ich fand ihn poetisch, aber er erschloss sich mir nicht. Inzwischen habe ich einen Zugang gefunden, und dieses Verständnis, das sicherlich noch zu erweitern ist, hat mich glücklicher gemacht. Ich spreche hier von dem Glück, das mich interessiert und das uns alle interessieren sollte: einem Glück unabhängig von den Umständen, in denen wir leben. Ob Zen uns dahin führen kann, bleibt abzuwarten. Mir scheint jedoch wahr, dass es uns dazu führen will, das Leben nämlich in seiner Tiefe und Weite und damit in seiner Wahrheit spüren und leben zu lernen. Wie wir es manchmal können, ganz spontan.
Der Bezugsrahmen wird mit und durch unsere Praxis ein ganz anderer. Ich stelle mir vor, wie wir leichter werden und ungleich leichter auf kleinere Befriedigungen verzichten können, nicht mehr so um diese ringen. Damit meine ich die Befriedigungen, im Recht zu sein, verstanden und gesehen zu werden, genügend von diesem oder jenem zu haben. Natürlich interessiert mich das weiterhin, sonst wäre ich unehrlich, ich bin immer noch froh berührt, wenn sich Einklang einstellt, und unfroh, wenn zu viel an Reibung und Ringen in mir und/oder anderen spürbar ist. Dennoch stelle ich fest, dass ich leichter den gedanklichen Griff um diese Themen lockere und mich dem Sitzen oder dem Studium oder dem Nächsten, das zu tun ist, widmen kann. Das habe ich übrigens auch der Zen-Übung zu verdanken. Dieses Erkennen, was ist denn der nächste Schritt, und diesen mit ganzem Herzen zu vollziehen, wie bei der Geh-Meditation, wenn sie gelingt. Manchmal ist es so schwer. Ich arbeite gerade daran, Druck zu erkennen, wo und wie ich ihn mir mache. Dabei habe ich festgestellt, wie viel Angst ich öfter habe, meine Aufgaben nicht zu bewältigen, und dass ich deshalb schon beim übernächsten Schritt bin, als wenn ich glaubte, wenn ich den Gedanken an den Schritt loslasse, dass die Aufgabe dann vergessen oder nicht gelingen würde.
Dabei ist das Umgekehrte der Fall: Wenn ich mich voll auf das Naheliegende konzentriere und es tue, kann ich dann für das nächste Naheliegende präsent sein, mit dem Gefühl, voll zu leben. Wenn dann wirklich etwas nicht mehr in den Vormittag passt, dann ist es so. Die Welt geht davon nicht unter, und ich mache den Anruf, in dem ich ankündige, wann mit der Erledigung der Aufgabe zu rechnen ist. Berg und Fluss im selben Moment zu sein – das geht. Und will doch geübt sein.
Weitere Blogs finden Sie hier.